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Geschlecht, Ehe, Kind

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Einklang der Geschlechter. Sexuelle Fragen in unserer Zeit. Von Oskar F o r e 1. Uebersetzung von L’Accord des Sexes. Rascher-Verlag, Zürich. 395 Seiten. Preis 19 sfr.

Der Verfasser hat sich anscheinend zum Ziel gesetzt, das Werk von August Forel, „Die sexuelle Frage”, in die Problematik unserer heutigen Zeit zu übertragen. Ein Vergleich beider Werke fällt eher zugunsten des alten, „großen Forel” aut. Besser als eine Kritik von Einzelheiten erscheint et dem Referenten, den Verfasser selbst zum Leser sprechen zu lassen; vor allem in dem für seinen Standpunkt charakteristischesten Kapitel „Abtreibung” (Seite 270 ff.):

Nachdem er darüber geklagt hat, daß es fast unmöglich ist, mit den Gegnern über dieses Problem sachlich zu diskutieren, weil diese immer sofort große Prinzipien ins Feld führen: „Du sollst nicht töten”; „Das oberste Gebot für den Arzt ist, Leben zu erhalten”, führt er aus: Die Behauptung, ein kaum befruchtetes Ei, ein millimetergroßer Embryo sei einem menschlichen Wesen gleichzustellen, daher sei die Schwangerschaftsunterbrechung ein Mord, ist nicht berechtigt. Der Embryo besteht in diesem Stadium aus einer gerade sichtbaren Anhäufung von Zellen. Hierzu beruft er sich auf die Evolutionslehre, auf das „biogenetische Grundgesetz” von E. Haeckel: „Ein Fötus von einigen Wochen oder Monaten stellt also keinen Menschen im kleinen dar, sondern eine in Entwicklung begriffene Form von Stufen, die vor Millionen von Jahren existiert haben.” Natürlich fehlt hier auch nicht der Hinweis auf das Embryonalstadium der Kiemenspalten.

Es kann kaum einen besseren Beweis für den engen Zusammenhang zwischen dem Evolutionismus und dem Menschenbild des naturwissenschaftlichen Materialismus geben als diese Argumentation. Bei jeder Gelegenheit sucht der Verfasser auch der christlichen Anthropologie irgendwelche ungeheuerlichen Irrtümer anzudichten, wobei auch evidente Unwahrheiten mit unterlaufen:

„Erst das Christentum hat in diesem Punkte die moralischen Anschauungen (sc. der Antike) umgestoßen, indem es dem Embryo eine Seele verlieh. Nach Sankt Thomas von Aquin findet diese Beseelung bei Knaben gegen den 40., bei Mädchen am 80. Tage statt” (Seite 272). Bekanntlich hat Sankt Thomas diese Lehre des Aristoteles nicht übernommen.

Mit der gleichen Zuverlässigkeit behauptet der Verfasser, Seite 274:

„Vor kurzem hat der Papst erklärt, daß bei der Wahl zwischen dem Leben der Mutter und des Kindes die Mutter geopfert werden soll: denn sie ist getauft und kann in den Himmel kommen!”

Hier muß man fragen: Handelt es sich nur um Ignoranz oder um Schlimmeres?

Entgegen allen Erfahrungen der Gynäkologie behauptet der Verfasser auf der gleichen Seite: „Es sei hervorgehoben, daß ein in den ersten drei Monaten vollzogener Eingriff, unter guten Bedingungen durchgeführt, harmlos ist.”

Entgegen allen Erfahrungen der Psychiatrie behauptet der Verfasser, Seite 283, daß psychogene Depressionen oft schlagartig heilen, sobald die Einwilligung zum Eingriff erteilt worden ist. Das Dilemma heiße für den Arzt nicht: Fortsetzung der Schwangerschaft oder Abortus, sondern „ärztlicher Eingriff oder heimliche Abtreibung” (Audeoud), Seite 285.

Zum gesetzlichen Verbot der Abtreibung wird erklärt (S. 286):

„Die Frau hat ein Recht auf ihre körperliche Unversehrtheit, mit anderen Worten, sie muß die Möglichkeit haben, sich von etwas zu befreien, was als Ergebnis eines Unfalles . .. einer Ueberschreitung des Rechtes des Mannes betrachtet werden kann. Wenn die Frauen … sich … ihrer menschlichen Werte bewußt geworden sind, werden sie die Aufhebung der Gesetzesparagraphen bezüglich der Abtreibung verlangen, denn diese Paragraphen sind eine Verletzung ihrer Persönlichkeit.”

Diese Proben dürften genügen, ein Urteil über das Buch zu begründen.

Die Partnerwahl. Von Hugo Dahn. In: Geschlechtsleben und Gesellschaft. Herausgeber Doktor med. et phil. H. Giese. F.-Enke-Ve;lag, Stuttgart. 67 Seiten. Preis 4.60 DM.

Es gibt zahlreiche Bücher über Eheprobleme — darunter auch manche gute —, aber auffallend wenige Bücher über die Frage der Gattenwahl (hier allgemein als „Partnerwahl” bezeichnet). Unter diesen findet sich höchst selten ein wirklich gutes Werk. Die vorliegende Schrift gehört zu den wenigen gediegenen Büchern über diesen Gegenstand. Sie behandelt das Thema vom biologischen, psychologischen und sozialen Standpunkt, ohne dabei der ethisch-metaphysischen Betrachtung auszuweichen, wo sie erforderlich ist. Von den 16 Kapiteln des Buches sind besonders zu erwähnen: 1. Wandlungen der Sitte; 3. Das modische Idealbild; 5. Die individuelle Ergänzung; 6. Triebhafte Liebe; 7. Die Rolle der menschlichen Liebe; 8. Das Gleichgewicht der Partner; 14. Einfluß der Herkunft; 15. Der Unterschied der Rasse; 16. Die Bedeutung der Vir- ginität.

Die Schrift kann als Ratgeber in einer der wichtigsten Lebensentscheidungen empfohlen werden.

Das entwurzelte Kind. Von Dr. Margarete H a s- selmann-Kahlert. In: Geschlechtsleben und Gesellschaft. Herausgeber Dr. med. et phil. H. Giese. F.-Enke-Verlag, Stuttgart. 117 Seiten.

Die zunehmende Verwahrlosung und Kriminalität der Jugendlichen hat auch in der wissenschaftlichen Publizistik bereits alarmierend gewirkt, besonders vom Gesichtspunkt der psychischen Hygiene. Die Heilpädagogik und Sexualpädagogik stehen den Phänomenen noch ziemlich ratlos gegenüber, vor allem deswegen, weil ihre Bemühungen meist zu spät kommen.

In dieser Schrift zeigt eine warmherzige, kluge und energische Kinderärztin die eigentlichen Wurzeln des .beängstigenden Phänomens auf: Sie liegen bereits in der frühesten Kindheit, im Mangel an elterlicher Liebe und „Nestwärme”, die das Kind in den frühesten Entwieklungsjahren umgeben muß. Die Verfasserin führt diesen Gedanken folgerichtig durch und beweist seine Richtigkeit an der Hand einer großen Anzahl geradezu erschütternder Beispiele. Man kann das Buch nicht ohne tiefe Bewegung aus der Hand legen.

Frau Dr. Hasselmann zeigt in ihrem Buch auch deutlich die großen . Aufgaben einer, psychologisch orientierten Pädiätrie für unsere Ge?ttfwart„‘Sie können auch vom Standpunkt der Sozia 1- h y g i e n e nicht entschieden genug betont werden. Ein österreichischer Pädiater, der auf diesem Gebiete bahnbrechend gewirkt hat, sagte (erst wenige Tage vor dieser Rezension) zum Referenten: Daß in zirka 20 Jahren die psychologische Orientierung in der Pädiatrie eine Selbstverständlichkeit sein wird; jetzt ist sie noch die „Pädiatrie der Zukunft”.

Die Lektüre des vorliegenden Buches hat diese Worte dem Referenten eindrucksvoll und überzeugend bestätigt.

Vielleicht hat die Verfasserin mit Absicht und in kluger Beschränkung auf medizinische, soziale und psychologische Tatsachen es vermieden, auf die letzten und tiefsten Ursachen der seelischen Entwurzelung und der Zerstörung der Ehen und Familien einzugefien.

Eheprobleme. Von Marguerite Cailleux. Ueber- setzung von „Le mariage vecu”. Gallus-Verlag, Wien. 246 Seiten.

ln diesem Werk spricht die Verfasserin — eine französische Aerztin — über eine Anzahl von Problemen des alltäglichen und des höheren geistigen Lebens in der Ehe. Sie trägt bei jedem Kapitel zunächst ihre eigene Ansicht vor, um dann unter dem Titel „Die Meinung des Mannes” die ihres Gatten folgen zu lassen, die sich durchaus nicht immer mit der ihren deckt.

Der Vorzug des Werkes ist vor allem ein echt französischer „Esprit”: leichtflüssig-geistvolle Darstellung selbst komplizierter Probleme, ohne sich allzusehr mit profunder Schwere zu belasten. Dieser Vorzug ist zugleich die Schwäche des Werkes. Stellenweise wird das geistvolle Gespräch zur „Causerie”; bisweilen wird dort, wo die Probleme wirklich schwer und wesentlich werden, auf sie nicht eingegangen, sondern leicht und elegant’ über dal Wesentliche hinweggeglitten. Dies scheint dem Referenten besonders der Fall zu sein in Kapitel 14: Es geht hier um Unterschiede zwischen den Ehegatten hinsichtlich von „Geschmack und Neigungen”. Ohne deren Bedeutung zu unterstützen, muß gesagt werden, daß es sich um noch tiefer begründete Differenzen handeln kann als um solche rein ästhetischer Urteile, vor allem um Differenzen der Weltanschauung und ihrer Konsequenzen für die Gesamtauffassung der Ehe und ihrer Aufgaben. Fragen der Religion werden stets mit Ehrfurcht erörtert, leider ohne Klarheit und ohne festen, eindeutig präzisierten Standpunkt. Es ist der Standpunkt der Toleranz, des Geltenlassens auch anderer Möglichkeiten und des Goetheschen „Das Unerforschliche schweigend verehren”.

Gelobt werden können die Kapitel 16 bis 18: Prüfungen, Krankheiten, Schwangerschaft; Begren-zung und Entfaltung; Bedürfnis nach Alleinsein. Im ganzen ist es ein gutes Buch, das empfohlen werden kann, wenn es auch weit davon entfernt ist, die letzte Tiefe der erörterten Probleme auszu schöpfen. Es wird sicher vielen Menschen vieles bringen — es wird freilich auch vielen — und nicht den schlechtesten — vieles schuldig bleiben.

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