Markt und Demokratie aus dem Gleichgewicht

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Trotz der vielen Bedrohungen heute gibt es Hoffnung auf eine gedeihliche globale Entwicklung. Das ist die Botschaft des Dritten Berichts an den Club of Rome.

Optimistisch ist schon der Titel des im Haus der Industrie vorige Woche in Wien vorgestellten Werks: "Nachhaltigkeit schafft neuen Wohlstand". Nach "Grenzen des Wachstums" und "Neue Grenzen des Wachstums" (Titel der beiden ersten Club of Rome-Berichte 1972 und 1992) sei dies "ein offensiver und positiver Zugang", betonte Ex-Vizekanzler Josef Riegler, einer der Autoren des jüngsten, dritten Berichts, bei dessen Präsentation.

Nachhaltigkeit ist zum Schlüsselbegriff avanciert. Bei der UNO-Konferenz 1992 in Rio wurde "Nachhaltige Entwicklung" (Sustainable Development) zum Leitbild für zukunftsträchtige Politik erhoben. Ihr Ziel: die Lebenssituation der heutigen Generation zu verbessern, ohne die Lebenschancen zukünftiger Generationen zu beeinträchtigen. Dabei geht es nicht nur um eine lebensträchtige Umwelt, sondern auch um menschenwürdige soziale und ökonomische Lebensbedingungen.

Kluft zwischen Arm & Reich

Dass die Welt weit von diesem Ziel entfernt ist, sondern von der Substanz lebt, weiß heute jedes Kind. Welche Bedrohungen damit verbunden sind, beschreibt der neue Bericht ausführlich. Nur zwei Aspekte seien hier angesprochen. Auf die enorme Kluft zwischen Arm und Reich verweist Josef Radermacher, Leiter des Forschungsinstituts für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung in Ulm: "Das Weltbruttosozialprodukt pro Kopf liegt heute bei etwa 5.000 Euro. Nach europäischer Armutsdefinition, angewandt auf den Globus, sollte kein Mensch unter einer Finanzausstattung von 2.500 Euro/Jahr liegen, also sicher nicht unterhalb von sechs Euro/Tag. De facto liegen heute drei Milliarden Menschen unterhalb von zwei und eine Milliarde unterhalb von ein Euro/Tag. Das ist ein Zustand, der absolut nicht friedensfähig, der auch mit Hass und Gegnerschaft verbunden ist."

Sorge auch wegen der Klimaveränderung: "Der Gehalt aller drei langlebigen Treibhausgase hat seit Hunderttausenden von Jahren nicht mehr heutige Werte erreicht" (Hartmut Graßl, Meteorolgisches Institut Hamburg). Und: "Die globalen Klimaänderungen durch den Menschen können in den nächsten Jahrzehnten nicht gänzlich vermieden, sondern nur gedämpft werden."

Wenig Spielraum

Trotz des Wissens um die Gefahren kam es bisher nicht zu einer Kurskorrektur in Richtung Nachhaltigkeit. Warum? Ernst Ulrich von Weizsäcker, Vorsitzender des Umweltausschusses im deutschen Bundestag analysiert: "Der Spielraum der Politik ist in den letzten 15 Jahren dramatisch geschrumpft. Das hängt mit der Globalisierung zusammen."

Das Ende des Ost-West-Konflikts habe folgenschwere Veränderungen gebracht. Die Soziale Marktwirtschaft, von deren Begründer Ludwig Erhard als "Kampfansage an den Kommunismus" verstanden, habe das Ausufern kapitalistischer Interessen bis zum Fall des Eisernen Vorhangs im Zaum gehalten. Die beiden Prinzipien Marktwirtschaft ("gut für die Starken") und Demokratie ("gut für die Schwachen") seien von der Politik in Balance gehalten worden. Seither "ist die Balance verschwunden. Auf einmal war das Prinzip Marktwirtschaft global und das Prinzip Demokratie national. Da weiß jeder, was passiert: Der Globalist spielt den anderen aus" (Weizsäcker).

Riegler sekundiert: "So wurden bewährte Formen nationalstaatlicher Politikgestaltung und nationaler Partnerschaften zwischen Wirtschaft und Arbeitnehmern in einem hohen Maß obsolet. Andererseits fehlen globale Formen einer Politikgestaltung, die dieses Defizit an Rahmenbedingungen ausgleicht. Die Konsensfindung der Politik auf globaler Ebene hinkt dem raschen Agieren der Global Players hinterher." Kapitaltransfers unvorstellbaren Ausmaßes per Maus-Klick und die rasche Verlagerung von Produktionsstandorten prägten das Bild.

Das Ergebnis: "Ich kenne kein Land der Erde, in dem nicht Wachstum als die politische Priorität Nummer eins gilt. Umweltschutz findet nur statt, wo er entweder aus Gesundheitsgründen oder wegen Ressourcen-Erschöpfung oder aus Profitgründen einen Platz in der Wachstumsstrategie gefunden hat" (Weizsäcker).

Keine Spur von Nachhaltigkeit also. Wirtschaftswachstum ist Trumpf. Auch der Club of Rome-Bericht setzt auf Wachstum, ermöglicht durch eine Palette von Techniken, die Ressourcen um ein Vielfaches besser nutzen als heutige Verfahren: "Wenn man das Ganze richtig angeht, haben wir durchaus für die Welt eine vernünftige, eine ökosoziale Perspektive. Es wäre denkbar, einen Faktor 10 an Wachstum über die nächsten 50 bis 100 Jahre in eine Vervierfachung des Reichtums im Norden dieses Globus und eine dazu korrespondierende mögliche Vervierunddreißigfachung des Wohlstands im Süden dieses Globus zu überführen" (Radermacher).

Weg vom Raubbau

Diese erstaunliche Perspektive relativiert der Autor zwar mit dem Hinweis, er gebe dem "hoffnungsvollen nachhaltigen Programm allerdings nur 35 Prozent Wahrscheinlichkeit". Aber selbst das scheint hoch gegriffen, wenn man bedenkt, dass es letztlich um einen "Umstieg von einer Zivilisation des Raubbaues auf eine Zivilisation der Nachhaltigkeit, der Solidarität, des gegenseitigen Respektes - auch der unterschiedlichen Kulturen" (Riegler) gehen soll.

Wie ein so fundamentaler Paradigmenwechsel zustande kommen soll? Das Stichwort: "Global Governance", eine neue Art Politik zu machen. Sie "ist ein komplexer Prozess der Konsens- und Entscheidungsfindung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren von der lokalen bis zur globalen Ebene zur Gestaltung des globalen Wandels", erklärt Petra Gruber, Leiterin des Instituts für Frieden, Umwelt und Entwicklung in Wien.

Demokratie global

"Jetzt brauchen wir Demokratie global", fordert auch Weizsäcker, warnt aber vor einem Weltstaat. "Da kann man nicht mehr emigrieren." Eine weltweit vernetzte Zivilgesellschaft sei die Alternative, "ein Schulterschluss zwischen Zivilgesellschaft, die moralisch und ökologisch bewusst ist und langfristig denkt, mit den nationalen Regierungen". Diesen Wandel herbeizuführen sei "eine Titanenaufgabe", gibt der deutsche Politiker allerdings zu. Warum aber sollte diese jetzt plötzlich bewältigbar sein? Gruber versucht zu antworten: "Dem Einwand, Gemeinwohl sei dem herrschenden, von Macht und Interessen geleiteten Denken und Handeln fremd und die Chancen auf Kooperation und Interessenausgleich gering, ist der Zwang zur Zusammenarbeit aus Not entgegenzuhalten."

Ob rationale Einsicht allein reicht, um die vielen bedenkenswerten Ansätze des Berichts nur ansatzweise umzusetzen, ist fraglich. Ohne Verhaltensänderung muss das Projekt scheitern, denn: "Auf die Dauer ist alle Effizienz-Entwicklung nicht genug, um gierige Menschen zu befriedigen. Sie wird immer wieder durch Gier und Ehrgeiz überholt. Wenn nicht irgendwo die zivilisatorische und menschliche Leistung der Genügsamkeit dazukommt, werden wir das Spiel verlieren" (Weizsäcker).

NACHHALTIGKEIT SCHAFFT NEUEN WOHLSTAND

Bericht an den Club of Rome.

Karin Feiler (Hrsg.), Peter Lang Verlag, Frankfurt 2003, 283 Seiten, e 19,80

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