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Das Wien des Jahres 2000

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Es ist nicht das erste Mal, daß sich der Wiener Gemeinderat mit der Stadtplanung befaßt. Diesmal — am 29. und 30. November. — diskutierte man jedoch nicht nur über Ergebnisse, sondern man hatte durch 25 Debattenredner die Möglichkeit, am weiteren Gang der Planung mitzuarbeiten. Zwar wurden bei dieser Sitzung noch keine konkreten Pläne beschlossen — obwohl ein reiches Material an Unterlagen in der Ausstellung in der Stadthalle vorliegt —, sondern man nahm nur zu den Grundsätzen, die vom Stadtplaner Professor Rainer ausgearbeitet wurden, Stellung. Zugleich wurde der Stadtplaner beauftragt, in den nächsten drei Jahren, also im zweiten Planungszeitraum, die Unterlagen für die konkreten Beschlüsse der einzelnen Flächenwidmungspläne vorzubereiten. Inzwischen wird es weiterhin notwendig sein, darüber zu wachen, daß bis zur endgültigen Beschlußfassung nichts verbaut wird.

Elastisches Konzept

Aus den vom Gemeinderat beschlossenen Grundsätzen und aus dem Bericht des Stadtrates für das Bauwesen ist für die künftige Entwicklung Wiens folgendes Konzept erkennbar:

• Hinsichtlich der künftigen Größe der Stadt wird mit einem Rahmen gerechnet, der sowohl einem Stagnieren als auch einem stärkeren Wachstum Wiens gerecht wird. Die Stadtplanung versucht, bei der von ihr vorgeschlagenen Ausweisung von Bauland und bei der Bemessung der Verkehrswege und Zentren eine elastische und anpassungsfähige Stadtstruktur zu schaffen.

Für eine ungünstige Entwicklung und damit für eine Stagnation der Einwohnerzahl Wiens sprechen die derzeitige politische Lage in Europa, durch die der Kontakt mit wichtigen, im Osten und Norden liegenden Wirtschafts- und Ergänzungsräumen unterbunden wurde; die immer noch ungünstige Geburtenzahl in Wien, die zum Ausgleich eine starke Zuwanderung notwendig macht;-die ungünstige Bevölkerungsentwicklung im engeren Ergänzungsbereich der Stadt (Niederösterreich und Burgenland haben in den letzten zehn Jahren an Einwohnern abgenommen, wodurch auch ihre Abgabefähigkeit reduziert wurde) und schließlich die Tatsache, daß als Zuwanderungsziele auch andere Zentren, vor allem Linz, wirksam wurden. Um Wien auch nur auf seinem derzeitigen Stand zu halten, wäre eine konsequente Familienpolitik nötig. Trotz mancher Anstrengungen ist derzeit nur die „Ein-Hund-Ehe mit Auto" Nutznießerin der Zustände.

• Die Richtung der Stadtentwicklung soll gelenkt werden, damit die stadtnahen Erholungsgebiete im Westen, vor allem die Ränder des Wienerwaldes, möglichst erhalten bleiben. Nach den Jahren 1918 und 1945 wurden wertvolle Erholungsgebiete verbaut. Es gelang nicht, den an sich wertvollen Bauwillen der sogenannten „wilden Siedler“ in richtige Bahnen zu lenken; selbst die Baupolitik der Gemeinde richtete sich vielfach nach falschen Standpunkten. In Hinkunft sollen die günstigen Lagen im Süden (10., 11. und 23. Bezirk) stärker genutzt werden. Außerdem beabsichtigt man, die großen Flächenreserven in den Gebieten nördlich der Donau für die Bauentwicklung heranzuziehen.

Um dieses letztere Ziel zu erreichen, ist eine Reihe von Maßnahmen vorgesehen: Durch neue Donauübergänge und Schnellbahnverbindungen sollen der 21. und 22. Bezirk besser an die Stadt angeschlossen und durch die Entwicklung starker Zentren in Floridsdorf, Kagran und Stadlau die dortige Bevölkerung besser versorgt werden. Neue Arbeitsstätten sollen das Maß an zeitraubender Pendelwanderung in das alte Stadtgebiet reduzieren, und endlich soll durch eine bewußte Landschaftspflege aus einer heute vielfach öden Kultursteppe eine anziehende Wohnlandschaft geschaffen werden.

• Die Grünflächenplanung sieht am Stadtrand große Erholungsgebiete und die Erhaltung weiter Zonen für die Landwirtschaft vor. Im Innern der Stadt sollen allmählich, im Zuge der Umgestaltung der Bausubstanz, die vorhandenen Grünflächen erweitert und durch entsprechende Grünverbindungen zu einem System ausgebaut werden. Auch ein Fußwegnetz ist vorgesehen.

• Zur Verhinderung unerwünschter Ballungen sieht die künftige Gliederung der Stadt eine gewisse Dezentralisierung vor. Neben einer leistungsfähigen City, der Unterbringung wichtiger Einrichtungen in sogenannten Nebencitys, soll durch den Ausbau oder die Neubildung von wirtschaftlichen und kulturellen Zentren ein möglichst starkes Eigenleben und eine bessere Versorgung der äußeren Bezirke erreicht werden.

Nebencitys — ja oder nein?

Ist das Wort Nebencitys gerechtfertigt oder nicht? Es ist etwa die wichtige Frage zu prüfen, welche Argumente und Einwände bezüglich eines Nebenzentrums auf dem Gelände des derzeitigen Nordbahnhofes gerechtfertigt sind. Die bisherige Stellungnahme der österreichischen Bundesbahnen eher wird der Stephans turm versetzt, als daß die stadtnahen Gebiete am Nordbahnhof für andere als Bahnzwecke Verwendung finden“) muß wohl der sachlichen Überprüfung Raum geben. Der Antrag des Baustadtrates spricht von der Verhinderung unerwünschter Ballungen. Will man dies, so muß man auch in der Frage der Hochhäuser konsequenter sein. Mit Recht weist die Stellungnahme der Baudirektion darauf hin, daß die Gemeinde Wien selbst nicht mit schlechtem Beispiel vorangehen darf. Die Errichtung von Verkehrserregern erster Ordnung, wie sie Hochhäuser nun einmal darstellen, an neuralgischen Punkten — siehe Ringturm — ist eines dieser Beispiele. Die

Lösung der Verkehrsfrage ist für die Lösung dieses Problems eine Vorbedingung.

Die drei Phasen der Erneuerung

Die angeführten Ziele sollen unter Ausnützung starker vorhandener Tendenzen zur Verlagerung von Wohn- und Arbeitsstätten im Rahmen eines Planes zur Erneuerung der Stadt verwirklicht werden. Drei große Aufgabenkreise zeichnen sich dabei ab:

Die Auflockerung allzu dicht verbauter Stadtgebiete. In Wien sind derzeit drei Viertel der Wohnstätten und neun Zehntel der Arbeitsstätten im dichtverbauten Stadtgebiet konzentriert. Das ist ein Zustand, gegen den gewichtige volksgesundheitliche, wirtschaftliche und städtebauliche Gesichtspunkte sprechen.

Die Verdichtung von zu locker, d. h. unwirtschaftlich verbauten Randgebieten. Hier sind vor allem jene großflächigen Siedlungsgebiete zu nennen, die heute noch aus einem Gemisch von Wohnstätten, Gartenhütten und noch ungenutzten Parzellen bestehen; hier wäre Platz für den Bauwillen der sogenannten „wilden Siedler" gewesen.

Die Entmischung von gemischt genutzten Wohngebieten und damit die allmähliche Reduzierung der Störung der Wohnbevölkerung durch Lärm und Abgase. Für störende Betriebe sowie für Betriebe, die heute durch Raumnot oder die ungünstige Verkehrssituation behindert sind, soll in Werkstättenhöfen oder Industriegebieten geeigneter Raum gefunden werden.

Für Arbeitsstätten, und zwar unter Bedachtnahme auf die stark differenzierten Bedürfnisse der einzelnen Branchen, wurden in den letzten Jahren von der Stadtplanung geeignete Flächen ermittelt. Stärkere Massierungen von Arbeitsstätten sind in Liesing, Simmering und, wie schon erwähnt, in Floridsdorf und Stadlau vorgesehen.

Unter den Richtlinien, die vom Gemeinderat für die weitere Tätigkeit des Stadtplaners beschlossen wurden, sind ferner noch Gesichtspunkte für den

Schutz des Stadtbildes sowie für die als notwendig empfundene Zusammenarbeit mit Bundesstellen und mit dem Land Niederösterreich enthalten. Der Landeshauptmann von Niederösterreich, ferner die Bundesminister für Handel, Landwirtschaft und Landesverteidigung haben schon erklärt, daß sie bereit seien, mit der Stadtplanung zusammenzuarbeiten, wie dies auch von den Bundesbahnen dem Baustadtrat zugesichert wurde. In der Folge wird es aber auch noch nötig sein, die Zusammenarbeit innerhalb der Stadt Wien selbst stark zu koordinieren. In den vergangenen drei Jahren gab es hier manche Schwierigkeiten. Um in den kommenden drei Jahren die Arbeiten bewältigen zu können, sieht ein Antrag vor, die personell sehr klein gehaltenen Teams des Stadtplaners nötigenfalls durch Fachleute außerhalb des Magistrats zu unterstützen.

Allen voran der Verkehr

Eine der wesentlichsten Fragen für das Gelingen der Planung ist der Verkehr. Denn er ist sowohl ein Ergebnis der Struktur einer Stadt, zugleich aber auch ein Mittel, um die Gliederung der Stadt wirksam zu gestalten. So ist der Verkehr auch eine Lebensfrage für die Innenstadt. „Verkehrszeiten" von 20 bis 25 Minuten vom Stephansplatz bis zur Oper zu Spitzenzeiten können nicht mehr als Verkehr angesprochen werden. Verkehrsverbote für den Privatverkehr und Vorrechte für den Autobus bringen zwar für eine Zeit lang Erleichterung, sind aber keine endgültige Lösung. Auf die Dauer kann nur die zweite Verkehrsebene Abhilfe schaffen. Der Planer hat hier jedoch resigniert, weil der Magistrat an neuralgischen Punkten Hochhäuser zuließ und es zu befürchten ist, daß eine Verbesserung der Verkehrsverhältnisse zur Errichtung weiterer Hochhäuser Impulse gibt.

Beim Ausbau des Verkehrssystems wurden auch jene Bedürfnisse berücksichtigt, die künftig durch neue Wohngebiete,’ Äfieit’s- ‘uni Versorgungszentren . an das Verkehrssystem der Stadt gestellt werden. Die Stadtplanung hofft, durch die Entwicklung der öffentlichen Verkehrsmittel eine weitere Abwanderung von Fahrgästen zum Individualverkehr, der immer größere Schwierigkeiten verursacht, hintanhalten zu können. Vorgesehen ist die Verlängerung der Stadtbahn nach Süden (Liesing) und nach Norden (Schnellbahn Floridsdorf) sowie der Ausbau der Massenverkehrsmittel auf der Lastenstraße.

Die Österreichische Volkspartei hat diese Frage gründlich studiert und angefangen, von der Diskussion in den Bezirksparlamenten bis zur Aussprache mit Fachleuten eine ganze Reihe von Vorschlägen zu sammeln. Demnach soll auf den Verkehrsbändern der Bundesbahnen und der Stadtbahn ein Stadtschnellbahnnetz entwickelt werden, um den Verkehr in Wien und in den nahe gelegenen Gebieten zu verbessern. Neben Einzelvorschlägen, Straßenbahn und Autobus betreffend, wurden auch detaillierte Vorschläge wegen der zweiten Verkehrsebene in den inneren Bezirken gemacht. Die Probleme der City und der Nebencitys sind nur mit einem leistungsfähigen Verkehr in der zweiten Ebene lösbar. Ein Antrag der Volkspartei auf die Festsetzung unterirdischer Baufluchtlinien sieht vor, daß zumindest der Platz für solche Verkehrslösungen freigehalten werden soll.

Mitsprechen — mitverantworten

Viel Arbeit ist geleistet worden, viele Unterlagen wurden geschaffen, aber noch mehr wird in Hinkunft zu tun sein. Wesentlich für die weitere Tätigkeit ist es, daß sie nicht als „geheime Kommandosache“ geführt wird. Wenn die Worte mitdenken, mitsprechen, mitverantworten einen Sinn haben sollen, dann brauchen gerade die verantwortlichen Gemeinderäte die Mitsprache der Bevölkerung. Mag mancher Diskussionsbeitrag auch fachlich nicht zu halten sein, so kann der Mandatar doch erst, wenn er alles gehört hat, sich selbst eine Meinung bilden. Aus dem Wirken aller, der Stadtplanung, des Magistrats, der Mandatare und der Bevölkerung kann erst der Plan entstehen, der die Zukunft unserer Stadt wesentlich mitgestalten soll.

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