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Instanzenlabyrinth

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Wann wird die Selhstzerfleischung Wiens ein Ende nehmen? Wann endlich werden denkmal- und erhaltungswürdige alte und architektonisch wertvolle Bauwerke in Wien von der Spitzhacke verschont bleiben?

Die rechtlichen Voraussetzungen sind mit dem Beschluß der Altstadterhaltungsnovelle durch den Wiener Landtag schon am 7. Juli 1972 geschaffen worden. Diese Novelle sieht vor, daß die erhaltungswürdigen Gebiete, sprich Schutzzonen, nachträglich vom Gemeinderat beschlossen werden. So sollte man bei Änderungen des Schutzzonenplanes flexibler sein (denn wären die Zonen bereits in der Novelle festgelegt, müßte oft novelliert werden); auf die Zusagen des kompetenten Kulturamtes gestützt, erklärte Stadtrat Dr. Krasser, daß man bereits in der ersten Sitzung des Gemeinderates im Herbst 1972 die Schutzzonen beschließen könnte.

Und am 9. August 1972 bestätigte auch Planungsstadtrat Hofmann: erste Schutzzonen gelangen im Herbst in den Gemeinderat. Selbst am 15. November, als bereits der Termin der ersten Herbstsitzung verstrichen war, bestätigte die Kulturstadträtin Frau Vizebürgermeister Sandner gegenüber der Presse: Herbst 1972. Also nur eine kleine Verzögerung?

Noch nun, im Februar 1973, werden vom Kulturamt neue Termine genannt: erst im Mai 1973 sollen die ersten Schutzzonenanträge dem Gemeinderat vorliegen und bis 1975 (!) soll das gesamte Schutzzonenprogramm realisiert sein.

Warum es so lange dauert? Auch darauf hatte man eine wohlvorbereitete Antwort: die Demokratie sei schuld daran, jeder wolle mitreden, und das koste eben Zeit.

Der Wiener Architekt Pohl schilderte das Schicksal eines Schutzzonenantrages, das auch ein Demonstrationsbeispiel für den Rathaus-Bürokratismus ist: • Zunächst arbeitet die MA (Magistratsabteilung) 21 den Antrag aus;der Fachbeirat für Stadtplanung begutachtet ihn; falls er Einsprüche hat, muß das Kulturamt Stellung nehmen.

•Der Antrag wandert weiter zur Baudirektion, zum Rechtsmittelbüro der Magistratsdirektion, zur MA 22 (wirtschaftliche Belange), passiert die MA 64 (Rechtsfragen), kommt nun in die MA 40 (Grundbehörde), gelangt sodann in die MA 69

(Rechtsabteilung-Arrondierungen), erreicht die Stadtplanung und liegt dann den Bezirksvertretungen vor.

•Nun geht der Antrag zurück an die Gruppenleiter in der Baudirektion, die ihrerseits neuerdings Stellung nehmen. Nach einer öffentlichen Auflage von vier Wochen sind die Bundesstellen an der Reihe.

•Dann erst hat der Stadtsenat das Wort, der den Antrag an den Gemeinderat zur Beschlußfassung weiterleitet.

Erläuterung des Kulturamts dazu: „Denkmalschützer in Osteuropa müßte man sein —dort ginge das einfacher."

Daß es aber auch in einer Demokratie wesentlich einfacher geht, meinen zahlreiche andere Experten. Wie die juristische Praxis zeigt, kann man Begutachtungen durch Parallelschaltung verkürzen.

Dennoch überwiegen die positiven Reaktionen auf die Tatsache, daß die Stadtverwaltung überhaupt an das Problem herantrat. So meint der Landeskonservator für Wien (Bundes-denkmalamt), Dr. Pötschner, daß das Altstadterhaltungsgesetz spät komme, aber doch nicht zu spät. Nach den Bestimmungen des Denkmalschutzgesetzes war es bisher nur möglich, einzelne Häuser unter Schutz zu stellen; oft aber entsprach ein Haus nicht ganz den Erfordernissen, um es „denkmalreif" zu machen. Daher gestaltete sich die Schaffung von ganzen Ensembles sehr schwierig.

Der drückende Personalmangel ist für das Bundesdenkmalamt wohl das größte Handicap. Seit Jahren arbeitet man — nun gemeinsam mit dem Wiener Kulturamt — an einem Schutzzonenatlas für Wien. Doch erst im Herbst 1974 soll er der Öffentlichkeit vorliegen. Das allerdings, meint Dr. Pötschner, soll kein Hindernis sein, mittlerweile dennoch Schutzzonen zu beschließen.

Frau Stadtrat Sandner nannte Mitte Jänner die drei ersten Schutzzonen: Spittelberg, Heumarkt und Khleslplatz.

Für den Spittelberg sei es höchste Zeit, stellt Dr. Pötschner fest, und' auch der Khleslplatz sei — als ursprünglicher Dorfplatz von Altmannsdorf — dringend erhaltens-wert. Was den Heumarkt betrifft, so sei das Stück zwischen Münzamt und Marokkanerkaserne mit seinen klassizistischen und spätbiedermei-erlichen Häusern vis-ä-vis dem Stadtpark für das Wiener Stadtbild sehr bereichernd. Er sei mit diesem „Probegalopp" zufrieden, denn es gebe gegenwärtig in Wien kein Haus, das nicht vom Abbruch bedroht sei.

Für Grinzing und die Ringstraße hingegen gibt es bereits so etwas wie einen „Selbstschutz" der Bevölkerung, wie jüngste Protestaktionen zeigen. Durch solche Bürgerinitiativen seelisch gestärkt, blickt man im Bundesdenkmalamt daher in die bessere Zukunft.

Im Kulturamt der Stadt Wien ist man aber doch mittlerweile so weit, den ersten Schutzzonenantrag in das Instanzenlabyrinth zu schicken, das ihn jedenfalls auf längere Zeit verschlucken wird.

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