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Hoffnung aus Alternativen

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Völker-, Arten- und Landschaftsmord, Zerstörung ökologischer und kultureller Ordnungen: So kennzeichnet der Autor die heutige Lage. Es gäbe allerdings Auswege ...

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Völker-, Arten- und Landschaftsmord, Zerstörung ökologischer und kultureller Ordnungen: So kennzeichnet der Autor die heutige Lage. Es gäbe allerdings Auswege ...

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Bei der Frage nach der Alternative geht es, ungeachtet aller berechtigten Emotionen gegenüber dem herkömmlichen Ansatz von Technik, nicht um prinzipielle Technik- und Wissenschaftsfeindlichkeit. Die Frage nach der Alternative zielt auf grenzenbewußte, gleichgewichtsorientierte, sozial- und umweltverträgliche Technik und unmittelbar mit ihr verbunden auf eine ebensolche Wirtschaftspraxis.

Diese Orientierung muß auf sehr verschiedenen Ebenen trainiert werden, auf der technologischen, auf der wirtschaftlichen, aber auch auf der Ebene des per-

sönlichen Konsumverhaltens. Und schließlich ist die Frage nach der Alternative unabtrennbar verbunden mit der Frage nach unserem Politikstil und Politikverständnis.

• Das Konzept einer alternativen technologischen Praxis wurde im zurückliegenden Jahrzent am intensivsten am Beispiel der Energietechnik diskutiert. Die klassische Energiepolitik war angebotsorientiert. Sie machte den Versuch, durch ein ständig steigendes Primärenergieangebot — über immer mehr und über immer größere Kraftwerke — wirtschaftliches Wachstum anzureizen.

Bürger und Wissenschafter verwiesen auf die Vorzüge einer Energiepolitik, die auf der Grundlage konsequent verbesserter Energienutzung aufbaut, die alten Versorgungsstrukturen dezentralisiert und schrittweise die Erschließung erneuerbarer Energien betreibt. Zahlreiche Studien belegen, nicht zuletzt die Berechnungen der Energie-Enquete des Deutschen Bundestages, daß auf diese Weise Wachstum des Bruttosozialprodukts bei sinkendem Primärenergiebedarf gewährleistet werden kann.

Das Umweltbundesamt legte eine Studie über die Auswirkungen verstärkter Energieeinsparungen vor. Die Studie beziffert das durch ausgewählte Maßnahmen rationellerer Energienutzungen bis 1995 für die Bundesrepublik erreichbare Energieeinsparpotential auf 12,3 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten. Das sind rund 4,6 Prozent des dann erwarteten Energieverbrauchs.

Besonders wichtig sind die Nebeneffekte, die durch diese Strategie erreicht werden können. Durch die verstärkte Wärmedämmung im Raumwärmebereich könnte der Schadstoffausstoß bei den Haushaltsheizungen um rund 12 Prozent vermindert werden. Durch Ausschöpfung dieser Energieeinsparpotentiale könnten bis 1995 jährlich etwa 70-90.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden.

Das Beispiel zeigt sehr schön, wie unmittelbar bei Energieeinsparstrategien soziale und ökologische Verträglichkeit miteinander gekoppelt sein können.

• Zur alternativen Orientierung des wirtschaftlichen Handelns gehört als Grundvoraussetzung das Prinzip der Kostenehrlichkeit. Nach wie vor gehen in die Berechnungen des Bruttosozialproduktes die sekundären Kosten in der Gestalt von Umweltbelastung und Beeinträchtigung der öffentlichen Gesundheit nicht mit ein. So kam es, daß wir in den vergangenen Jahren immer wieder auf geschönten Bilanzen aufbauen mußten. Es gibt erste Versuche, die sekundären Kosten unter der Kategorie der „defensiven Ausgaben" zu erfassen.

Am Beispiel des Waldsterbens sehen wir, wie schwer diese Kosten zu erfassen sind. Der ökonomische Wert der Wälder in der Bundesrepublik wird auf 150 bis 200 Milliarden DM (1.100 bis 1.500 Milliarden Schilling) geschätzt. Eine zehnprozentige Schädigung der Wälder bedeutet einen direkten ökonomischen Verlust von 15 bis 20 Milliarden DM. Der gesamtökologische Schaden ist ungleich höher.

Hier ist zu bedenken, daß bei fortschreitendem Waldsterben, womit zu rechnen ist, gravierende Schäden im Bereich von Boden, Wasser und Klima auftreten werden. Wer sich um eine Bilanzierung dieser Schadensfolgen herumdrückt, findet nicht die Kraft, konsequent auf eine ökologische Orientierung der Volkswirtschaft zuzugehen.

Insgesamt ginge es darum, für die Marktwirtschaft einen ökosozialen Verpflichtungsrahmen verbindlich zu machen. Hierzu bedarf es vieler Schritte, die über Gesetzesveränderungen, Auflagen, Abgaben, Verschärfung der Grenzwerte, Staffelung der Tarife u. a. erfolgen müßten.

• Zur alternativen Umorientie-rung im Bereich von Wirtschaft und Technologie gehört nicht zuletzt auch eine Veränderung des Lebensstils und der damit verbundenen Konsumeinstellung. Um was es hierbei geht, läßt sich am Beispiel der „ökumenischen Initiative — Eine Welt" am besten erläutern.

Die Mitglieder dieser Initiative gehen von der Voraussetzung aus, daß der Zustand der Umwelt und die wirtschaftliche Situation der Entwicklungsländer von unserem Lebensstil abhängig sind. Ob wir Energie verschleudern oder nicht, ob wir mehr und mehr zur Ernährung mit viel Fleisch tendieren und eine entsprechende landwirtschaftliche Produktion betreiben, ob wir Rohstoffe vergeuden u. a., alles dieses wirkt sich auf die Entwicklungsländer aus.

Dieses ernstnehmend haben die Mitglieder der „ökumenischen Initiative — Eine Welt" begonnen, Energie zu sparen, pflanzliche Nahrung vorzuziehen, dem Wegwerfkonsum entgegenzuarbeiten. Die auf diese Weise eingesparten Kosten werden von den Mitgliedern der Initiative zur Unterstützung von Entwicklungshilfeprojekten eingesetzt. • Schließlich stellt uns der programmatische Anspruch der Alternativbewegungen vor die Frage nach unserem Politikverständnis. Wir haben es in den letzten Jahren erlebt, daß trotz Umweltschutz und Krisenbewußtsein im Namen von Recht und Ordnung zahlreiche Zerstörungen — Flurbereinigung, Kanal-, Flughafen-, Straßen- und Kraftwerksbau — staatlicherseits veranlaßt wurden.

Der Staat droht an seiner Unfähigkeit zu scheitern, gegenüber dem Herrschaftsdruck der nationalen und internationalen Kräfte das Gemeinwohl sozial und ökologisch zu gewährleisten. Die Legitimität staatlichen Handelns höhlt sich auf diese Weise aus, und der Bürger, der sich dieser Entwicklung entgegenzustem-men versucht, steht im Konflikt zwischen Legalität und Legitimität.

Gerade diejenigen, denen der Rechtsstaat am Herzen liegt, stehen heute vor der Notwendigkeit, durch letzte Schritte gewaltfreien zivilen Ungehorsams die Defizite im staatlichen Handeln aufzu-mahnen. Die Verlagerung staatlicher Entscheidungen von den Parlamenten in die Administrationen und in den Bereich wirtschaftlicher Interessen erschwert die Chancen der Bürger, durch ihren Einspruch Einfluß auf diese Fehlentwicklungen zu nehmen. Dennoch muß über neue Möglichkeiten der Partizipation — sei es durch Volksbegehren, Verbandsklage u. a. - weiter nachgedacht werden.

Auszug aus einem Referat des Autors im Rahmen des Symposiums „Die Lust am Untergang", das vom ORF-Landesstudio und vom Bundesland Salzburg vom 2. bis 4. Mai 1984 in Salzburg veranstaltet wurde.

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