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Fischer stiege oder Autostraße?

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Die Fischerstiege in der Wiener Innenstadt erinnert wie die benachbarten Stiegenaufgänge bei Maria am Gestade und der Ruprechtskirche daran, daß Wien vor Zeiten wirklich an der Donau lag; ihre Stufen überwinden den Höhenunterschied zwischen der Niederung des ehemaligen Strombettes und der Bodenterrasse, auf der sich die mittelalterliche Stadt erhob, und lassen solcherart heute noch die natürlichen Bedingungen erkennen, unter denen sich Wien an dieser Stelle organisch entwickelte. Die Fischerstiege ist auf ihre Weise ein Denkmal. Dies allein genügte, um sie uns wichtig und erhaltungswert zu machen; es kommt hinzu, daß sie mit ihrer eigenwilligen Krümmung die graue Langeweile des sie umgebenden Zinshausviertels aus dem vergangenen Jahrhundert belebt und erträglich macht. Mit einem Wort: Wenn die Fischerstiege verschwindet, wird das Stadtbild Wiens wieder einmal charakterloser und uninteressanter geworden sein.

Nun, es scheint, als ob sie wirklich verschwinden müßte. Von den allen und freilich längst schon assanierungsbedürftigen Häusern, die sie beiderseits einfaßten, bleibt nichts mehr übrig. Sie wurden zum Teil schon während des Krieges verwüstet oder stürzten in den letzten Jahren ein; der andere noch stehende Teil ist, wie baustatisdie Untersuchungen ergaben, infolge der Bombenschäden gleichfalls einsturzgefährdet und wird demnächst abgerissen werden müssen. Wien wird also in Kürze zwar nicht um wertvolle Einzelobjekte, wohl aber um ein in seiner Gesamtheit stilvolles Altstadtviertel ärmer geworden 6ein — ein schmerzlicher Verlust, mit dem sich auch die denkmalpflegenden Behörden schweren Herzens abfinden müssen.

Und die Stiege selbst? Die zuständigen Wiener Baubehörden haben bereits einen Wettbewerb zur Neuplanung des ganzen Baukomplexes ausgeschrieben und eine Anzahl von Architekten zur Teilnahme eingeladen. Die Richtlinien des Wettbewerbes — die bereits manchen Widerspruch hervorgerufen haben — sind, neben der selbstverständlichen Forderung . nach allen zeitgemäßen Anforderungen entsprechenden Neubauten, etwa folgende: Eine gänzliche oder teilweise Rückverlegung der Baufluchten, also eine Verbreiterung der Fischerstiege, sei im Prinzip ebenso zugelassen wie eine etwaige überbauung oder die Bildung kleiner Plätze. Im Inneren des Baublocks zwischen Stiege und der Kirche von Maria am Gestade, auf deren Chorpartie vernünftigerweise ein Durchblick geschaffen werden soll, seien neben einer teilweisen Reform der Verbauung die erheblichen

Niveauverschiedenheiten in Form von Terrassen auszugleichen. Ein Durchgang zum Passauerplatz wird gewünscht. Und schließlich — dies wohl der wichtigste Punkt der Ausschreibung — müsse die Fischerstiege in Zukunft für den Wagenverkehr befahrbar sein,- eine Anordnung von Stufen auf den seitlichen Gehsteigen sei immerhin zulässig. Ein Hinweis auf die historischen Gegebenheiten des Ortes ist unter diesen Richtlinien nicht zu finden.

Soweit der Wettbewerb. Er würde alles verschwinden lassen, was einst an die Fischerstiege erinnerte — selbst ihr Name würde widersinnig werden. Infolgedessen sind gegen seine Bestimmungen eine Reihe von Fragen, Einwänden und Forderungen zu erheben, in deren Formulierung sich die Öffentlichkeit mit den Denkmalpflegestellen einig sein dürfte: Welche Funktion soll eine Auffahrtsrampe an Stelle der alten Stiege erfüllen? Da es nicht der Zweck eines Altstadtviertels sein kann, mit dem Buick durchrast zu werden, und eine neue Ver-bindungsstraße an dieser Stelle weder notwendig noch möglich ist — denn die anschließende Salvatorgasse ist für einen Autoverkehr ohnehin zu eng —, bleibt nur die Annahme übrig, daß die zukünftige Fisdierrampe die Zufahrt zu den einzelnen Häusern erlauben soll. Aber braucht man hiefür eine ganz neue Auffahrtsstraße? Ein geschidcter Architekt könnte dieses Problem wahrscheinlich durch Einfahrten in die umliegenden Höfe lösen. Außerdem stünde ihm dafür die — dringend verschönerungsbedürftige — Rampe in der Sterngasse zur Verfügung. Warum also die ganze Stiege schleifen? Man gestalte sie lieber nach dem Musterbeispiel des Aufganges bei Maria am Gestade um und aus und bereichere so das Stadtbild, statt es ärmer zu machen. Einige kleine Stufen — neben einer breiten Fahrbahn! — würden für den Verlust der ganzen Stiege wohl kaum entschädigen: das Denkmalamt ist übrigens, wie hier eingefügt sei, der Meinung, daß der Aufgang zu dem prachtvollen Renaissanceportal der Salvatorische von vornherein nur als Stiegenanlage denkbar sei.

Desgleichen ist sehr zu wünschen, daß man die Krümmung der Fischerstiege beibehalte und nicht justament dort schnurgerade Baufluchten lege, wo architektonische Unregelmäßigkeiten geradezu eine Augenweide bilden. Ähnliches gilt für die künftige Breite der Fischerstiege, die ein gewisses Maß sicherlich nicht ohne Schaden überschreiten wird. Und schließlich ist zu verlangen, daß man die Form der künftigen Wohnhäuser nicht nach einer beliebigen Gemeindebauschablone, sondern dem Stil und der Eigenheit dieses Bauortes gemäß bestimme.

Im Grunde genommen laufen alle Einwände und Forderungen auf eins hinaus: auf den hödist berechtigten Wunsch, eine neue Fischerstiege zu sehen, die zwar nicht eine Stilkopie der alten sein kann, wohl aber deren Charakter wahrt. Daß man ihm und den Forderungen des Bundesdenkmalamtes Genüge leistet und die Wettbewerbsbestimmungen noch ändert oder wenigstens Alternativvorschläge zuläßt, wäre im Interesse Wiens sehr zu hoffen.

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