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Chronik eines Skandals

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November 1956

Neuer Bebauungsplan zur Verbreiterung der Marc-Aurel-Straße von der Magistratsabteilung 18 festgelegt und vom Gemeindeausschuß (19. Juli 1957) genehmigt. Damit ist der Abbruch der denkmalgeschützten Häuser Sterngasse 5 und 7 beschlossen. Das Bun-desdenkmalamt erfährt durch Zufall von diesem Plan. März 1957

Lokalaugenschein eines Fachbeirates, Prof. Engelhart, der allein für die Erhaltung eintritt.

Anfang 1958

Die Gemeinnützige allgemeine Bau-, Wohn- und Siedlungs-Genossenschaft der Eisenbahner erwirbt die Häuser zum Abbruch (offenbar auf Empfehlung des damaligen Stadtrates Thaller) tmd_ setzt die Abtragung des .an scM.eßenden Palais Sma fort Über das Schicksal der Hauser wird kerne' Klärung angestrebt. Kein Antrag auf Demolierungsbewilligung.

Mai 1958

Verhandlung wegen eines Neubaues an Stelle der Althäuser (mit Entwurf einer neuen Stiegenanlage). Das Bun-desdenkmalamt erfährt dies durch die Anrainer und richtet neuerlich Schreiben an die Bauamtsdirektion, die Magistratsabteilungen 7, 18, 19, 35, an Senatsrat Böck und Stadtrat Lako-witsch, es ersucht um die Abänderung des Bebauungsplanes und weist auf die Bedeutung der Häuser hin.

Juli 1958

Mündliche Verhandlung durch die Baupolizei über die Baugebrechen, das Denkmalamt ist eingeladen. Ein Vertreter der Eigentümer weist auf den , schlechten“ Bauzustand der Häuser hin (Schäden nur in der Feuermauerl), das Gesundheitsamt bezeichnet die sanitären Einrichtungen als ungenügend (das Haus ist überbelegt). Die Architekten Muttone & Novotny erklären, daß sie für die Baubewilligung des Neubaues Hoher Markt die Auflage erhalten hätten, für eine Auto-ausfahrt gegen die Sterngasse zu sorgen. Der Bezirksvorsteher spricht sich für den Abbruch der Häuser aus und stellt den Mietern entsprechende Ersatzwohnungen in Aussicht. Das Denkmalamt betont, daß eine Demo-lierungsbewilligung nicht in Aussicht gestellt ist.

Prof. Rainer setzt sich nach seiner Ernennung zum Stadtplaner energisch für die Erhaltung der Häuser ein, er erklärt: „Die Erhaltung der Häuser Sterngasse 5 und 7 ist aus folgenden Gründen notwendig:

1. weil sie als Einzelbauwerke wertvoll und daher geschützt sind;

2. weil sie Bestandteile einer zusammenhängenden städtebaulichen Einheit sind, wie sie leider sehr selten geworden ist, und daher noch schutzwürdiger erscheint als Einzelbauwerke;

3. weil das Haus Sterngasse 7 den weithin sichtbaren Eckpfeiler der Gruppe bildet und den Eingang in die historische Altstadt in sehr wünschenswerter Weise sichtbar macht.“

Das Büro des Stadtplaners stellt einen Entwurf mit Modell her, der zeigt, daß die Marc-Aurel-Straße mit voller Fahrbahnbreite durchgeführt werden kann. Verkehrstechnische Argumente seien damit nicht mehr stichhältig. Der Stadtplaner beantragt die Abänderung des Bebauungsplanes. In der Folge verbietet jedoch der damalige Baudirektor der Magistratsabteilung 18 die Durchführung des Antrages, der trotz mehrfacher Ur-grenzen bis heute nicht gestellt ist. Das Bundesdenkmalamt ersucht die Baupolizei, Sicherungsmaßnahmen zu veranlassen, jedoch ohne Erfolg.

Jänner 1959

Prof. Dr. Ing. Ernst Melan stellt ein negatives Gutachten über den Bauzustand der Häuser aus. Später soll Melan zugestanden haben, daß er selbst diese nie betreten hat. „Gegengutachten“ von Dr. Fritz Pfeffer mit Sanierungsvorschlag. Schätzung der konstruktiven Instandsetzung auf 120.000 Schilling.

Februar 1959

Dr. Fritz Kaiser erklärt als Vertreter der Eisenbahner-Genossenschaft, es sei für beide Häuser die Räumungsklage eingereicht. Sobald dieser stattgegeben sei und die Häuser geräumt seien, werde man den Neubau am Nachbargrundstück fortsetzen und „so lustig weitergraben, daß sie ohnehin zusammenfallen“.

Beginn von Verhandlungen über einen etwaigen Ankauf der Häuser durch die Gemeinde. Das Unterrichtsministerium, etwas später das Kulturamt der Stadt Wien, stellen je 50.000 Schilling als Beihilfe zur Verfügung. Durch die neuerlichen Abtragungen am Nachbargebäude werden einige Mieter so beunruhigt, daß sie Anzeige bei der Baupolizei erstatten, darauf Räumungsauftrag. Acht Mietparteien rekurrieren. Prof. Dr. F. Pongratz stellt ein weiteres positives Gutachten.

März 1959

Pressekonferenz des Bundesdenkmalamtes, wobei der Präsident die vielzitierte Erklärung abgibt: „Wenn die beiden Häuser fallen, muß man die Mordkommission rufen.“ Der verzweifelte Schritt des Bundesdenkmalamtes wird vom Rathaus ignoriert, es erscheint kein Vertreter der Stadt Wien.

Inzwischen werden an den Häusern „Sicherungsmaßnahmen“ in der Weise vorgenommen, daß man über ganze Fassadenflächen den Verputz abschlägt und die vorhandenen Risse durch Stemmarbeit freilegt und öffnet. Der Demolierangsauftrag wird jedoch vom Baudirektor zurückgehalten. Alle drei Gutachten werden von der Baupolizei überprüft, und Oberbaurat Dipl.-Ing. Hugo Wanivenhaus stellt nach genauester Untersuchung der Häuser ebenfalls ein positives Gutachten.

Prof. Rainer macht Pläne für den LImbau der Häuser. Stadtrat Mandl wird der Vorschlag gemacht, die gewonnenen Räume in Form einer Ausstellung mit alten und modernen Möbeln einzurichten, um der Öffentlichkeit zu zeigen, welche Atmosphäre in solchen Häusern herrschen könnte. Die Stadt Wien müßte die Initiative zu ihrer Erhaltung ergreifen.

Juli 1959

Kostenschätzung durch Diplomingenieur Dr. Adolf Wölzl, Gesamt-adaptierung mit Einrichtung: etwa 2,6 Millionen Schilling (das sind etwa 2000 Schilling pro Quadratmeter, Neubauten benötigen bekanntlich 2800 bis 3000 Schilling). Eine Wiederherstellung des von der Behörde gewünschten Zustandes wird auf 1,5 Millionen geschätzt, davon sind dem Eigentümer 750.000 Schilling zumutbar, 380.000 Schilling würde das Unterrichtsministerium bereitstellen, den Rest erwartet man von der Gemeinde. Oktober 1959

Erstes Kurierforum im Auditorium Maximum der Wiener Universität. Thema: Die Erhaltung der Altstadt Wiens. Eingeladen sind: der Präsident des Bundesdenkmalamtes, der Stadtplaner, die Stadträte Mandl, Heller und Lakowitsch, der Bezirksvorsteher für den 1. Bezirk. „Unter dem Druck der Öffentlichkeit“ bekennen sich die Politiker zur Erhaltung der Altstadt und zu konkreten Maßnahmen: Gründung von Aufbaugemeinschaften, Schaffung eines Assanierungsgesetzes, Gründung eines Assanierungsfonds, Ausarbeitung eines neuen Fluchtlinienplanes, Schaffung einer neuen Bauordnung und wirksame Entlastung der Innenstadt vom Verkehr.

Februar 1960

Die gemeinderätliche Planungskommission empfiehlt die Instandsetzung der Häuser. Die Zentralsparkasse bemüht sich im Laufe des Jahres um ihren Ankauf (da sie in der Blutgasse gute Erfahrungen gemacht hat) und verhandelt mit der Eisenbahner-Genossenschaft. Die Häuser werden jedoch überraschenderweise an Baumeister Hahnekamp verkauft, der, ein langjähriger Kontrahent der Gesellschaft, offensichtlich als „Strohmann“ dient.

Anfang Oktober 1961

Hahnekamp läßt sofort die Häuser abdecken - es ist gerade eine längere Regenperiode zu erwarten — um die Demolierungsbewilligung zu erzwingen, die auch tatsächlich im Nachhinein, am 17. Oktober, von der Baupolizei gegeben wird, allerdings mit dem Zusatz, daß der Eigentümer die Genehmigung des:;Bundesdenkmalamtes einzuholen hat. Der Stadtplaner beantragt eine zeitlich begrenzte Bausperre und urgiert die Aufhebung der Fluchtlinien. Die Firma Issakides erklärt sich bereit, die Häuser zu kaufen und sie wiederherzustellen. Vizebürgermeister Lakowitsch stellt kurz darauf in einer Budgetdebatte fest, daß die Dächer der umstrittenen Häuser in der Sterngasse ohne Genehmigung abgetragen wurden. Es sei daher über den Besitzer eine Strafe im Höchstmaß zu verhängen, darüber hinaus müsse er verhalten werden, die Dächer wiederherzustellen. Im Falle einer Weigerung habe die Gemeinde so rasch als möglich Ersatz zu schaffen. Die aufgewendeten Kosten könnten im Grundbuch als Belastung eingetragen werden.

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