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Der Stadtentwicklungsplan als internationale Aufgabe

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In den Metropolen Europas wurde gerade in den letzten zehn Jahren der Ruf nach einem Stadtentwicklungsplan als zielorientiertem Handlungsprogramm immer deutlicher vernehmbar. Die Gründe dafür liegen einerseits im Strukturwandel der Städte, der in seinen Ursachen und Auswirkungen so komplex, dynamisch und tiefgreifend ist, daß jeder Versuch des Konservierens oder des Beharrens ein gefährliches Verkennen der Entwicklung wäre. Anderseits ist die Zukunft einer Großstadt im allgemeinen von den politischen Entscheidungen abhängig, welche Entwicklungsziele wann und wo angestrebt werden und wie die zur Verfügung stehenden Finanzen im Rahmen dieser Zielvorstellungen am besten eingesetzt werden sollen. Für Städte, insbesondere für Großstädte mit überregionalen und regionalen Funktionen wird es daher immer dringender, unter Berücksichtigung der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Faktoren, zielorientierte kommunale Handlungsprogramme aufzustellen, in denen die Aufgaben- und Ausgabenplanung miteinander verknüpft, die zeitliche Realisierung der einzelnen Maßnahmen festgelegt und eine Koordination zwischen den verschiedenen Planungs- und Entscheidungsstufen erreicht werden kann.

Flächenwidmungs- und Bebauungspläne als traditionelle und ausschließlich raumbezogene kommunale Planungsinstrumente haben nur dann eine gestaltende - und nicht nur gebietende und verbietende - Wirkung, wenn sie Teil eines solchen zielorientierten Handlungsprogramms sind.

Der Stadtentwicklungsplan für Wien, der im Auftrag von Bürgermeister Leopold Gratz derzeit ausgearbeitet wird, soll flexibel genug sein, um die verschiedenen sozialen und gesellschaftlichen Änderungen zu berücksichtigen und gleichzeitig Ansatzpunkte für eine Detailplanung zu geben.

An der Arbeit sind außer den Fachleuten des Magistrates auch andere Experten, vor allem von Universitätsinstituten, beteiligt. Der Stadtentwick-. lungsplan geht von den 1972 fertiggestellten Leitlinien, von einer Bestandsanalyse und von einer Darstellung der bestehenden Probleme aus, um dann Ziel Vorstellungen und die zur Erreichung der Ziele notwendigen Maßnahmen aufzuzeigen.

• ein mittelfristiges, zielorientiertes, kommunal- und regionalpolitisches Handlungsprogramm,

• eine Darstellung der Entwicklungsziele,

• eine Definition der Aufgabe Wiens als größter Stadtregion Österreichs, als Zentrum der Ostregion, als Bundeshauptstadt und als internationales Zentrum,

• ein Koordinierungsinstrument für die Arbeit der Stadtverwaltung und aller ihrer Organe,

• eine Orientierungshilfe für die Bezirksentwicklungspläne und für Detailplanungen.

Inhaltlich wird sich der Stadtentwicklungsplan in 14 Themengruppen gliedern.

Das Kapitel „Bevölkerungsstruktur“ wurde als eine der wichtigsten Grundlagen für alle anderen Arbeiten als erstes fertiggestellt, da von den richtigen Prognosen für die Bevölkerungsentwicklung weitgehend die Realisierbarkeit der verschiedenen Konzeptionen abhängt. Hier ergeben sich wieder internationale Parallelen, denn das verminderte Wachstum und der Bevölkerungsrückgang erfordert in den meisten Großstädten eine vorsichtig agierende Stadtentwicklungspolitik, der eine mittelfristige Planungskonzeption zugrunde liegen soll.

Die Entwicklung der Wohnbevölkerung in Wien war in den beiden letzten Jahrzehnten durch eine Wanderung aus den traditionellen dicht bebauten Zentralgebieten an den Stadtrand und darüber hinaus in das Umland gekennzeichnet.

Das bedeutet:

1. Innerhalb der Grenzen der Stadt Wien ist die Einwohnerzahl zwischen 1961 und 1971 von 1,627 Millionen auf 1,614 Millionen gesunken. Diesem Rückgang von rund 13.000 Einwohnern steht eine Erhöhung der Einwohnerzahl in den Umlandgemeinden um rund 28.000 gegenüber. Insgesamt stieg also die Einwohnerzahl im Ballungsraum Wien um rund 15.000.

2. Im Stadtgebiet selbst ist eine Verlagerung zum Stadtrand feststellbar. Während zwischen 1961 und 1971 die Einwohnerzahl in den Bezirken 1 bis 9 um rund 75.000 zurückging, stieg sie im 10. Bezirk um 19.000, in den Bezirken 21 und 22 zusammen um 47.000 und im 23. Bezirk um 23.000.

Unter der Annahme, daß diese Tendenz bestehen bleibt, wäre die Einwohnerzahl Wiens von 1,46 Millionen im Jahr 1981 und von 1,4 Millionen im Jahr 1985 anzunehmen.

Es gibt jedoch zwei Erscheinungen, die dieser Tendenz immer stärker entgegenwirken:

1. Durch den systematischen Ubergang zur Stadterneuerung gewinnen die dichtbebauten Gebiete wieder an Attraktivität.

2. Der Eintritt sehr starker Geburtenjahrgänge ins Erwerbsleben macht in Österreich die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze notwendig. Wien besitzt dafür besonders günstige Voraussetzungen. In Wien wird auch in dieser Situation ein Mangel an Arbeitskräften bestehen bleiben. Daraus ergeben sich günstige Voraussetzungen für eine Zuwanderung aus anderen Bundesländern nach Wien.

Aus diesen Gründen erscheint es realistisch, für 1985 mit einer Einwohnerzahl Wiens von etwa 1,5 Millionen bei gleichzeitigem weiteren Ansteigen der Einwohnerzahl im Ballungsraum Wien zu rechnen.

Zugleich ergibt sich eine Veränderung der Altersstruktur der Wiener Bevölkerung. Vor allem die beiden Weltkriege, aber auch die Schwankungen in der wirtschaftlichen Entwicklung, insbesondere die Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre, haben einen starken Frauenüberschuß und eine relativ hohe Überalterung zur Folge. Diese Erscheinungen sind in den traditionellen Wohngebieten naturgemäß weit stärker ausgeprägt als in den neuen Wohngebieten mit ihrem relativ hohen Anteil an Kindern. Im kommenden Jahrzehnt wird der Anteil der erwerbstätigen Bevölkerung steigen, wird außerdem, der Anteil der Menschen im Alter, in dem mit Nachwuchs zu rechnen ist, größer und der Frauenüberschuß geringer werden.

Eines der Hauptziele ist es, die Bevölkerungsabwanderung aus der Stadt abzufangen und das Wohnen im Stadtkern wieder attraktiv zu machen. „Der Stadt muß jene demographische, geistige, wirtschaftliche und finanzielle Kraft erhalten bleiben, die erforderlich ist, um die Stadt dem Wandel der Zeit anzupassen und den Bedürfnissen der Bevölkerung entsprechend zu erneuern und zu entwik-keln. Dabei ist auf die Vielfalt der Alters- und Berufsgruppen Rücksicht zu nehmen, um eine allgemeine Verbesserung der Lebensqualität und ein Ansteigen des Lebenskomforts jedes einzelnen Bewohners zu gewährleisten“, heißt es in den Leitzielen des Stadtentwicklungsplanes.

Die gesamte Arbeit am Stadtentwicklungsplan stützt sich nicht zuletzt auf die positive Tatsache, daß die große Mehrheit der Wienerinnen und Wiener ein grundsätzliches Bekenntnis zu ihrer Stadt ablegt: Eine Meinungsumfrage hat ergeben, daß 77 Prozent der Bewohner gerne in Wien leben.

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