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Sachgerechte Finanzpolitik

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Es ist nicht leicht, in Österreich Finanzpolitik zu treiben. Aber in welcher westlichen Demokratie ist das schon leicht? Das liegt gewissermaßen in der Natur der Sache. Wenn nun eine an sich schon komplizierte Angelegenheit in Österreich noch um einiges komplizierter als im Durchschnitt der vergleichbaren Staaten ist und die Folge davon schon Jahre dauernde Kalamitäten sind, dann ist das ein durchaus bedauerlicher Zustand, der keinesfalls geeignet ist, das Ansehen unseres Landes zu stärken. Es ist müßig, die Ursachen dieser Entwicklung im einzelnen darzustellen. Jeder, der einigermaßen aufmerksam die Wünsche, Forderungen und Stellungnahmen zu Budgetfragen, die so im Laufe eines Jahres laut werden, verfolgt, wird ohne Schwierigkeit erkennen, wie widersprüchlich, oft unsinnig viele von ihnen sind. Da wird in einem Atemzug die Förderung irgendwelcher Projekte, Personengruppen und Wirtschaftszweige mit der Forderung nach einer Einschränkung der Staatsausgaben verbunden, da wird

Finanzpolitik - gerufen, die freilich’ nur (1 lann , gesund wäre, , wenn , diese ■oder jene - Begünstigung eingeführf* oder aufrechterhalten würde.

Wie auf kaum einem anderen Gebiet der Politik ist die öffentliche Meinung in finanzpolitischen Fragen von „vorgeprägten Formeln“, stereotypen Urteilen beeinflußt, die meist nichts weniger als richtig sind. „Da die Übernahme einer geprägten For mel dem Zwecke dient, uns das Erlebnis des spannungsvollen ,Ich weif nicht' zu ersparen, ist es nur konsequent, wenn auch die Tatsache dei Übernahme weitgehend aus dem Bewußtsein verbannt wird.“ (P. R. Hofstätten „Die Psychologie der öffentlichen Meinung.“)

Immer wieder werden dauerhaft« stereotype und starre Vorurteile dei Bevölkerung eingehämmert, zum Teil weil die Verkünder dieser „Wahrheiten" selbst daran glauben, zum Teil weil sie für die Erreichung ihrer Ziele günstig sind. Und doch: Finanzpolitik ist Gesellschaftspolitik, aucli dann, wenn sie ein mühseliges Kompromiß widerstreitender Interessen ist, nicht bewußt gestaltet, sondern lediglich konstatiert, das Schiff nicht steuert, sondern nur über Wasser hält. Die Gefahr liegt auf der Hand. Sichet fährt man irgendeinen Kurs, und das Schiff ist stabil genug, um nicht zu sinken, aber wohin man fährt, wo man landen wird, das weiß man freilich nicht zu sagen.

Das ri stneianc

Es ist keine unlösbare Aufgabe, ein finanzpolitische Konzept, ayfssjellen, und es darf keine unlösbare Aufgabe sein, ein finanzpolitisches Konzept durchzuführen. Erfolg wird man abei nur haben, wenn das Konzept auf einer richtigen Diagnose der Situation aufbaut. wenn es nicht anachronistisch ist, die „durchhaltenden Richtlinien der Realität“ erkennt.

Es kann sich in unserer Zeit nicht mehr darum handeln, zum individualistischen Denken, zum „Etat gendarme“ und zum Automatismus der durch Staatseingriffe nicht „gestörten“ Marktgesetze zurückzukehren, sondern nur darum, eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu errichten, die auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet ein mögliches Höchstmaß an realer Dispositionsfreiheit sichert, ohne auf das System sozialer Sicherheit und ein stetiges Wirtschaftswachstum zu verzichten.

E. E. Nawroth OP. formuliert dieses Ziel der Wirtschaftsgesellschaft in seiner kritischen Auseinandersetzung mit der Wirtschaftsphilosophie des Neoliberalismus folgendermaßen:

„Die Wirtschaftsgesellschaft sichert den allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt bewußt dadurch, daß sie zwar weitmöglichst die Freiheit des wirtschaftenden Individuums achtet und fördert, ebenso aber auch die Belange des wirtschaftlich Schwachen oder Benachteiligten, also des ganzen Wirtschaftsvolkes, durch ordnewle: Eingriff egewälfrNistet, die sich nicht nur auf nachträgliche Korrekturen beschränken,“

Der öffentliche Haushalt besitzt heute ein Volumen, das ihn zum wichtigsten Instrument der Wirtschaftsund Sozialpolitik macht. An dieser Tatsache kann keine moderne, realistische Finanzpolitik vorübergehen. Ebenso nicht an der Tatsache, daß die moderne Finanzpolitik auf jeden Fall ökonomische und soziale Wirkun gen hat, gleichgültig, ob dies erwünscht ist oder nicht. Das Umschlagen von der Quantität zur Qualität ist längst vollzogen, daher sind viele finanzpolitische Grundsätze, die vielleicht vor einigen Jahrzehnten noch Gültigkeit hatten, einfach falsch geworden. Die quantitative Veränderung hat eine solches Ausmaß erreicht daß ihr qualitative Bedeutung zukommt. Es gibt keine „neutrale Finanzpolitik“ mehr.

Über den Interessen

Der neue Ressortchef im Finanzministerium hat sich in einer Rede voi wenigen Tagen geäußert, daß er keir Finanzminister einer Interessengruppe sein wolle, sondern einer, der — soweit dies in einer Demokratie wie dei unseren eben möglich ist — gewissermaßen über den Interessen stehe, dei eine auf das Gesamtwohl abzielend; Politik treiben wolle. Es wäre zu wün sehen, gelänge es, diesen Vorsatz zt verwirklichen. Die drängenden Pro bleme wären sicher leichter zu lösen Was bedeutet aber sachgerecht; Finanzpolitik? Etwa eine Politik, di; sich an absoluten finanzpolitische! Kategorien orientiert? Sicherlich nicht weil die in einem politisch irrele vanten Bereich liegen, wohl aber kam es bedeuten, Orientierung an einen finanzpolitischen Konzept, das au einer bestimmten ordnungspolitischei Vorstellung abgeleitet ist, wie zi hoffen ist, aus einer personalistischen Das ist erfreulich, um so mehr, al dann eine Bereitschaft erblickt werdet kann, trotz der sicher nicht leichter tagespolitischen Probleme, die drin gend einer Lösung harren, das Gesell schaftspolitische nicht zu vergessen.

Zunächst aber muß das Budget problem gelöst werden, und zwa: nicht nur für das Budget 1961, son dem die gesamte Budgetpolitik muf auf eine neue Grundlage gestellt wer den. Langfristig bieten sich hier verschiedene Konzepte an, am geeignet sten schiene das der sogenannter „stabilisierenden Budgetpolitik“ zi sein, das die staatsrechtlich politischen Schwierigkeiten, an dener andere moderne budgetpolitische Konzepte fast regelmäßig scheitern, weitgehend berücksichtigt. Schon die Verhandlungen über das Budget werden aber zeigen, ob es politisch möglich ist, von der konstatierenden zui gestaltenden Finanzpolitik überzugehen, oder ob die Vernunft von der Interessengruppen besiegt wird. Schor in wenigen Monaten wird es sich zeigen, ob es auch in Österreich möglicl ist, Finanzpolitik mit den „üblicher Schwierigkeiten“ zu treiben, oder ol wir das seit Jahren praktizierte System beibehalten wollen.

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