Die Nachhaltigkeits-Illusion

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Die Weltkonferenz von Rio will die Fortschritte umweltschonender und armutsbekämpfender Politik anpreisen. Doch ökonomische Ungleichgewichte verhindern Fortschritte und machen Nachhaltigkeit zu einer Worthülse.

Im 200 Einwohner zählenden Dorf Fabe, tief im kamerunesischen Regenwald am Golf von Guinea, fanden die Menschen bisher ein gutes Auskommen. Sie lebten vom Ackerbau, von ein wenig Viehzucht, von der Jagd. Für die Natur waren sie kein Störfaktor. Der ausgedehnte Dschungel um Fabe ist ein Refugium für seltene Tier- und Pflanzenarten. Die beiden größten Naturschutzgebiete des Landes befinden sich in nächster Nähe. Das Leben der Menschen gedieh daran: Die Waldbewirtschaftung sicherte den Bewohnern von Fabe ein im Landesvergleich überdurchschnittlich hohes Einkommen.

Doch mit dem Leben in Harmonie mit der Umwelt ist es seit Sommer des Vorjahres vorbei. Da fuhren plötzlich Schubraupen und Busse voll mit Holzfällern im Dorf vor. Gräben wurden ausgehoben, Bäume gerodet. Fabe wurde Opfer eines offiziell "nachhaltigen“ Projekts: der Palmöl-Produktion. Die US-Agrar-Investment-Gruppe "Herakles“ hatte Fabe und 29 weitere Dörfer - und dazu 80.000 Hektar Regenwald von der Regierung "gepachtet“. Die Ölpalmzucht soll nach der Schlägerung des Waldes 8.700 Arbeitsplätze schaffen und pro Jahr mehr als 340.000 Tonnen Ölsaat zur Herstellung von Biodiesel bringen. Das Problem: Die Einwohner von Fabe haben weder um Arbeitsplätze in Palmölfabriken noch um die Vernichtung ihres Lebensraumes gebeten.

Ein nachhaltiger Gipfel

Das Schicksal von Fabe ist bezeichnend für die Schwachstellen der globalen Nachhaltigkeitsperspektiven, die ab 20. Juni bei der UN-Weltkonferenz in Rio de Janeiro besprochen werden sollen. 20 Jahre sind seit der ersten Weltkonferenz in Rio 1992 vergangen. 20 Jahre um das Ziel zu erfüllen, die Entwicklungs- und Umweltpolitik ressourcenbewusst zu gestalten - zum Vorteil von Natur und künftigen Generationen.

Ein eigens errichtetes Museum wird in Rio 2012 an die erreichten Fortschritte erinnern: 50 Millionen Hungernde weltweit weniger als 1990. Rückgang von Aids und Malaria um 16 Prozent. Zum Status der Umwelt: Der globale Waldbestand wächst.

Bei vielen NGOs und Wissenschaftern hinterlassen diese Erfolgsbilanzen aber einen üblen Beigeschmack. Denn hinter den gefeierten Erfolgen vertiefen sich nach Meinung vieler Experten die Probleme. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird größer - zwischen Gewinnern und Verlierern einer Nachhaltigkeitsstrategie, die in ihrer Umsetzung den einen viel Geld und den anderen nur Brosamen des Fortschritts und der Umwelt wachsende Nachteile bringt.

Das Beispiel Wald illustriert das Problem ausgezeichnet. Die entwickelten Nationen der Erde - Europa und Nordamerika - konnten in den vergangenen zwei Jahrzehnten mehr als 31.000 Quadratkilometer dazugewinnen. Doch die Entwicklungsländer verloren im gleichen Zeitraum 81.0000 Quadratkilometer Waldfläche. Die Abholzungstendenzen betreffen auch das Weltgipfel-Veranstalterland Brasilien selbst. Gerade vor einer Woche passierte ein neues Waldgesetz das Parlament, in dem Straffreiheit für illegale Abholzungen im Amazonasgebiet gewährt wird. Der WWF-Experte Roberto Madonaldo: "Wie soll dieses Land am Erdgipfel zu mehr Verantwortung aufrufen, wenn Umweltverbrechen zum Gesetz werden?“

Im Wachstums-Dilemma

Doch das Problem liegt nicht nur an einem Gesetz allein. Die Versuche einer nachhaltigen Entwicklung scheitern schon im Ansatz an globalen ökonomischen Ungleichgewichten, die über mehr als 150 Jahre hinweg aufgebaut wurden.

Der enorme Entwicklungsvorsprung der Industrienationen scheint bei einer Fortsetzung einer auf Wachstum fußenden Wirtschaftspolitik uneinholbar.

Das ergibt sich schon aus dem Vergleich eines der wichtigsten Parameter wirtschaftlicher Entwicklung - der Investitionen: In den Industriestaaten werden, gemessen an der Bevölkerung, pro Kopf und Jahr im Schnitt 12.000 US-Dollar in die Wirtschaft investiert. In den Entwicklungsländern sind es gerade 889 Dollar. Damit pumpt der reiche Norden mehr als das 13-fache an Kapital in den Ausbau seiner Wirtschaftskraft. Das Ungleichgewicht zwischen Arm und Reich muss zwangsweise steigen.

Dazu kommt noch die auseinanderdriftende Wertschöpfungsordnung der globalisierten Wirtschaft: Die Entwicklungsländer sind heute, wie schon zur Kolonialzeit, Bereitsteller von Rohstoffen. So sind beispielsweise 71 Prozent der afrikanischen Exporte Rohstoffe - also natürliche Ressourcen. Diese werden in den Industrienationen veredelt. Die Gewinnmargen der Industrieländer sind dadurch ungleich höher als jene der Rohstofflieferanten.

Chancen im Ungleichgewicht

Das hat massive Auswirkungen auf das tägliche Leben der Menschen und ihre Chancen. Ärmere Länder können laut UNO nur 194 US-Dollar für den Unterricht eines Schulkindes aufwenden, entwickelte Nationen investieren das Vierzigfache - 5360 Dollar pro Schüler. Auch die Linderung der Armut erscheint im Licht blanker Zahlen wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Ein Nord-Süd-Vergleich zeigt: In der OECD müssen 0,9 Prozent der Bürger mit weniger als 1,25 Dollar pro Tag auskommen. Im südlichen Afrika sind es bis zu 72 Prozent. Dort leben auch bis zu 60 Prozent der Bevölkerung ohne sauberes Trinkwasser, in den OECD-Staaten nur 0,3 Prozent.

Die schlechtere Ausgangslage torpediert selbst erfolgversprechende Bemühungen einzelner Staaten, aufzuholen. Jährlich verlassen beispielsweise 100.000 indische IT-Ingenieure ihre Heimat Richtung USA. Der volkswirtschaftliche Schaden, der Indien daraus erwächst: zwei Milliarden Dollar pro Jahr. Dieser "Braindrain“ ist auch der Grund, warum Indien immer noch nicht zu den führenden IT-Nationen zählt, sondern sich abgeschlagen in einer Reihe mit Tunesien, Ecuador oder Indonesien wiederfindet, wenn es um Innovationskraft geht.

Die Serie der Disparitäten ließe sich beliebig fortsetzen. Am aussagekräftigsten ist dabei wohl der Human Development Index, der seit 1980 für die reichen Regionen der Welt einen starken Anstieg des Wohlstandes zeigt - während er bei Afrika stagniert.

Doch der Widerstand gegen die globale Rollenverteilung wächst. Auch in Fabe in Kamerun. Dort haben die Dorfbewohner vor Gericht geklagt - und Recht erhalten. Die Rodungen des Urwaldes wurden vorläufig gestoppt.

Während des Verfahrens kamen auch pikante Details des Vertrags zwischen den Investoren und der Republik Kamerun zu Tage: Demnach zahlt Betreiber "Herakles“ über zehn Jahre keine Steuern und darf den gefällten Baumbestand (Wert: 2 Milliarden Dollar) steuerfrei verkaufen. Eine weitere Klausel: Sollte das Projekt scheitern, müsste Kamerun an "Herakles“ eine Milliarde US-Dollar Strafe zahlen. Von diesem Betrag könnten 1.000.000 Kamerunesen ein Jahr lang leben.

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