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Keine falschen Alternativen!

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Österreich begann das’Jaihr 1975, das das letzte Viertel des 20. Jahrhunderts einleitet,: mit Skepsis: Nach einer IMAS-lJm- frage zur. Jahreswende sieht ein Drittel der Bevölkerung dem Jahr 1975 mit Sorge, eih Drittel mit Skepsis und bloß ein Drittel mit Zuversicht entgegen, der Konjunkturtest des Wirtschaftsforschungsinstitutes meldet gedämpfte ‘Produktionserwartungen und schlechtere Auftragsbeyrteilung der Unternehmer.

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Österreich begann das’Jaihr 1975, das das letzte Viertel des 20. Jahrhunderts einleitet,: mit Skepsis: Nach einer IMAS-lJm- frage zur. Jahreswende sieht ein Drittel der Bevölkerung dem Jahr 1975 mit Sorge, eih Drittel mit Skepsis und bloß ein Drittel mit Zuversicht entgegen, der Konjunkturtest des Wirtschaftsforschungsinstitutes meldet gedämpfte ‘Produktionserwartungen und schlechtere Auftragsbeyrteilung der Unternehmer.

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Zuviel Hiobsbotschaften sind in letzter Zeit auf uns niedergeprasselt: Die Verschärfung des Konfliktes zwischen entwickelter und Dritter Welt, die Weltuntergangsprognosen des Club of Rome, die Verdoppelung der Rohstoffpreise, die Erdölkrise, die Verlangsamung des Wachstums in den Industriestaaten bei drastischer Beschleunigung der Inflation. Die Wohlstandsgesellschaft setzt das alles in die unreflektierte Angst um, daß es schlechter werden müsse. In undifferenzierter Schwarzweißmalerei werden als Alternativen Nullwachstum oder Selbstzerstörung des Raumschiffs Eide, Energiesparen oder Ausverkauf des Westens, Übergang zu weltweitem Denken und Planen oder Untergang der westlichen Zivilisation gestellt. Tatsächlich ist jedoch die Welt komplizierter und ihre Probleme differenzierter.

Ein kurzer Rückblick zur Standortbestimmung. Vor 25 Jahren, am Beginn des dritten Viertels des 20. Jahrhunderts, schrieb das österreichische Institut für Wirtsehafts- forschung: „Obwohl die im Rahmen des ERP eingeführten Lebensmittel und die Hausbrandkohle — ungeachtet der Wechselkursänderung — weiterhin au den bisherigen Preisen abgegeben werden… ist der Lebenshaltungskostenindex vom September 1949 bis aum Jänner 1950 um rund 8 Prozent gestiegen“ (das entspricht einer Jahrespreissteigerungsrate von rund 30 Prozent), „hat sich in den letzten Monaten der Reallohn doch spürbar vermindert. Der wachsende Abstand zwischen Preisen und Löhnen hat in der Arbeiterschaft begreiflicheiweise Beunruhigung hervorgerufen… die Wirtschaftspolitik steht damit neuerlich vor der schwierigen Aufgabe, zwischen den konkurrierenden Ansprüchen einzelner Interessensgruppen an das Sozialprodukt einen Ausgleich zu finden..Die Arbeits- losenrate betrug damals 10 Prozent. Trotz dieses schwierigen Beginns stieg das reale Bruttonatdonalpro- dukt in den folgenden 25 Jahren auf das Zweieinviertelfache, verzehnfachte sich die Zahl der Kraftfahrzeuge und verbesserte sich die Ausstattung der dauerhaften Konsumgüter in solchem Maße, daß heute nahezu jeder Haushalt über Radio, Fernsehgerät und Kühlschrank verfügt. Und nicht nur für die Industrieländer fiel etwas ab, die Lebenserwartung des Inders stieg von 30 auf 50 Jahre und die Kindersterblichkeit in Asien sank auf zwei Drittel ihrer Prazentzahl in den fünfziger Jahren. Es ist nicht zu leugnöi, daß der große wirtschaftliche Sprung nach vorne mit einem Raubbau ah den Rohstoffen verbunden war, daß das Wachstum undifferenziert auch Bereiche ergriff, wo es weniger wünschbar war, und daß nur ein Bruchteil der Probleme gelöst werden kannte. Aber die Entwicklung im vorangegangenen Vierteljahrhundert zeigt, daß die Alternative nicht „Wachstum“ oder „Untergang“, sondern „Wachstum um jeden Preis“ oder „Wachstum im Rahmen des Möglichen“ lautet Es geht um die Frage, ob wir in dem vor uns liegenden vierten Viertel des 20. Jahrhunderts weiterhin mit 5*/« Prozent wachsen können, wie das im dritten der Fall war, oder ob wir das Wachstum auf 3 bis 4 Prozent einschränken müssen. Das ist die Alternative und nicht die Alternative Nullwachstum oder Untergang.

1975, das erste Jahr des letzten Quartals des Jahrhunderts, wird sicherlich kein problemloses Jahr, aber doch weniger kompliziert sein als 1950. Das Wachstum hat sich im Laufe des letzten Jahres verlangsamt, seif dem vergangenen Herbst ist die Konjunktur eher flau. Der Exportboom ist abgerissen, die Investitionsneigung schwach, Lager werden abgebaut. Diese Abschwächung der Konjunktur ist zwar prophezeit, aber nicht geglaubt worden. Nun ist sie da, die Prognosen werden nach unten revidiert. Das größte Kapital Österreichs, um schwierige Situationen zu bewältigen, ist immer die Vernunft der Österreicher gewesen, die politische Reife des österreichischen Volkes, die es ermöglicht, vernünftige Lösungen durchzusetzen. 1975 wird sich das Wachstum sicherlich abschwächen, eine wesentliche Verringerung der hohen Inflatiansrate ist nicht zu erwarten. Trotzdem: Unser Land hat gute Chancen,’ die Flaute zu überwinden, wenn wir uns nicht überschätzen und vernünftig bleiben.

Die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums, das Anhalten der hohen Inflationsraten und die Fol gen der meist allerdings überschätzten Erdölverteuerung verlangen von uns in der näheren und ferneren Zukunft zahlreiche schwierige Entscheidungen. Die beiden Probleme, die schon in nächster Zeit gelöst werden müssen, sind die Probleme der Budgetfinanzierung und der Stabilisierung. Der Bundeshaushalt ist in eine schwierige Lage geraten, teils durch immer neue Belastungen, teils aber auch deswegen, weil die Inflation zwar die Staatsausgaben in die Höhe schnellen ließ, die infla- tionisbedingte Steigerung des Steueraufkommens zumindest teilweise bei den direkten Steuern aber durch Steuersenkungen kompensiert werden sollte. Die Budgetdefizite, die daraus entstehen, sind nicht nur höher als konjunkturell zu vertreten ist, sie stoßen auch an Grenzen d r in- und ausländischen Finanzierungsbereitschaft, die schon aus psychologischen Gründen nicht allzu deutlich überschritten werden sollten. Die Rückführung der hohen Inflationsraten wird durch den Umstand erschwert, daß ein erheblicher Inflationsrückstau dadurch entstanden ist, daß zahlreiche amtlich geregelte Preise schon relativ lange festgenagelt sind, so daß in diesem Bereich ein erheblicher Nachholbedarf an Preissteigerungen besteht. Die Meisterung der Budfeetprohleme wird nicht einfach sein. Das Zah- luiigsbilanzproblem, das sich aus der Schere zwischen der Belastung durch höhere ölkosten und den rückläufigen Einnahmen aus dem Reiseverkehr ergibt, ist kurzfristig angesichts ‘Unserer Devisenreserven und der rasch zunehmenden Auslandsverschuldung unproblematisch.

Auf etwas längere Sicht werden wir allerdings mehr von den in Österreich produzierten Gütern exportieren und somit einen Teil unserer Einkommen für Exporte abzwei- gen müssen. Daß daraus emste Verteilungsprobleme entstehen können, wenn das für die Verteilung verfügbare Güter- und Leistungsvolumen nicht mehr um 5V2 Prozent wächst wie in den letzten 25 Jahren, sondern bloß nur um 3 Prozent, braucht nicht besonders erwähnt zu werden. Unsere Sozialpartnerschaft ist ein sehr empfindliches Instrument, das nicht überfordert werden darf. Sie hat gezeigt, daß sie mit Inflationsraten unter 5 Prozent gut zu Rande kommen kann; mit der Beschleunigung der Inflation sind aber auch die Spannungen in der Paritätischen Kommission gestiegen. Wenn jetzt zu diesem" Druck aüch noch schärfere Auseinandersetzungen um die Etoikammensverteilung kommen, weil der zur Verteilung verfügbare Kuchen langsamer wächst, könnte das die Zusammenarbeit ton Sozialpartnerbereich erheblichen Belastungen aussetzen. Nun gehört aber die Sozialpartnerkooperation zu den Stärken des „österreichischen Systems“, und es ist zu hoffen, daß es gelingt, mit diesen Spannungen fertig zu werden, ohne daß die Existenzfrage gestellt wird. Wir beginnen das ‘letzte Viertel des 20. Jahrhunderts somit durchaus nicht ohne Probleme, aber es sihd Probleme, die eher kleiner sind als die, die 1950 — am Beginn des dritten Viertels Unseres Jahrhunderts — vor uns lagen. Weder htonmalstürmender Optimismus noch schwarzer Pessimismus werden in den kommenden Jahren gefragt sein, sondern die Bereitschaft zu harter Arbeit und das ernste Bemühen, gemeinsame Probleme gemeinsam zu lösen.

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