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Budget und Stabilität

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Hinreichende finanzwirtschaftliche Maßnahmen. um einen hohen Beschäftigungsgrad ohne Inflation zu sichern, sind heute die wichtigsten Faktoren der modernen konjunktur- und wachstumspolitisch orientierten Finanzpolitik. Zur Zeit liegt für die meisten westeuropäischen Staaten, und im ganz besonderen Maße für Österreich, das Zentralproblem darin, dämpfend zu wirken und eine „Herunter-Stabilisierung“ durchzuführen, um den Gefahren eines ständigen Lohn- und Preisauftriebes entgegenzuwirken. In der derzeitigen konjunkturellen Situation müßte der Staatshaushalt so erstellt werden, daß von ihm restriktive Wirkungen auf den Wirtschaftsablaut ausgehen, da die gute Konjunktur auch in der kommenden Haushaltsperiode einen weiteren starken Nachfragezuwachs erwarten läßt. Eine der augenblicklichen Situation entsprechende antizyklische Finanzpolitik läßt sich aber in Österreich derzeit nicht durchführen. Um nun die mit der Sanierung des Budgets 1961 begonnene Stabilisierungspolitik fortzusetzen, muß das Budget 1962 einigermaßen konjunkturgerecht erstellt werden. Der nächste Schritt soll dann eine

Budgetpolitik mit einem gewissermaßen „automatischen Stabilisierungseffekt“ sein. Allerdings muß der Mechanismus für diese Budgetpolitik in der Praxis noch verfeinert und ausgebaut werden. In Zukunft sollen dann relativ geringfügige Schwankungen der wirtschaftlichen Tätigkeit, sei es in Richtung einer „Überbeschäftigung“ oder einer Depression, automatisch ausgeglichen werden, größere Schwankungen freilich werden immer nur durch zusätzliche Eingriffe in den Wirtschaftsablauf gemeistert und paralysiert werden können. Aber alle mit der Durchführung dieses Konzepts zusammenhängenden Maßnahmen können erst nach der erfolgten Konsolidierung der Staatsfinanzen energisch in Angriff genommen werden. Zunächst geht es darum, die zweite Phase der Konsolidierung, den Bundesvoranschlag 1962, so zu gestalten, daß er eine echte Grundlage für eine moderne und konjunkturgerechte Finanzpolitik darstellt.

Das Budget 1962 wird der Prüfstein sein, ob in Österreich eine sachgerechte, ein störungsfreies Wachstum unter stabilen Währungsverhältnissen garantierende Finanzpolitik getrieben werden soll, oder ob der Gruppenegoismus über den Sachverstand triumphiert und die Politik der Notlösungen zum Prinzip erhoben wird.

Worum geht es bei der Erstellung des Bundeshaushaltes für 1962? Der bereits im Juli

1961 fertiggestellte Rohentwurf des Budgets 1962, in dem noch verschiedene Forderungen offengeblieben sind, die in den nächsten Tagen und Wochen geklärt werden müssen, ist auf dem Prinzip aufgebaut, daß das Budget

1962 ökonomisch neutral sein muß, um die Stabilität der österreichischen Wirtschaft auch im kommenden Jahr zu sichern. Konkret bedeutet dies, daß im ordentlichen Haushalt kein Abgang aufscheinen darf, der nicht während des Haushaltsjahres durch Einsparungen beziehungsweise Mehreinnahmen beseitigt werden kann. Der präliminierte Abgang, das rechnerisch ausgewiesene Defizit des Voranschlages, muß daher mit etwa 1 Prozent der Gesamtausgabensumme begrenzt werden. Ebenso darf der durch außerordentliche Mehreinnahmen, wie zum Beispiel Anleiheerlöse, zu deckende Finanzierungsbedarf für die Investitionen, die im außerordentlichen Haushalt präliminiert sind, nicht höher sein als die im ordentlichen Haushalt für die Schuldentilgungen vorgesehenen Aufwendungen. Es ist daher geplant, daß die Staatsschuld 1962 nicht vergrößert werden soll. Wird der auf diesen Überlegungen aufgebaute Bundesvoranschlag 1962 Gesetz, dann besteht guter Grund zur Annahme, daß vom Budget 1962 keine entscheidenden Auftriebstendenzen ausgehen werden. Freilich, auch ein unter den eben erwähnten Bedingungen erstellter Bundesvoranschlag, darüber muß man sich im klaren sein, entspricht keinesfalls einem konjunkturpolitisch optimalen Budget, aber er wäre immerhin ein Schritt in Richtung auf eine konjunkturgerechte Budgetpolitik in den kommenden Jahren und könnte die notwendige Atempause für die Gestattung der künftigen Finanzpolitik ermöglichen.

Um zu einer zureichenden Qualifizierung der Bedeutung der Finanzpolitik zu gelangen, ist es nötig, sich einen Überblick über ihre Zielsetzungen zu verschaffen, die zeigen, wie gewichtig finanzpolitische Entscheidungen Struktur und Entwicklung der Gesellschaft beeinflussen. Es scheint, als würde dies häufig zuwenig beachtet.

Zunächst ist noch immer die traditionelle fiskalische Zielsetzung anzuführen, nach der die für die Erfüllung der Staatsaufgaben nötigen Mittel im ausreichenden Umfang und mit dem geringsten Aufwand zu beschaffen sind. Hinter dieser nüchternen Feststellung verbirgt sich ein gewaltiges . Problem. Die Staatsauf gaben sind in den letzten Jahrzehnten gewaltig angeschwollen, und bei neuen Aufgaben, die an den Staat herangetragen werden, muß sorgfältig geprüft werden, ob sie nicht wesentlichen Zielsetzungen der pluralistischen Gesellschaft widersprechen. Vor allem dem Freiheits- heitsprinzip, das gerade mit Hilfe der Finanzpolitik sehr leicht verletzt werden kann. Freilich geht es hier nicht um einen zu einer „soziotechnischen Kategorie“ degradierten Freiheitsbegriff, nicht um eine rein formale Prämisse eines wirtschaftsordnungspolitischen Konzepts, sondern um die sich inhaltlich durch die vorgegebene sittliche Wertordnung begrenzende Freiheit, die nahezu auf der gleichen Stufe steht wie die Gerechtigkeit, Sicherheit und Ordnung, wobei unter den letztgenannten Prinzipien auch eine katastrophenfreie wirtschaftliche Entwicklung einzuordnen ist.

Auch die Wohlstandszielsetzung muß mit Hilfe der Finanzpolitik verfolgt werden und vor allem die Gerechtigkeitszielsetzung. Es wird zwar immer schwer sein, anzugeben, was „gerecht“ ist und welche Maßstäbe angelegt werden sollen, um eine „gerechte Verteilung“ durchzuführen. Aber es ist heute wohl eine allgemein anerkannte Tatsache, daß der auch vollkommen funktionierende Marktmechanismus das Problem einer zureichenden personellen Einkommensverteilung nicht zufriedenstellend lösen kann. Die öffentliche Finanzwirtschaft nun kann diese nötige Umverteilung ohne tiefgreifende Störung des Marktmechanismus fördern, direkte Eingriffe sollen nur als „ultima ratio" angewendet werden. Allerdings auch hier werden die Grenzen des Möglichen leicht übersehen.

Eine derzeit in ganz besonderem Maße für Österreich bedeutsame Schlußfolgerung läßt sich aus der Gerechtigkeitszielsetzung, die mit Hilfe der Finanzpolitik verwirklicht werden soll, ableiten. Es kommt ohne Zweifel zu einer „ungerechten“ Verteilung, wenn das Preisniveau der Wirtschaft durch eine andauernde Übernachfrage in die Höhe getrieben wird. Abgesehen von einer Reihe anderer Nachteile ergibt sich aus ständiger Lohn- und Preisauftriebstendenz in der Regel eine Benachteiligung einzelner Bevölkerungsschichten zugunsten anderer.

Gerade von einem überforderten Budget her kommen beachtliche Auftriebstendenzen. Dadurch wird der Staatshaushalt seiner wichtigen stabilisierenden Funktion beraubt und eine sachgerechte Wirtschaftspolitik nahezu unmöglich gemacht. Daher muß in einer Hochkonjunktur dafür Sorge getragen werden, daß die Gesamtnachfrage durch ein aufgeblähtes Budget nicht weiter gesteigert wird und zu einer noch weiteren Konjunkturüberhitzung beiträgt. In der derzeitigen konjunkturellen Situation muß das Budget dämpfend oder zumindest neutral wirken. Das ist die wichtigste und entscheidendste Forderung, die an das Budget 1962 gestellt werden muß. Es wird für die wirtschaftliche Zukunft Österreichs viel davon ab- hängen, ob sich alle Interessentengruppen diesen Standpunkt zu eigen machen.

Die politische Willensbildung in einem demokratischen Staatswesen ist ein komplizierter Prozeß. Die vielen Instanzen, die hierbei mit- wirken, tragen eine große staatspolitische Verantwortung. Es ist daher in gewissem Sinne tragisch, daß gerade die sachgerechten finanzpolitischen Entscheidungen nicht immer die populären sind und das sachlich Richtige, das letztlich jeder Gruppe Vorteile bringt, nicht immer dem „gesunden Menschenverstand“ einleuchtet. Es bedarf einer großen Bildungsarbeit, um längst überholte finanzpolitische Dogmen durch moderne Erkenntnisse zu ersetzen. Denn es gilt ohne Einschränkung der Satz: Stabilität ist mit Sachverstand untrennbar verbunden. In unserer komplizierten sozialen Welt hat nur die sachverständige Politik auf die Dauer Chancen, die Probleme zu meistern. Das ist eine Wahrheit, der sich im Interesse der Stabilität

niemand verschlieben solte.

Die demokratische Willensbildur g ist trot ihrer Schwächen jeder anderen Art der politi-i sehen Willensbildung vorzuziehen. Die einzelnen Gruppen und ihre Vertretungen haben in diesem Prozeß einen wichtigen Platz und sollen mitverantwortlich mitentscheiden. Wenn es auch oft den Anschein hat, vor allem im politischen Tageskampf, als wären die Gruppeninteressen diametral, so zeigt es sich doch bei einer näheren Untersuchung, daß alle Gruppen im wesentlichen die gleichen Zielsetzungen verfolgen, wenn sie eip demokratisches Staatswesen und eine pluralistische Gesellschaft bejahen. Wenn man daher gewillt ist, den Sachverstand und nicht die populäre Forderung in der politischen Auseinandersetzung anzuwenden, wären alle Probleme viel leichter zu lösen.

Diese Überlegungen sind im Zusammenhang mit der Erstellung des Staatshaushaltes 1962 von weitreichender Bedeutung. Von jeder Gruppe müssen „Opfer“ im Interesse der Stabilität verlangt werden. Aber meines Erachtens kann man nicht von „Opfer“ sprechen, wenn es darum geht, ein störungsfreies Wirtschaftswachstum zu sichern. Der Staatshaushalt 1962 ist, das soll nochmals mit allem Nackdruck betont werden, ein echter Prüfstein für die Demokratie in Österreich. Gerade eine Regierungskoalition verschiedener Parteien kann einem Staat zum Vorteil gereichen, aber auch gewaltige Nachteile mit sich bringen, weil ständige Forderungen an den Staatshaushalt eine Kettenreaktion von weiteren Forderungen hervorrufen, die auch durchgesetzt werden, weil die meisten „pressure groups“ hierzu über ausreichende politische Machtmittel verfügen. Die Folge ist immer ein Abweichen vom Stabilitätskurs mit allen Nachteilen einer derartigen Politik.

Schon die nächsten Wochen werden zeigen, ob in Österreich der Sachverstand oder andere Überlegungen die Oberhand gewinnen. Das Budget ist das Instrument der Wirtschaftspolitik, und es darf in einem geordneten Staatswesen letztlich nur einem Ziel dienen: der Sicherung eines störungsfreien Wirtschaftswachstums in einer freien Gesellschaft.

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