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Kostspieliger Schlag ins knappe Wasser

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„Besser schockieren als düpieren!" Das Wort eines Politikers: Leon Blum, sozialistischer Schriftsteller und Ministerpräsident Frankreichs, sprach es nach den Erfahrungen zweier Weltkriege und nach drei Jahren Leiden in Hitlers Konzentrationslagern. Die meisten unserer Repräsentanten halten es lieber umgekehrt.

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„Besser schockieren als düpieren!" Das Wort eines Politikers: Leon Blum, sozialistischer Schriftsteller und Ministerpräsident Frankreichs, sprach es nach den Erfahrungen zweier Weltkriege und nach drei Jahren Leiden in Hitlers Konzentrationslagern. Die meisten unserer Repräsentanten halten es lieber umgekehrt.

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So auch die Gastgeber des Weltgipfels von Rio: Sorgsam wurde die brasilianische Wirklichkeit den Augen der Teilnehmer entrückt. Unbehelligt konnten sie auf der Copacaba-na promenieren, fünf bis zehn Panzerwagen standen an strategischen Punkten, ihre Geschütze gegen die Favelas - die Hütten der Armen -gerichtet. Keine Bettler, keine Straßenkinder, keine Banditen. Nur Polizisten und die traumhafte Szenerie einer der landschaftlich schönsten Städte der Welt.

Hätte man den Staatsoberhäuptern der reichen Länder das Alltagselend des Schwellenlandes Brasilien vorgeführt, wäre vielleicht einigen von denen, die sich in optimistischen Ti-raden ergingen, bewußt geworden, wie sehr sie sich und die Welt betrügen. Doch die Selbsttäuschung ist schon in der von allen unterzeichneten „Erklärung von Rio" festgeschrieben. In ihren 27 Prinzipien kristallisieren sich Wunschdenken und Widersprüche. Solange unter „Entwicklung" Nachahmung der westlichen Industriegesellschaft verstanden wird, kann sie nicht nachhaltig sein.

Solange die Wachstumsreligion mit dem dazugehörigen Aberglauben an die Allmacht von Wissenschaft und Technik die Hirne der Mächtigen verkleistert, solange „Freier Markt" und ungehemmter Handel geheiligte Dogmen sind und das Profitdenken triumphiert, wird die Kluft zwischen einer scheinreichen (in Wahrheit parasitä-

ren) Minderheit im Norden und einer stürmisch wachsenden, immer ärmeren Mehrheit im Süden immer tiefer werden - bis zur unvermeidlichen Explosion.

Viel Wortgeklingel

Gewiß, da ist von gerechterer Verteilung, von besonderer Verantwortung der Reichen die Rede; davon, daß „nicht-aufrechterhaltbare" Produktions- und Konsumweisen geändert und eine „geeignete Bevölkerungspolitik" verfolgt werden sollten.

Doch kein Wort von dem, was verdammt und verbannt werden muß, sollen die frommen Wünsche in Erfüllung gehen: Von den Zerstörungen des Weltverkehrs zu Lande, zu Wasser und in der Luft, von der mörderischen Autogesellschaft, dem Rüstungswahn, auch in den armen Län-

dern. Das kommt nicht vor, im Gegenteil! Alle sollen wachsen, ja Wachstum ist gerade die Bedingung für die „nachhaltige Entwicklung".

Keine Rede von den Schranken der Tradition und des religiösen Fundamentalismus gegen die geforderte Teilnahme der Frauen am „Umwelt-und Entwicklungsmanagement". Noch wirklichkeitsfremder klingt, daß die Staaten im Kriegsfall internationales Umweltschutzrecht respektieren sollten.

Unverbindliche Banalitäten

Nur der Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Organisation Hans Blix, der 1986, nach der Katastrophe von Tschernobyl, vorschlug, potentielle Gegner sollten sich vertraglich verpflichten, beim Ausbruch von Kampfhandlungen - zur Vermeidung eines „Sekundär-Atomkriegs" - ihre „friedlichen Atomanlagen" gegenseitig zu schonen, hatte einen ähnlichen Gipfel der Einfalt erklommen-allerdings vordem Golfkrieg...

Zum Schutz der Wälder reichte es gerade noch zu einer „rechtlich unverbindlichen, autoritativen" Sammlung von Selbstverständlichkeiten, wenn sie gerettet werden sollen. Aber was nützt es, die „Begrünung der Welt" zu erträumen?

Der wahre Ungeist - eingeschleust von den transnationalen Konzernen und ihren Verbündeten in der Weltbank, dem GATT und einigen UN-Töchtern - wird im folgenden Satz überdeutlich: „Alle Formen einseitiger Maßnahmen, um die Nutzung von Holz und anderer Forstprodukte im internationalen Handel zu begrenzen oder zu verbreiten, sollten beseitigt werden, da derartige Maßnahmen im Hinblick auf langfristige nachhaltige Waldbewirtschaftung kontraproduktiv sind."

Wie soll die Umwelt gerettet und nachhaltige Entwicklung ermöglicht werden? Dazu wurde in Rio die Agenda 21 (eine Tagesordnung für das 21. Jahrhundert), ein Maßnahmenkatalog

von 40 Kapiteln ausgearbeitet: eine „rechtlich unverbindliche" politische Willenserklärung.

Unmöglich, hier auch nur die behandelten Themen aufzuzählen, doch zwei Merkmale sind allen Kapiteln gemeinsam: einer realistischen Darstellung des gegenwärtigen Zustands folgen die angestrebten Ziele und die Aufzählung der Mittel und Wege (einschließlich der geschätzten Kosten) zu ihrer Verwirklichung. Diese sind -ebenso wie in der Erklärung zum Schutz der Wälder - angesichts der politischen Machtverhältnisse und geistiger und kulturellerBarrieren zum Teil unerreichbar und ungangbar, zum Teil Anwendung und Fortsetzung eben dessen, was uns an den Rand des Abgrunds gebracht hat.

Doch der Weg zur Hölle ist auch mit guten Vorsätzen gepflastert. Eine Kostprobe: Aus Kapitel 12 erfahren

wir, daß 900 Millionen Menschen vom Vormarsch der Wüste und von Dürrekatastrophen bedroht sind; 70 Prozent aller Trockengebiete-. 36 Millionen Quadratkilometer, da ist ein Viertel der festen Erdoberfläche!

Äußerste Armut, gewaltige Verluste an Weideland, aber auch an bewässertem, dicht bevölkertem Ackerland sind die Folge. 12,25 Milliarden Dollar jährlich, davon fast die Hälfte aus internationaler Hilfe, müßten bereitgestellt werden, um den Kampf gegen Wüste und Dürre zu führen, davon eine Milliarde für Umweltflüchtlinge, die Dürre- und anderen Katastrophen weichen müssen. Doch die 125 Milliarden Dollar jährlich, die für notwendig gehalten werden, um die Umwelt- und Sozialprobleme der Dritten Welt zu lösen, schmolzen in Rio zur angekündigten, einmaligen Spende von acht Milliarden zusammen.

Aus anderen Kapiteln: Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt höchstens 60 Kilometer von den Meeresküsten entfernt. Bis zum Jahr 2020 könnten es schon drei Viertel sein. Fast zwei Drittel aller Städte mit mehr als 2,5 Millionen Einwohnern liegen an der Küste, knapp über und einige unter dem Meeresspiegel. Die Schrecknisse, die ein Ansteigen des Meeresspiegels als Folge des Treibhauseffekts über die Menschheit bringen würde, übersteigen die Vorstellungkraft. Die Agenda 21 empfiehlt auf alle Fälle Untersuchungen und technische Vorkehrungen...

Bush als Umweltfeind

Präsident Bush wurde in Rio zum Umweltfeind Nummer eins gestempelt, weil er die Konvention über den Artenschutz nicht unterzeichnete. Doch noch schlimmer ist, daß der Druck der Regierung Bush, die Klima-Konvention (zur Verringerung des Kohlendioxidausstoßes als eine der Hauptursachen des Treibhauseffekts) jeder Verpflichtung und jedes Zeitplans beraubt wurde: Ein Verbrechen

an der Zukunft, begangen von den Mächtigen des Staates der größten Verschwendung, mit der größten Verantwortung für die globale Zerstörung der Biosphäre (in den USA beträgt der C02-Ausstoß pro Kopf das Fünffache des Weltdurchschnitts).

Österreich, die Schweiz, Holland und Liechtenstein verpflichteten sich aus eigenem zu einer - wenn auch sehr bescheidenen zeitlich festgesetzten Verringerung. Die Strafe folgte auf den Fuß: die US-Regierung drohte schriftlich miteiner Verschlechterung der Beziehungen. Holland kapitulierte und sprang ab.

Und die EG? Auch sie hatte ursprünglich wenigstens die Stabilisierung auf dem Niveau von 1990 bis zum Jahr 2005 vorgesehen. An sich erbärmlich, denn das ist ja das Maß, das die Klimakatastrophe nach Meinung der Klimatologen unvermeid-

lieh macht! Diese fordern eine sofortige Verringerung um 60 bis 80 Prozent!

Der frühere deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt hat die EG deshalb auch der Feigheit bezichtigt. Wer hat sie gehindert, in Rio den USA Paroli zu bieten? Sie, die sich so gerne als Großmacht gibt? Doch warum hat Schmidt nicht die Bundesrepublik kritisiert, deren Verkehrsminister 11.000 Kilometer neuer Autobahn bauen will? Oder die britische Regierung, deren Premierminister John Major in Rio die Unverbindlichkeit des Abkommens über den Schutz der Wälder beklagte, während daheim jubelnd versprochen wird, die Zahl der Autos auf Großbritanniens Straßen bis zum Jahr 2000 zu verdoppeln?

Warum nur Bush mit Spott und Hohn überschütten, wenn er die USA als führende Umweltschutzmacht preist? Die Ölscheichs Saudi-Arabiens und Kuweits liefen Sturm gegen alle Vorschläge, die ihre Ölprofite schmälern könnten: Nur nicht Energie sparen! Welch unsägliche langfristige Dummheit, geboren aus kurzfristiger Gier! Was werden ihre Länder nach dem Ende der Öl-Zeit tun? In 20,30, 50 Jahren? In Sand und Vergessenheit versinken?

Kahlschläge auch in Kanada

Welche Worte finden für den kanadischen Ministerpäsidenten Brian Mulroney, der in Rio im Namen seines Landes feierlich internationales Recht für den Schutz der Wälder forderte, während auf Vancouver Island die einzigartigen borealen Regen wälder mit ihren vielhundertjährigen Bäumen erbarmungslos abgeholzt werden und in Alberta multinationale Papier- und Zellstoffkonzerne bis hinauf in die Tundra mit riesigen Kahlschlägen für immer das Land zerstören? Oder für die Regierung Malaysiens, deren Umweltminister zugleich die größten Schlägerungslizenzen besitzt, den Tropenurwald an Japan zur Herstellung von Milliarden Eßstäbchen und für Baugerüste verkauft, die nachher verbrannt werden? Und die verzweifelt um ihre Heimat kämpfenden Ureinwohner von Soldaten verjagen oder töten läßt?

Was kann aus einer Agenda 21 herauswachsen, die zwar bis 2025 vier-bis fünfmal mehr Abfälle und eine stürmische Motorisierung der Entwicklungsländer vorhersagt, aber trotzdem Wachstum fordert? Die das Preislied der Chemikalien singt und in der Biotechnologie Grundlagen für neue globale Partnerschaften sieht?

Die Armen, Unwissenden in Län-

dern mit Artenvielfalt liefern diese Genreserven an die Gescheiten mit Geld. Für die patentierten neuen Lebewesen gibt's dann Lizenzgebühren... Aus einer Agenda, völlig beherrscht vom „nördlichen Denken" und von der Sprache des Geldes, die die unheilvolle Rolle des Gatt, in dem die Reichen so eindeutig den Ton angeben, noch stärken will?

Bald ist alles verbraucht

Schon heute verbraucht die Menschheit 40 Prozent des Netto-Primärpro-dukts der Biosphäre (alles, was Boden, Luft und Wasser mit Hilfe der Sonne hervorbringen)*'. In wenigen Jahrzehnten müßten es 100 Prozent sein, wenn es so oder ähnlich weiterginge wie jetzt; wenn das, was da in Rio verzapft und in der Agenda 21 als nachhaltige Entwicklung bezeichnet wird, eintritt. Es wird nicht...

20 Kilometer vom Konferenzort entfernt durften die NGO' s, die Nicht-regierungsorganisationen, ihrem Kummer Luft machen. Man versprach ihnen, sie in Hinkunft stärker an den großen Entscheidungen über Umwelt und Entwicklung zu beteiligen. Vielleicht werden sich manche geehrt fühlen und als „nützliche Idioten" um ein „Subventiönchen" oder Flugtik-ket kosmetische Oberflächenbehandlung als Erfolg feiern. Doch andere werden leidenschaftlich kritisch bleiben und zugleich an Beispielen praktischer Alternativen arbeiten.

Wir hören Jubelchöre: „In Rio ist das neue Welt-Umweltbewußtsein erwacht". Das hörten wir auch schon vor 20 Jahren, nach der ersten Konferenz der UNO über den Menschen und seine Umwelt in Stockholm. Ist Rio ein höchst kostspieliger Schlag ins knapp werdende Wasser gewesen? Nicht ganz!

Präsident Bush - heute der mächtigste Mann der Welt - und mit ihm Big Business und Co fand eisige Ablehnung. Fidel Castro, der boykottierte Außenseiter, erntete als einziger für eine Drei-Minuten-Rede stehenden Beifall. „Weniger Luxus und Verschwendung in ein paar Ländern würden weniger Armut und Hunger für einen großen Teil der Welt bedeuten", sagte er unter anderem. Derartiges wäre in Stockholm noch nicht möglich gewesen.

Die tönende Selbstsicherheit des globalen Establishments ist in Rio als Ratlosigkeit und Selbstbetrug entlarvt worden. Die Entlarvung ist Vorbedingung für den Kurswechsel - hoffentlich noch vor der Katastrophe.

"> Zitiert nach „The Way" von Edward Goldsmith, Rider, 1992

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