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GEGEN GEBURTENKONTROLLE UNTER DRUCK VON OBEN

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Die Industriestaaten fordern vehement, daß die Entwicklungslander etwas gegen ihr Bevolkerungswachstum tum. Das fur die Welt nicht weniger schadliche Wirtschaftswachstum hingegen wird als unentbehrlich verteidigt. Diese Politik stoßt auf immer mehr Kritik.

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Die Industriestaaten fordern vehement, daß die Entwicklungslander etwas gegen ihr Bevolkerungswachstum tum. Das fur die Welt nicht weniger schadliche Wirtschaftswachstum hingegen wird als unentbehrlich verteidigt. Diese Politik stoßt auf immer mehr Kritik.

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(hb)-Der Club of Rome schlägt Alarm: Die vielzitierten Grenzen des Wachstums gelten auch für das Wachstum der Weltbevölkerung. Es sei nicht absehbar, wie, angesichts der schon heute bestehenden Mangelsituationen, für die im Jahr 2025 zu erwartenden 8,5 Milliarden Menschen (um über drei Milliarden mehr als heute) Nahrung, Wohnraum, Bildung und medizinische Versorgung bereitgestellt werden sollen.

Die Warnung vor dem Bevölkerungswachstum ist ein Thema unter mehreren im jüngsten Bericht des Club of Rome. Dessen Veröffentlichungen werden heute von einer großen Zahl von Menschen ernst genommen: Die 200.000 Exemplare des Sonderheftes, mit dem das deutsche Nachrichtenmagazin „Spiegel" den Bericht „Die Globale Revolution" im deutschen Sprachraum publik machte, waren innerhalb weniger Tage ausverkauft, 70.000 mußten nachgedruckt werden. Die Zeiten, in denen Zukunftsfragen der Menschheit „unter Ausschluß der Öffentlichkeit" erörtert wurden, gehören offenbar endgültig der Vergangenheit an.

Auch die für Weltbevölkerungsprobleme zuständige UNO-Organisation UNFPA (United Nations Population Fund) warnt in regelmäßigen Abständen vor den Folgen des Wachstums der Weltbevölkerung und tritt für Geburtenkontrolle und Familienplanung ein.

Programmatischer Text auf dem Titelblatt des von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen herausgegebenenWeltbevölke-rungsberichtes 1991 der UNFPA: „Während der letzten 20 Jahre haben sich in den Entwicklungsländern 380 Millionen Männer und Frauen für Familienplanung entschieden. In den nächsten zehn Jahren müssen noch einmal etwa 190 Millionen hinzukommen.

Wäre das Bevölkerungswachstum damit auch nicht zum Stillstand zu bringen, so doch auf ein verträgliches Maß zu reduzieren. Dies wäre ein Beitrag dazu, unsere natürliche Umwelt zu schonen und für die nachfolgenden Generationen zu erhalten. Darin aber besteht die Herausforderung der neunziger Jahre."

Die Todesrate steigt

Der Direktor für demographische Analysen des Population Reference Bureau der US-Regierung in Washington, Carl Haubs, sagt es krasser: „Es gibt nur zwei Möglichkeiten, das Bevölkerungswachstum auf Null zu bringen. Entweder die Geburtenquote sinkt, oder die Todesrate steigt."

In den österreichischen und deutschen Entwicklungshilfe-Organisationen werden solche Warnungen und Appelle zwar nicht ignoriert, aber mit Skepsis und einer Portion Mißtrauen zur Kenntnis genommen.

Zwei Paradigmen, zwei grundlegend verschiedene Weisen, die Weltprobleme zu sehen, stehen nebeneinander, gegeneinander: Auf der einen Seite die Forderung von Organisationen wie Club of Rome, UNFPA und Weltbank, das Bevölkerungswachstum in den Ländern der Dritten (Entwicklungsländer) und Vierten Welt (Länder, die noch nicht einmal den Status von Entwicklungsländern erreicht haben) zu begrenzen. Dies soll ihnen das Erreichen jener Entwicklungsziele ermöglichen, die sie sich entweder selbst gesetzt haben oder die von den Industrieländern für sie formuliert wurden oder von deren Erreichung die Weltbank weitere Kreditgewährungen abhängig macht oder irgend etwas dazwischen.

Zugleich sollen auf diese Weise Hungerkatastrophen, unerwünschte, womöglich gewaltsame Wanderungsbewegungen, Kriege und schwere Erschütterungen der politischen Systeme verhindert werden.

Die entwicklungspolitische Szene in Österreich und Deutschland, also aktive und ehemalige Mitarbeiter der Entwicklungshilfe-Organisationen, eine Vielfalt von Gruppierungen und Initiativen sowie der immer größer werdende, für die Probleme der Unterprivilegierten sensible Teil der Öffentlichkeit, spürt sehr genau, wie unentwirrbar sich in den Kassandrarufen echte Sorge um die heute Hungernden und morgen vielleicht Verhungernden sowie um Umwelt und Ressourcen mit der Sorge um den eigenen Lebensstil und Lebensstandard und dem Wunsch, an den eigenen Besitzständen festzuhalten, mischt.

Rente gegen Sohnespräferenz

Einige ihrer Kritikpunkte an der UNFPA, der Weltbank und auch am Club of Rome:

Die Milliarden Unterprivilegierten verbrauchen viel weniger nicht erneuerbare Ressourcen und zerstören viel weniger Umwelt als einige Hundert Millionen oder vielleicht eine Milliarde Privilegierter in den hochindustrialisierten Teilen der Welt. Daran dürfte sich auch in den dreieinhalb Jahrzehnten, in denen die Weltbevölkerung vermutlich um weitere drei Milliarden wachsen wird, wenig ändern.

Das beste Mittel, die Geburtenrate zu senken, wären weniger Not und ein besseres Leben für die Armen. Wenn die Industriestaaten ihre Wirtschaft dafür einspannen, statt die Dritte Welt auszubeuten, werden sich die Geburtenzahlen auch dort so einpendeln wie in Europa und Nordamerika in den letzten beiden Jahrhunderten. Könnte etwa in Indien eine minimale Altersversorgung für alle finanziert werden, wären die Inder endlich von der Sorge befrejt, im Alter zu verhungern, falls sie nicht genügend Söhne haben.

Diese Gegenposition ist freilich von den unter Druck von oben beziehungsweise außen durchgepeitschten Programmen der Bevölkerungspolitik ebenso weit entfernt wie von der Position des Papstes: Geburtenkontrolle, so die vorherrschende Meinung in den österreichischen und deutschen Entwicklungshilfe-Organisationen, darf aus Gründen der Menschlichkeit und aus Achtung vor den Menschen, aber auch, weil diese nur mittragen, was sie verstanden und akzeptiert haben, nicht gegen den Willen der Betroffenen forciert werden.

Doch darf vor allem den Frauen, wo immer sie die für Familienplanung notwendige Information und Beratung wünschen, diese auf keinen Fall vorenthalten werden. Bevormundung weder so noch so.

Kehrseite der unter dem Einfluß der UNO, der Weltbank, der einheimischen Oberschichten durchgezogenen Geburtenbeschränkungsprogramme in Lateinamerika, die sich stets vorrangig gegen die Unterprivilegierten, die Armen, die Unerwünschten und Minderheiten richten: Der Widerstand der Pfarren, ohne deren Mitarbeit in den lateinamerikanischen Ländern im allgemeinen wenig läuft, gegen jede einschlägige Beratung der Frauen im Rahmen der Enwicklungs-hilfe.

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