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Wirtschaftskrise als Chance sehen!

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Der Verfasser, Nationalratsabgeordneter der FPÖ, hat eben im Verlag Orac (Wien) das Buch „Die arbeitslose Gesellschaft“ herausgebracht, dessen Thematik auch die folgenden Gedanken umkreisen.

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Der Verfasser, Nationalratsabgeordneter der FPÖ, hat eben im Verlag Orac (Wien) das Buch „Die arbeitslose Gesellschaft“ herausgebracht, dessen Thematik auch die folgenden Gedanken umkreisen.

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In der aktuellen Diskussion über die zunehmende Arbeitslosigkeit in den Industrieländern breitet sich mehr und mehr Bestürzung ob der Feststellung aus, daß die Raten des jährlichen Wirtschaftswachstums, von dem alles Heil erwartet wird, zusehends dahinwelken. Während die offizielle Wirtschaftspolitik der Regierungen unisono mit den institutionalisierten Interessenvertretungen der Arbeitgeber wie der Arbeitnehmer von der Auffassung ausgehen; zur Aufrechterhältimg der Vollbeschäftigung bödürfe es efries regelmäßigen Wirtschaftswachstums von drei bis vier Prozent jährlich, rutscht das tatsächliche Wachstum spürbar unter diese Marke.

Die jüngst erst wieder nach unten revidierten Prognosen etwa für Österreich pendeln zwischen null und zwei Prozent. Wenn die offiziell vertretene Auffassung recht hat, folgt aus dieser Entwicklung eine Zunahme der Arbeitslosigkeit.

In der Tat besagen dies auch einschlägige Untersuchungen aus jüngster Zeit. Für Österreich ortet das Institut für Wirtschaftsforschung in seiner Arbeitsmarktvorschau bis 1991 eine kritische Entwicklung der Beschäftigungsverhältnisse. In der Bundesrepublik Deutschland gelangt Pestel in seiner Studie „Das Deutschland-Modell“ zu der Schätzung von möglicherweise 2,5 Millionen Arbeitslosen bis 1985.

Die Furcht vor wachsender Arbeitslosigkeit überlagert die schon früher begonnene Diskussion um die Grenzen des Wachstums, um Rohstoff- und Energieverknappung sowie um die Zerstörung der Umwelt. Die Angst vor Unterbeschäftigung bewirkt eine Tendenz, all das nun zu ignorieren und sich an den Strohhalm bislang bewährter Rezepte zu halten, also einfach weiterzumachen, etwa nach dem Motto: „Hauptsache Wachstum - egal wie.“

Wenn man diese Erscheinungen in ihrer Vernetzung analysiert, wie ich das in meinem Buch „Die arbeitslose Gesellschaft“ versucht habe, öffnet sich der Blick für den bis dahin kaum bemerkten Aspekt, daß gerade die Energie- und Rohstoffkrise eine große Chance für die Wirtschaft bedeuten. Die Bewältigung dieser Krisen, richtig in Angriff genommen, erschließt neue Wege zur Vollbeschäftigung. Den Umweltschutz im weitesten Sinne mit einzubeziehen, bedeutet kein Hemmnis, sondern vergrößert noch die Be-schä ftigungsmöglichkeiten. Mittlerweile existiert eine ganze Reihe von Studien, die enorme Beschäftigungsmöglichkeiten im Rahmen einer entsprechend konzipierten Umweltpolitik nachweisen.

Hinter dem Problem der sich infolge

mittel- und langfristiger Verknappung verteuernden Rohstoffe verbirgt sich auch die Chance einer sinnvollen Kaufkraftübertragung von den Industrieländern auf die Entwicklungsländer der Dritten Welt. Eigentlich sollte seit dem Vorliegen der großartigen, im Auftrag der UNO erarbeiteten Studie von W. Leontief über „Die Zukunft der Weltwirtschaft“ (deutsch 1977) über Entwicklungshilfe: nicht mehr debattiert iy.erdwv ohne die Erkenntnis mit einzubezjehen, daß selbst eine wesentlich umfähgreicnere ^Entwicklüngs*-hilfe als heute nicht an die Bedeutung heranreicht, die die Preisbildung für Rohstoffe und aridere Produkte aus der Dritten Welt für diese besitzt.

So paradox es klingen mag: Gerade in steigenden Rohstoffpreisen liegen Möglichkeiten für die Beschäftigung in den Industrieländern, welche in Wahrheit größer sind, als die aus der Verteuerung befürchteten Nachteile. Wachsende Märkte bietet die Dritte Welt - wenn sie kaufkräftig gemacht wird.

Meist falsch gesehen wird die Ölkrise des Jahres 1973. Sie war ein Vorbote der auf uns zukommenden allgemeinen Energiekrise, nicht aber die Ursache für die sich danach entwik-kelnde Wirtschaftsflaute. Deren Wurzeln liegen in den Aufbaujahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. In diesen wurde eine imponierende Produktionskapazität der Wirtschaft geschaffen, die heute leisturigsbereit Vor - geschichtlich erklärbar - immer mehr gesättigten Märkten steht. Das ist unser Dilemma.

In dieser Situation erscheint die sich abzeichnende Notwendigkeit, praktisch unsere gesamte Energieversorgung umzukrempeln und auf neue Technologien umstellen zu müssen, unter beschäftigungspolitischen Gesichtspunkten beinahe als Glücksfall. Freilich muß das erst richtig begriffen und dann in zielführende Konzepte umgemünzt werden.

Persönlich schließe ich mich der Meinung jener Fachleute an, die eine Entkoppelung des Wirtschaftswachstums vom damit verbundenen Einsatz an Rohstoffen und Energie für absolut unvermeidlich halten. Ist dann aber Wirtschaftswachstum überhaupt möglich?

Die Beantwortung dieser Frage führt tief in die Theorie vom wirtschaftlichen Nutzen und von der Produktivität. Daher sei hier ohne jede Ableitung das Fazit aller Analysen trocken in den Raum gestellt: Weiteres Wirtschaftswachstum ist möglich, insoweit es auf der Steigerung des immateriellen Nutzens aus materieller Produktion beruht.

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