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Die Kirche und die Uberbevölkerung der Erde

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Der Beitrag „Ist die Menschheit zum Verhungern verurteilt?" (FÜR CHE 33) hat einige kritische Stimmen ausgelöst, die meinten, das Hungerproblem wäre anders als durch Empfängnisregelung zu lösen. Von dieser sollte eine katholische Zeitung nicht schreiben. Nun hat auch die katholische „Herder-Korrespondenz" im Septemberheft das Thema in ausführlicher Form aufgegriffen

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Der Beitrag „Ist die Menschheit zum Verhungern verurteilt?" (FÜR CHE 33) hat einige kritische Stimmen ausgelöst, die meinten, das Hungerproblem wäre anders als durch Empfängnisregelung zu lösen. Von dieser sollte eine katholische Zeitung nicht schreiben. Nun hat auch die katholische „Herder-Korrespondenz" im Septemberheft das Thema in ausführlicher Form aufgegriffen

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Anlaß ist die 5. Allgemeine Bischofssynode, die eben in Rom begonnen hat und dem Thema „Die Aufgabe der christlichen Familie in der Welt von heute" gewidmet ist. Dabei wird erfreulicherweise auch das Thema Bevölkerungsexplosion (ein Begriff, der vor 50 Jahren von dem Amerikaner Guy Irving Buch geprägt wurde) behandelt werden.

Daten zu diesem Problem gibt es in Uberfülle. Ein paar Erinnerungshilfen:

Wenn die gegenwärtige Entwicklung anhält (und bei dieser Projektion ist bereits eine gewisse Verlangsamung des Wachstums in der Dritten Welt einkalkuliert), dann werden sich die Bewohner der Industriestaaten bis zum Jahr 2000 von gegenwärtig 1131 Millionen auf 1272 Millionen vermehrt haben, die der Entwicklungsländer aber von derzeit 2383 Millionen auf 4884 Millionen.

Dazu der katholische Bevölkerungswissenschafter Arthur McCormack (Rom/London) in der Herder-Korrespondenz: „Es ist daher nicht daran zu zweifeln, daß wir uns noch mitten in einer Bevölkerungsexplosion von, historisch gesehen, erschreckendem Ausmaß befinden."

Um jenseits aller Zweifel klarzustellen, worum es geht: Es geht nicht um die westliche Welt, wo in einzelnen Ländern (etwa Österreich) das Bevölkerungswachstum vielleicht schon besorgniserregend gering geworden ist. Es geht um die Hungerländer in Asien, Afrika und Lateinamerika.

Es ist weiterhin völlig unbestritten, daß alles Menschenmögliche (also ungleich mehr noch als bisher) unternommen werden muß, um einerseits mehr zu produzieren, zum anderen und vor allem aber durch gerechtere Verteilungssysteme mehr Menschen an den Gütern der Welt Teilhabe zu verschaffen.

Aber das alles wird kurzfristig nicht ausreichen, die Not zu lindern. Um nicht alle wirtschaftlichen und sozialen Maßnahmen durch ungehemmtes Bevölkerungswachstum zunichte zu machen, muß auch verantwortete Elternschaft praktiziert werden.

Das ist vom Evangelium her nicht nur erlaubt, sondern sittlich geboten! McCormack:

„Die Kirche hat ein vitales Interesse daran, mitzuhelfen, die drückende Armut zu beseitigen, da sie vom Evangelium Christi den Auftrag hat, für die Erfüllung von Gottes Plan für diese Welt zu sorgen.

Es ist auch nicht wahr, daß die Spitzen der Kirche von diesen Nöten noch keine Notiz genommen hätten. In der Enzyklika „Populorum progressio" hat Papst Paul VI. ebenso wie in „Hu-manae vitae" dieses Problem angesprochen - freilich nur, indem er von „unmoralischen Praktiken" zur Eindämmung des Wachstums warnte. Also sind moralische durchaus legitim.

Bei der ersten Tagung zur Förderung natürlicher Familienplanungsmethoden in Cali (Kolumbien) im Juni 1977 empfahl derselbe Papst eine Verstärkung der Forschung auf diesem Gebiet, weil das schwerwiegende Problem des Bevölkerungswachstums „nicht ignoriert werden darf'.

Das offene Problem ist die Wahl der Mittel für eine verantwortlich praktizierte Elternwahl. Wenn man sich die konkrete Situation vor Augen hält, kann man sich schwer vorstellen, daß Basaltemperaturmessungen und Kalenderstricheln in den Elendsvierteln von Mexico City und den Slums von Rio de Janeiro wirksame, „natürliche", menschenwürdige Methoden sein könnten (was wieder gar nichts gegen die Anwendung solcher Methoden in Industriestaaten besagt).

In Abschnitt 2, Teil 3, des Vorbereitungspapiers für die gegenwärtige römische Weltbischofssynode heißt es wörtlich: „Schnelles Bevölkerungswachstum (das demographische Problem) ist eine zentrale Frage der Seelsorge."

Arthur McCormack vertritt in der Herder-Korrespondenz die Auffassung, daß ein Zusatz etwa folgenden Inhalts anzustreben wäre:

„Schnelles Bevölkerungswachstum verursacht ernste seelsorgliche Probleme, und jene, welche die von der Kirche gebilligten Methoden der Empfängnisverhütung nicht anwenden können, die Zahl ihrer Kinder aber beschränken oder den zeitlichen Abstand zwischen ihnen ausdehnen müssen, sind ebenso wenig zu tadeln wie jen^, die aufgrund persönlicher Eheprobleme in einer ähnlichen Lage sind, wenn sie der strengen Lehre des Papstes nicht folgen können."

MacCormacks Schlußfolgerung: „Dieser Zusatz ist theologisch vertretbar, er würde Millionen von Menschen helfen und die Glaubwürdigkeit von Papst Paul II. in seinem Kreuzzug für die Armen und Unterdrückten der Welt immens stärken."

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