Es ist gegenwärtig nicht einfach, die Lage der westlichen Wirtschaft zu bestimmen, wenngleich allenthalben Auftriebstendenzen vorschlagen. Prognosen zu stellen, ist unter diesen Umständen gewagt. Schwierig ist es vor allem, die Frage zu beantworten: Geht es aufwärts, abwärts oder stagniert die Wirtschaft?, wobei letzteres der Abwärtsentwicklung zugeschlagen werden kann. Zu sehr ist im Augenblick die Bewegungsrichtung von Saisoneinflüssen und lagerzyklischen Veränderungen überdeckt. Sollte neuerlich eine Abwärtsentwicklung deutlich werden, würde man sicher aus politischen Gründen mit massiven staatlichen Eingriffen die Konjunktur wieder zu beleben suchen.
Umfang und Herkunft der jüngsten Konjunkturabschwächungen sind bekannt. Ihr Mittelpunkt lag in den Vereinigten Staaten. In Europa kann man, von einigen Zweigen, wie zum Beispiel vom Bergbau, abgesehen, höchstens von einer Verlangsamung oder Stagnation des Wirtschaftswachstums sprechen.
Wenn eine grundsätzlich kapitalistisch organisierte Wirtschaft, wie die westliche, oder vielleicht zutreffender ein kapitalistisches Mischsystem, in dem sowohl öffentliche als auch private Einrichtungen Einfluß auf den Wirtschaftsablauf ausüben, in eine Krise gerät, werden vielerlei Belebungen empfohlen. Im wesentlichen lassen sich aber alle Empfehlungen indes in zwei große Gruppen zusammenfassen. Die einen wollen, daß der Staat weniger Einfluß auf die Wirtschaft nimmt: die anderen wieder wollen, daß der Einfluß des Staates verstärkt wird. Auch in der zweitgenannten Gruppe, der heute die überwiegende Mehrzahl der Oekonomen angehört, gehen die Meinungen weit auseinander. Von extrem neoliberalen Theoretikern, die schweren Herzens einige milde marktkonforme Maßnahmen empfehlen, bis zu Dirigisten, die das Heil in massiven Eingriffen suchen, die keinesfalls marktkonform sein müssen, sind alle Schätzungen vertreten.
Typisch war dafür die Depression indenVer- einigten Staaten. Diesmal reagierten die Regierungsstellen schon ziemlich rasch auf die krisenhafte Entwicklung. Das bedeutet zwar nicht, daß der Konjunkturzyklus bereits unter Kontrolle steht, wohl aber, daß man einer Regulierung doch nähergekommen ist, als es noch vor gar nicht langer Zeit denkbar war. Die Maßnahmen, die zur Wiederbelebung der Konjunktur durchgeführt wurden, waren relativ bescheiden: Senkung der Diskontsätze, ein gegenüber den Zeiten der guten Konjunktur etwas ausgeweitetes Bauprogramm und eine mäßige Beschleunigung der Rüstungsausgaben. Weitergehende Maßnahmen, wie ein öffentliches Bauprogramm, Steuersenkungen und dergleichen, wurden zwar diskutiert und zurfi Teil auch befürwortet, aber nicht durchgeführt, da man glaubte, daß die gesetzten Maßnahmen zur Belebung ausreichen.
Die Entwicklung in den Vereinigten Staaten zeigte, daß selbst eine konservative Regierung wie die gegenwärtige in den Vereinigten Staaten aktiv die Wiederbelebung der Konjunktur in Angriff nimmt und sich die Theorie von den vereinigenden Kräften einer Depression nicht zu eigen gemacht hat.
Die amerikanische Krise wurde im wesentlichen auf vier Ursachen zurückgeführt: die Einschränkung der Investitionen, die Entleerung der Lager, den Sturz der Automobilproduktion und den Rückgang der Ausfuhren. Am empfindlichsten reagierte die Industrieproduktion. Sie fiel in der kurzen Zeit vom Herbst 1957 bis April/Mai 1958 um 15 Prozent, erholte sich dann wieder rasch und hält gegenwärtig auf dem Stand wie etwa zu Beginn der Krise. Es zeigte sich aber eine bedenkliche Erscheinung:- die Erholung in der Industrieproduktion wurde nicht durch eine Erhöhung der Beschäftigtenzahl, sondern fast ausschließlich durch eine ungewöhnliche Steigerung der Arbeitsproduktivität erzielt, die mit 6 Prozent etwa das Doppelte des normalen Jahresdurchschnittes betrug. Das ist in erster Linie das Ergebnis der Verbesserung des Produktionsapparates vor Ausbruch der Krise. Nunmehr ist, nachdem die Depression offenbar überwunden zu sein scheint, die Rate der Arbeitslosigkeit höher als zu ihrem Beginn. Die technologische Massenarbeitslosigkeit wird zu einem brennenden Problem.
In Europa kam es in den meisten Staaten nur zu einer Verlangsamung oder Stagnation des Wirtschaftswachstums. Die Frühjahrssaison brachte vor allem durch die frühe Aufnahme der Bautätigkeit die erwartete Belebung. Die Arbeitslosigkeit nahm rasch ab. Trotzdem scheint es, als wäre die Belebung in der industriellen Produktion recht zögernd.
Die meisten europäischen Staaten schritten, als sich die Anzeichen einer Krise in den Vereinigten Staaten mehrten, rasch zu konjunkturbelebenden Maßnahmen, so daß die Rezession in erträglicheren Grenzen gehalten werden konnte als in Uebersee.
Immerhin lehrte die jüngste Vergangenheit, daß man wohl gelernt hat, einer Krise zu begegnen und daß man auch verhältnismäßig rasch handelt, daß es aber noch nicht gelungen ist, den Konjunkturzyklus unter Kontrolle zu halten, und weiter, daß es kaum mehr möglich sein wird, im Falle einer wirtschaftlichen Abschwächung ohne aktive staatliche Konjunkturpolitik auszukommen.
Nach wie vor harrt aber noch das Problem der Sicherung eines stetigen Wirtschaftswachstums einer Lösung. Wie kann ein optimales Wirtschaftswachstum erreicht werden, wobei die Frage, was als „optimales Wachstum” angestrebt wird, eine echte politische Entscheidung ist, auch wenn sie auf der Basis wirtschaftlicher, technischer und psychologischer Einsichten steht. Hat man sich aber einmal für eine Ordnung entschieden, müssen die ihr innewohnenden Gesetzmäßigkeiten hingenommen werden. Will man das nicht, muß man die Ordnung zumindest verändern. Ist die Entscheidung für eine marktwirtschaftliche Ordnung mit einer konsequenten Zurückdrängung der staatlichen Einflüsse auf die Wirtschaft gefallen, muß man sich auch den Preis dafür gefallen lassen. Man kann nicht die Freiheit der Arbeitsplatzwahl, die Freiheit der Einkommensbildung und die Freiheit der Investitionsentscheidungen wollen, auf der anderen Seite aber alle Schwierigkeiten, die mit diesen Freiheiten verbunden sind, ausschalten.
Beharrt man auf dem uneingeschränkten Gebrauch dieser Freiheiten, wird man Konjunkturschwankungen wahrscheinlich höchstens mildern, niemals aber beseitigen können. Es ist nun wieder eine politische Entscheidung, ob man glaubt, daß es möglich ist, eine derartige Ordnung halten zu können. Kommt man aber zu der Ueberzeugung, daß das nicht möglich ist, so muß man eine Ordnung suchen, die manche Freiheiten in irgendeiner Form einschränkt.
Da die politische Erfahrung die Unmöglichkeit zeigt, ohne staatlichen Einfluß auf den Wirtschaftsablauf auszukommen und jeder Einfluß unmittelbar oder mittelbar in irgendeiner Form die wirtschaftliche Freiheit einschränkt, müßte man versuchen, die Dahmenbe- dingungen eines gesteuerten kapitalistischen Mischsystems zu entwerfen und nicht fasziniert auf e ne unrealistische Wettbewerbsordnung mit höchsten wirtschaftlichen Freiheiten starren.
Der Ausspruch des amerikanischen Botschafters Conant: „Keine Demokratie Westeuropas übersteht eine große Krise” ist hart, aber sicher wahr, und es nimmt Wunder, daß es noch Debatten über das Thema, ob der Staat eine wirtschaftspolitische Aktivität entfalten soll oder nicht, gibt.
Die Verantwortung für das stetige, von ernsten Störungen freie Wachstum der Wirtschaft gehört zur gesamtpolitischen Verantwortung des . Staates, der eine Gesellschaft freier Menschen garantieren will. Das mag überraschend klingen. Aber Freiheit ist nur da, wo wir aufgeschlossen in der Spannung der Gegensätze unsere Möglichkeiten bewahren und im Wandel der Situation geschichtlich entscheiden. Offenbar wird im ökonomischen Bereich eine geschichtliche Entscheidung verlangt. Freiheit fordert aber auch Ueberwindung, und diese Ueberwindung geschieht durch die Bindung, die wir uns als einzelne im Zusammenhang mit den anderen auferlegen. Freiheit verwirklicht sich nur in der Gemeinschaft. Ich kann nur frei sein in dem Maße, wie die anderen frei sind. Aus diesem Wissen um die Freiheit ist es notwendig, scheinbar manche ihrer Positionen aufzugeben, um die Freiheit für die Gemeinschaft zu sichern.
Wir wissen, daß eine Zunahme der Investio- nen eine Ausweitung des Volkseinkommens zur Folge hat, eine Abnahme, eine Schrumpfung. Das einzige Niveau des Volkseinkommens, das wir als wünschenswert betrachten können, ist das bei Vollbeschäftigung oder zumindest in der Nähe der Vollbeschäftigung. Dieses hohe Beschäftigungsniveau ist aber nur dann erreichbar, wenn die Investitionen gleich den Vollbeschäftigungsersparnissen sind. Wenn nun die Vollbeschäftigungsersparnisse nicht stets durch private Investitionen oder wirtschaftspolitische Maßnahmen des Staates ausgeglichen werden, wird sich die Volkswirtschaft nicht lange des Genusses der Vollbeschäftigung erfreuen können.
Da nun, wie die Erfahrung lehrt, private Investitionen andauernd schwanken, ist es unumgänglich notwendig, daß der Staat diese Schwankungen ausgleicht. Die Instrumente, die dafür zur Verfügung stehen, sind die Finanzpolitik und die Währungspolitik. Eine wirtschaftspolitisch - und speziell wachstumspolitische Orientierung der Finanzpolitik ist für ein stetiges Wirtschaftswachstum eine conditio sine qua non. Damit ist aber noch nichts Positives über die Wirksamkeit finanzpolitischer Maßnahmen gesagt.
Grundsätzlich gilt, daß die heutige Höhe der Ausgaben und Einnahmen der öffentlichen Körperschaften diesen die Beeinflussung des Wirtschaftsablaufes nicht nur ermöglicht, sondern daß starke Rückwirkungen der Finartzgebarung auf die gesamte Volkswirtschaft unvermeidlich sind. Der Staatseinfluß nimmt derzeit zu. Daher wird auch der Finanzpolitik ihre Handlungs- reichweite zumindest im gegenwärtigen Ausmaße erhalten bleiben. Die theoretischen Grundlagen für den Einsatz finanzpolitischer Maßnahmen zur Erreichung wirtschaftspolitischer Ziele sind relativ neu. Als Regulator für den kurzfristigen Ausgleich der Konjunkturschwankungen wurde die „fiscal policy” entwickelt. Unter langfristigen Wachstumsaspekten betrachtet, ist darauf zu achten, daß mit Hilfe finanzpolitischer Maßnahmen, die auch öffentliche Investitionen beinhalten, ein gleichmäßiges Wachstum des Kapitalbestandes in geömetrischer Progression und daher eine konstante Investitionsquote erreicht wird.
Neben finanzpolitischen bedarf es auch währungspolitischer Bedingungen, um ein stetiges Wirtschaftswachstum zu sichern. Hier ist vor allem zu klären, welche Währungsfaktoren das Wachstum fördern können oder nicht beeinflussen.
Das Problem einer gelenkten Marktwirtschaft ist noch weit von einer Lösung entfernt. Noch zu viele Fragen sind offen. Die politische Entwicklung im Westen aber drängt unaufhaltsam in diese Richtung, und ės ist heute ohne Zweifel nicht mehr übertrieben, wenn wir schon von einer „Staatskonjunktur” sprechen, ein Bėgriff, der vielfach aus emotionellen Gründen nicht sehr gerne gebraucht wird. Aber es ist sinnlos, sich gegen eine notwendige Entwicklung -zu stemmen. Das zeigte ganz deutlich die jüngste Konjunkturabschwächung. Sinnvoll hingegen ist es, die Bedingungen einer gelenkten Marktwirtschaft theoretisch zu klären und ihre Verwirklichung nicht dem vordergründigen politischen Kräftespiel zu überlassen, sondern bewußt an der Gestaltung dieser Wirtschaftsordnung zu arbeiten.