Kann Wachstum nachhaltig sein?

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Wirtschaftswachstum ist wieder "in", etwas beinahe Selbstverständliches. Ist also eine nachhaltige Entwicklung zur reinen Utopie geworden, mit der harten Realität unvereinbar?

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Wirtschaftswachstum ist wieder "in", etwas beinahe Selbstverständliches. Ist also eine nachhaltige Entwicklung zur reinen Utopie geworden, mit der harten Realität unvereinbar?

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Um diese Fragen zu beantworten, wäre zunächst der Begriff Nachhaltigkeit aus ökologisch-ökonomischer Sicht zu konkretisieren, den Zusammenhang zwischen der Dynamik der Geldwirtschaft und dem Wachstumszwang einerseits und den Zusammenhang zwischen Wachstum, Zunahme des Verbrauches an natürlichen Ressourcen und Umweltbelastungen andererseits zu diskutieren.

Der Begriff "Sustainable Development", im Deutschen oft mit "Nachhaltigkeit" oder "nachhaltige Entwicklung" übersetzt, ist seit der Veröffentlichung des Brundtland-Berichtes im Jahre 1987 und dem Umweltgipfel in Rio im Jahre 1992 in aller Munde und ein zentrales Element in zahlreichen Programmen wie im 5. Aktionsprogramm der EU oder in der "Agenda 21".

Im Brundtland-Bericht wird nachhaltige Entwicklung als jene Entwicklung definiert, die die Bedürfnisse der Gegenwart auf solche Weise befriedigt, daß dadurch die Bedürfnisbefriedigung künftiger Generationen nicht in Frage gestellt wird. Diese Definition ist sehr allgemein gehalten. Sie beinhaltet weder eine exakte ökologische noch eine ökonomische Zielsetzung.

Versucht man, ökologische Ziele in einem pragmatischen Konzept einer nachhaltigen Entwicklung in den Industrieländern zu definieren, kann insbesondere für nichtregenerative Ressourcen folgendes Postulat abgeleitet werden: "Die Nutzung nichterneuerbarer Ressourcen ist nur in dem Ausmaß zuzulassen, als es gelingt, die gesamtwirtschaftliche Ressourcenproduktivität in einem Land in einem solchen Ausmaß zu erhöhen beziehungsweise die Intensität des Ressourcenverbrauches zu senken, daß es - trotz allfälligen Wirtschaftswachstums - zu einem absoluten Rückgang des Verbrauchs an nichterneuerbaren Ressourcen kommt, ohne daß die anderen Postulate einer nachhaltigen Entwicklung verletzt werden."

Beim Versuch, den ökonomischen Faktor in den Begriff der Nachhaltigkeit zu integrieren, stellt man sehr bald Probleme fest: Der Wert der natürlichen Ressourcen ist ökonomisch nicht quantifizierbar, sondern kann sinnvoll und pragmatisch mit Instrumenten wie der Steuer-, Förder- und Subventionspolitik lediglich angenähert werden.

Ein Zielkonflikt ergibt sich aus der inneren Logik der Wirtschaft, da diese auf die Maximierung des (kurzfristigen) Gewinns ausgerichtet ist. Die Preise für den Verbrauch an natürlichen Ressourcen - beispielsweise fossile Energieträger (Kohle, Erdöl, Erdgas), Boden, Wasser, Luft, Biodiversität - sind bei weitem zu niedrig, um ökologische Ziele oder gar Nachhaltigkeit in diese Wirtschaftsdynamik zu integrieren. Der Begriff des "Sustainable Developments" bleibt vor allem ethisch-ökologisch geprägt.

Mehr Geld bedeutet Wachstumszwang Die systemimmanente Logik der Geldwirtschaft, die Geldmenge von Jahr zu Jahr zu erhöhen, führt zu einem kontinuierlichen Wachstumszwang: Unternehmen investieren und produzieren Güter beziehungsweise bieten Dienstleistungen an, weil sie durch den Verkauf dieser Produkte und Dienstleistungen einen Gewinn erzielen wollen. Erfüllen sich die Gewinnerwartungen der Unternehmer, nimmt auch die in der Wirtschaft zirkulierende Geldmenge zu.

Auch die Aktienkurse der Gegenwart leiten sich aus den in Zukunft erwarteten Gewinnen ab. Je höher das für die Zukunft erwartete Wachstum ist, umso mehr erhöhen sich die Aktienkurse. Andererseits führen ein möglicher Rückgang des Wachstums oder sogar eine Stagnation dazu, daß das Finanzvermögen infolge geringerer Wiederverkaufspreise zurückgeht. Das Vermögen einer Volkswirtschaft hängt also in starkem Maße von den Wachstumserwartungen ab, so daß sich die heutige Geldwirtschaft de facto in einem effektiven Wachstumszwang befindet.

"Durch frühere Wachstumserwartungen wurde unser heutiges Vermögen dermaßen in die Höhe katapultiert, daß wir dazu verdammt sind, diese Wachstumserwartungen auch für die Zukunft aufrecht zu erhalten", stellte Mathias Biswanger von der Universität St. Gallen bei der Tagung "Geldwirtschaft contra Nachhaltigkeit?" Anfang Dezember fest.

Führt kontinuierliches Wachstum aber auch zu einer Steigerung des Naturverbrauchs und der Umweltbelastungen? Bei der Beantwortung dieser Frage vertreten Experten und Institutionen unterschiedliche Auffassungen.

Von nachhaltigem Wachstum keine Spur Während der amerikanische Umweltökonom Herman Daly nachhaltiges Wirtschaftswachstum als Widerspruch in sich bezeichnet, geht die Kommission der Europäischen Union von einer optimistischeren Einschätzung aus.

Das Konzept des Sustainable Developments zielt auf eine umfassende und ganzheitliche Betrachtung der Entwicklung ab. Betrachtet man verschiedene Umweltindikatoren wie Emissionen von Schwefeldioxid, Stickstoffoxide, Kohlenmonoxyd und Staub, so zeigt sich, daß diese Emissionen in Österreich in den Jahren 1980-1993 reduziert werden konnten.

Im Abfallbereich zeichnen sich unterschiedliche Entwicklungen ab: Die Effizienz der Abfalltrennung, besonders in den Bereichen Altpapier und Leichtstoffe wie Kunststoffen, konnte gesteigert werden, die deponierten Restmüllmengen sind gesunken, das Gesamtaufkommen des Hausmülls hat aber zwischen 1993 und 1996 um elf Prozent zugenommen. Als mögliche Ursachen werden Bevölkerungswachstum, der Trend zu Singlehaushalten und die Steigerung des Wohlstandes angeführt. Im gleichen Zeitraum hat nämlich das Bruttosozialprodukt um 14 Prozent zugenommen.

Obwohl seit der Ölkrise im Jahre 1973 auch eine Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Energieeinsatz zu beobachten ist, nimmt der Energieverbrauch in absoluten Zahlen nach wie vor zu. Eine ähnliche Entwicklung zeigt auch der Materialeinsatz (Sand, Kies, Schotter, Erzen). Relative Effizienzgewinne werden durch jährliche Verbrauchszuwächse ausgeglichen oder sogar überkompensiert. Eine absolute Verringerung des Materialverbrauches ist nicht zu beobachten. (siehe auch Furche 52-53/1998) Umweltindikatoren wie Treibhausgase (Kohlendioxid, Methan, Lachgas), Fluorchlorkohlenwasserstoffe (Ozonloch) und Bodenerosion dokumentieren das globale Ausmaß der Umweltbelastungen. In Zukunft wird international die Entsorgung nuklearer Abfälle zunehmend an Bedeutung gewinnen. Von einem nachhaltigen Wachstum sind also Österreich und alle anderen Länder nach wie vor weit entfernt.

Die weitere Verschlechterung zahlreicher Umweltindikatoren ist darauf zurückzuführen, daß die produzierten Mengen in fast allen Ländern immer noch stärker gewachsen sind als das Bruttoinlandsprodukt. Die industrielle Entwicklung in den letzten Jahrzehnten ist dadurch gekennzeichnet, daß die zunehmend teurer werdende Arbeit durch Maschinen automatisiert und wegrationalisiert wurde, weil Energie und Rohstoffe immer billiger wurden.

Der Rohölpreis liegt pro Barrel (159 Liter) zwischen neun und zehn Dollar und hat damit seit Anfang der siebziger Jahre einen Rekordtiefstand erreicht. Die Investitionen in automatische Fertigungen rechnen sich wegen des hohen Kapitalbedarfs aber nur, wenn auch die Produktionsmenge gesteigert werden kann. Die Abdeckung der fixen Kapitalkosten der neuen Maschinen und Anlagen über höhere Preise ist zwar grundsätzlich möglich, ist aber aufgrund der Konkurrenz auf den Märkten und dem damit verbundenen Preisdruck eher unwahrscheinlich.

Kommt die ökologische Steuerreform?

Ob es in naher Zukunft ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum geben kann, wird davon abhängen, ob EU und die Nationalstaaten finanzielle Anreizsysteme wie eine aufkommensneutrale ökologische Steuerreform oder eine nachhaltige Subventionspolitik einführen werden, die ökoeffizientes Wirtschaften und Handeln belohnen.

Pioniere aus der Industrie wie die Umdasch AG, die Neusiedler AG, die Wiesner Hager Möbelindustrie und im zunehmenden Maße auch Klein- und Mittelbetriebe zeigen eindrucksvoll, daß sich vorsorgender Umweltschutz heute schon rechnet. Der Ansatz der Ökoeffizienz wird aber nur eine ausreichende Breitenwirkung entfalten und ein wirklich nachhaltiges Wachstum fördern können, wenn für marktorientierte Unternehmen wesentlich stärkere (finanzielle) Anreize geschaffen werden.

Langsam erkennen auch Banken bei der Analyse und Bewertung von Unternehmen, daß ökologische Produktion wichtig ist. Sie bieten interessante und rentable Anlagemöglichkeiten beispielsweise in ethisch-ökologischen Investmentfonds. Denn Umweltrisiken sind auch Kreditrisiken: kontaminierte Grundstücke können zum Beispiel zu einer drastischen Entwertung führen. Daher berücksichtigen Banken wie die Österreichische Kommunalkredit AG oder die Raiffeisenlandesbank Wien-Niederösterreich in der Kreditvergabe auch Umweltaspekte.

Allerdings steckt die Fähigkeit der Finanzmärkte, Umweltaspekte zu integrieren, noch in den Kinderschuhen. Das Konzept des Shareholder values bietet allerdings - entgegen der weitverbreiteten Meinung - einen interessanten Ansatz. Hinter dem Shareholder-value-Konzept steht nämlich ein Investitionsrechnungsverfahren zur Bewertung von Wertpapieren, das zukunftsorientiert ist und als Ziel eine langfristige Verbesserung des Unternehmensergebnisses verfolgt. Umwelttechnologien, die den Produktionsablauf optimieren und dadurch Kosten für Rohstoffe und Instandhaltung verringern, beeinflussen damit den Shareholder value positiv.

Der Autor ist Geschäftsführer Umwelt Management Austria . Sein Beitrag stellt eine Zusammenfassung der Enquete "Geldwirtschaft contra Nachhaltigkeit?" dar. Näheres zur Tagung: 02742-294-7450

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