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Arbeiten in einer leeren Fabrik..

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Ab die Techniker für die Weltraumprojekte der USA neue Legierungen für Raketen suchten und neue Werkstoffe erprobten, konnten sie nicht wissen, daß schon in Kürze auch die Hausfrauen in aller Welt in ihren Bratpfannen eben jene Beläge vorfinden würden. Auch dachten sie nicht daran, daß etwa die Skifirmen gewisse Werkstoffe der Saturn-Raketen für superleichte Skier verwenden würden.

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Ab die Techniker für die Weltraumprojekte der USA neue Legierungen für Raketen suchten und neue Werkstoffe erprobten, konnten sie nicht wissen, daß schon in Kürze auch die Hausfrauen in aller Welt in ihren Bratpfannen eben jene Beläge vorfinden würden. Auch dachten sie nicht daran, daß etwa die Skifirmen gewisse Werkstoffe der Saturn-Raketen für superleichte Skier verwenden würden.

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Diese schon allgemein bekannten Verwendungsarten der Weltraumforschung betreffen freilich nur einen kleinen Teil der neuen Werkstoffe, die täglich in aller Welt bei Versuchen entstehen. Tausende Labors suchen nach neuen Produkten, nach neuen chemischen Verfahrensweisen und neuen Materialien. Schon haben Kunststoffe die Märkte revolutioniert; vor allem im Bereich der Textilwirtschaft, der Holzindustrie oder der Lederverarbeitung. In den letzten zwei Jahrzehnten erhöhte sich die Chemieproduktion in Westeuropa jährlich um durchschnittlich 11 Prozent, das dst doppelt soviel wie die Wachstumsrate der Gesamtindustrie. Und bis zum Jahr 2000 wird sich die westliche Kunststoffproduktion voraussichtlich um 650 Prozent vergrößert haben. Was hier am Beispiel der Kunststoffe und der Chemie dargestellt wurde, gibt es in einer Reihe anderer Sparten der Wirtschaft in gleichem Maß. Die Revolution der Volkswirtschäften ift den Industrieländern ist in vollem Gang. Immer schneller wird das Wachstum neuer, kaum entdeckter Sparten. Und immer schneller schrumpfen, ja verschwinden alte Industrien und Wirtschaftsbereiche, die zu den klassischen Zweigen der Produktion gezählt haben.

Die Revolution in den Labors, Werkshallen, Produktionsstätten hat aber vor allem eine völlige Umstrukturierung der Energieversorgung zur Voraussetzung. Schon ist die Kohle in eine weltweite Krise geraten. Immer mehr Bereiche stellen sich auf neue Energieträger um, Eisenbahnen fahren mit Strom oder Diesel, Hausfrauen heizen mit Gas oder öl. Dafür Wird der Bedarf an Erdölprodukten immer größer. In Österreich wird schon für 1975 ein Erdölbedarf von 130 Millionen Tonnen erwartet. Nur 2,7 Millionen Tonnen können wir aus unseren eigenen Erdölvorkommen decken. Die elektrische Energie ist Österreichs „Weißes Gold“. Zwischen 1958 und 1968 stieg der private Stromverbrauch in Österreich um 250, der Verbrauch der Industrie um 150 Prozent, Das Stromnetz vergrößerte sich seit 1945 um 1000 Prozent. Die Wachstumsraten der elektrischen Energie werden sich in den nächsten Jahren zwar nicht mehr so spektakulär entwickeln, doch ist bereits mit einer Verdoppelung des Bedarfs am Ende diese Jahrzehntes zu rechnen.

Deshalb it auch in Österreich die Errichtung von Atomkraftwerken notwendig, wollen wir in der Zukunft nicht durch billigere neue Energieträger durch das Ausland auskonkurrenziert werden. Das erste österreichische Atomkraftwerk wird 1975/76 fertiggestellt sein. Das Raumordnungskonzept der Bundesregierung empfiehlt jedoch, sich in Hinkunft an Projekten des Europarates und der OECD zu beteiligen, damit mehrere europäische Länder sich zu Großvorhaben zusammenschließen können.

Die Umstellungen ganzer Industriezweige werden wie Polypen in das gesamtgesellschaftliche Gefüge der nächsten Jahrzehnte eingreifen. Denn zur technisch bedingten und kommerziell forcierten Veränderung der Wirtschaft kommt die forcierte Automation. Der Industriebetrieb der Zukunft wird — ähnlich wie im Märchen — ohne sichtbare Menschenarbeit funktionieren. In riesigen Hallen, so prophezeien die Zukunftsforscher, werden „Geisterhände“ Werkstücke bearbeiten, Maschinen ein- und abschalten und jene Tätigkeiten ausführen, zu denen heute nur Menschenfinger imstande sind.

Freilich: diese Vorstellung ist heute keine Utopie mehr. Die Walzstraßen in den großen Eisenwerken sind bereits fast menschenleer. Und die händische Steuerung der rotglühenden Stahlplatten auf ihren gleitenden Rollen wird gleichfalls schon bald von Computern übernommen werden. Nur noch fünf Mann sind in der neuesten ESSO-Raffinerie in Fawley/England notwendig, um ih vierundzwanzig Stunden 2,3 Millionen Liter Benzin zu erzeugen. Maschinen werden mechanische menschliche Tätigkeiten in noch schnellerem Tempo ersetzen, als dies bereits in den letzten Jahrzehnten der Fall war. Freilich: die Probleme solcher vollautomatischer Industrien werden nicht geringer sein. Die Möglichkeit des technischen Gebrechens bleibt bestehen. Milliardenbeträge können dadurch verlorengehen, daß — außer von Spezialisten — kaum noch Reparaturen an den hochwertigen Automaten durchführbar sind. Und was geschieht etwa, wenn eine Grippewelle die zwei oder drei vorhandenen Steuerungsspezialisten ans Krankenbett fesselt? Immerhin: der Hilfsarbeiter der Zukunft wird zum technisch versierten Steuerungsfachmann, der heutige Arbeiter zum Ingenieur. Auf dem Weg zu dieser Entwicklung allerdings geraten Politiker und Psychologen, die Manager der Wirtschaft und die Vertreter der Arbeiter in ein Spinnennetz der Probleme. Die Umschulung und Berufsfortbildung stellt neue Aufgaben und fordert neue, radikalere Wege der Bildungspolitik. Noch sind in Österreich die Weichen nicht gestellt. Weder ge-setzlich noch organisatorisch, weder finanziell noch technisch sind die Voraussetzungen da, Arbeiter ganzer Industriftgruppen auf neue Tätigkeiten und neue Arbeitsmethoden umzuschulen.

Vor allem deshalb ist zu erwarten, daß der rapide Umstellungsprozeß der Wirtschaft eine strukturelle Arbeitslosigkeit — die theoretisch auch größere Ausmaße annehmen kann — hervorrufen wird.

Die letzte Konsequenz dieser Strukturrevolution bedeutet für tausende im Arbeitsprozeß stehende Menschen persönliche Tragödien. In Österreich kommen noch Faktoren hinzu, die in den stärker industrialisierten Ländern der Welt nicht allzu kraß auftreten, denn der Anteil der in der Landwirtschaft Tätigen ist in Österreich relativ hoch. Das österreichische Raumordnungskonzept sagt voraus,adaß in den nächsten 10 Jahren rund fünfzigtausend landwirtschaftliche Vollerwerbsbetriebe ihre Tätigkeit einstellen müssen. Dort, wo das bäuerliche Unternehmen bereits jetzt nur Zusatzerwerb bedeutet, wird die Verlustzahl noch größer sein: nämlich an die 150.000. Nun vergrößert die Zahl der aus der Landwirtschaft Abwandernden normalerweise das Reservoir von Hilfsarbeitern. An Hilfsarbeitern wird aber In der Industriegesellschaft der Zukunft der geringste Bedarf sein. Österreich hat auch einen hohen Anteil an gewerblichen Klein- und Kleinstbetrieben und, in der Form des „Greißlers“, am Kleinhandel. Zwar hat das spezialisierte Gewerbe — etwa auch das Ausbesserungsgewerbe — nach wie vor Lebenschancen; aber alles in allem wird die Konzentration durch den verschärften Wettbewerb weitere Berufsgruppen für neue Tätigkeiten freistellen. Die Umschulung bereitet aber gerade dem Kleinhandwerker und dem Kleinhändler Schwierigkelten.

Der Berufswechsel wird nicht selten in den nächsten Jahrzehnten auch einen Ortswechsel erzwingen. Die Mobilität wird dahat ein noch unvorstellbares Maß annehmen. Immerhin erfaßt die Binnenwanderung in Österreich schon jetzt jährlich 140.000 Menschen oder 2 Prozent der Gesamteinwohnerschaft. Vor allem werden es natürlich die Zentralräume Sein, die neue Arbeitskräfte anziehen. Die Raumplanung rechnet mit einem Anwachsen der österreichischen Zentralräume bis 1980 um folgende Prozentsätze der Einwohnerschaft (auf Grundlage der letzten Volkszählung):

Zentralraum Wien, Niederösterreich, Burgenländ + 1% Oberösterreichischer

Zentralraum + 18%

Steiermärkischer

Zentralraum + 4%

Tiroler Zentralraum +24%

Kärntner Zentralraum + 10%

Salzburger Zentralraum +33% Vorarlberger Zentralraum + 49% Schon heute ist das Einkommensniveau in diesen industriell bestimmten Zonen höchst unterschiedlich. So ist das Inlandsprodukt pro Kopf des Erwerbstätigen in Vorarlberg um 9 und in Salzburg um 5 Prozent höher als der österreichische Durchschnitt, im agrarischen Burgenland hingegen liegt es um 36 Prozent darunter.

Auch in Österreich zeichnen sich klare Tendenzen zur räumlichen Umschichtung, zur Vergrößerung der Mobilität und zur Verstärkung der Industriezonen ab. Die Wirtschaft der Zukunft wird die Beschäftigungsprobleme einer zur ständigen Veränderung gezwungenen Arbeitnehmerschaft allerdings auf verschiedene Weise ausgleichen müssen, soll nicht am Ende das gesamtwirtschaftliche Gefüge durch Arbeitslosen- oder Hilfsarbeiterheere gestört werden.

Das weltweite Problem wird vor allem durch eine ständige Verkürzung der Arbeitszeit entschärft werden. Der Direktor der International-La-bour-Organisation, Morse, rechnet damit, daß bis 1990 die Dreißig- bis Fünfunddreißig-Stunden-Woche eingeführt und der vierwöchige Urlaub üblich sein wird. Auch die Teilzeitbeschäftigung wird neue Möglichkeiten eröffnen.

Vor allem aber wird die Industrie selbst daran interessiert sein, daß ihre Räder nicht durch das Nachlassen der Kaufkraft breiter Massen -stillstehen. Der Verschleiß der industriellen Konsumgüter wird für die Auslastung vieler Sparten sorgen. Die „Wegwerfkleider“ oder die Tendenz zum neuen Auto in immer kürzeren Abständen weisen bereits den Weg. Auch wird eine differenziertere Freizeütindustrie neue Gewohnheiten und Bedürfnisse schaffen und damit neue Produkte oder Dienstleistungen stimulieren. Schließlich ist die Mode Garantie dafür, daß ständig neue Veränderungen der Produktionsprogramme für Arbeit sorgen. Die Werbung weckt durch ihre „geheimen Verführer“ schon heute ständig neuen Bedarf bei Millionen Konsumenten und wird in zunehmendem Maße als Regulierungsfaktor der Konjunktur der Zukunft anzusehen sein. Und schließlich ist für die Industriestaaten auch die Entwicklungshilfe an die Dritte Welt eine Möglichkeit zur Sicherung der Arbeitsplätze der eigenen Bevölkerung.

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