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Eltern auf der Schulbank

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Das vortlegende werle entstand unter Mitarbeit von mehr als fünfzig evangelischen und katholischen Autoren aus Belgien, Deutschland, Luxemburg, Holland, Österreich und der Schweiz; unter ihnen finden sich Namen von internationaler Bedeutung; es soll auf christlicher Basis eine Hilfe auf dem Gebiete der Elternbildung, diesem so wichtigen Teilgebiet der Erwachsenenbildung, bieten, und zwar einerseits jenen, die als Referenten, Schulungsleiter usw. in der Ehe- und Elternschulung tätig sind, anderseits aber auch unmittelbar den interessierten Ehepartnern und Eltern selbst.

Die Notwendigkeit eines derartigen Handbuches steht wohl im Hinblick auf die ständig zunehmende Wichtigkeit der Erwachsenenbildung außer Frage. Daher ist es nicht verwunderlich, daß Vorworte des österreichischen Bundeskanzlers Dr. Josef Klaus, des Bundesministers für Familie und Jugend, Dr. Bruno Heck, Bonn, und des Vorstehers des eidgenössischen Departements des Inneren, Prof. Dr. Hans-Peter Tschudi, Bern, die Bedeutung dieses schweizerischer Initiative zu dankenden Werkes gebührend betonen.

Der Herausgeber erwähnt in seiner Einleitung mit Recht, daß die Reichhaltigkeit der Hinweise und Hilfen das Handbuch zu einer Meinen Bibliothek mache. Zu den wichtigen Hilfen zählen sicher die diversen Literaturhinweise. Leider aber sind sie nicht jeweils einem Abschnitt oder Unterabschnitt in übersichtlicher Form vorangestellt. Die Literatur wird vielmehr häufig an Abschnittsenden angeführt, mitunter aber auch wieder nur in verstreuten Fußnoten zum Text zitiert, nie aber (mit einer einzigen Ausnahme in Bd. 1, S. 203) kann man dem Inhaltsverzeichnis direkt entnehmen!, wo die einschlägige Literatur der betreffenden Abschnitte zu finden ist. Auf dem Gebiete der Literaturhinweise hätte man also mit geringer Mühe eine weit größere Übersichtlichkeit erreichen können.

Wenden wir uns nun dem Inhalt des Werkes zu. Es gliedert sich in drei Teile: Einführung in die Ehe und Elternbildung (I), zur Methodik der Ehe- und Elternbildung (II) und Materialien zur Ehe- und Elternbildung (III). Der dritte Teil zerfällt in zwei große Untergliederungen. Die erste enthält die Materialien, die „Ehe und Familie“ betreffen, und wird „gamologischer Teil“ genannt. Diese Untergliederung bildet zusammen mit dem Teil I und II des Werkes den Inhalt des ersten Bandes. Der zweite Band besteht aus der zweiten Untergliederung des dritten Teiles und enthält die Materialien, die „Eltern und Kinder“ betreffen. Er Wird „pädagogischer Teil“ genannt (Bd. 2, S. XVII). Gamologie bedeutet übrigens in einem engeren Sinne die „erst allmählich entstehende Wissenschaft von der Ehe“ und in einem erweiterten Sinn die Wissenschaft von Ehe und Familie (so Bd. 1, S. 20). Jeder Band verfügt über ein eigenes, nur seinen Inhalt, nicht aber das ganze Werk berücksichtigendes Namen-, Personen- und Sachregister.

Der erste Abschnitt behandelt, die Geschlechter in anthropologisch-psychologischer Sicht und ist in die Unterabschnitte Mann (I) und Frau (II) unterteilt, die wiederum verschiedene Verfasser haben. Die ersten vier Kapitel im I. Unterabschnitt bieten aber eine kurzgefaßte „Methaphysik der Geschlechter“. Sie gelten also gleichermaßen für den von der Frau handelnden II. Unterabschnitt. Hier dürfte somit einer der Fälle gegeben sein, in denen die getrennte Zuteilung eines relativ engen Fachgebietes an mehrere Autoren — bei allem Verständnis für das Bestreben, über die Frau von einer Frau schreiben zu lassen — bereits eindeutig zu einer sachlich ungerechtfertigten Aufsplitterung geführt hat.

Der den pädagogischen Teil enthaltende zweite Band beginnt mit einem Abschnitt über die entwicklungspsychologischen Voraussetzungen. Der folgende Abschnitt behandelt das Kleinkindalter. An die eindrucksvolle Herausarbeitung des Urerlebnisses der Geborgenheit schließt sich eine Erörterung des ersten Schrittes zur Selbständigkeit, einschließlich der Trotzproblematik; sodann werden das frühkindliche Spielen sowie das Märchen und die magische Haltung des Kindes diskutiert. Der nächste Abschnitt über das Schulkindalter befaßt sich mit der Schulreife, dem Schulerfolg- und -mißerfolg sowie den sozialen Gruppierungen in Kindheit und Jugend. Der vierte Abschnitt „Jugendalter“ behandelt die Leitbilder des Mädchens und des Jungen und die Krise der Reifezeit. Der fünfte

Abschnitt berücksichtigt die personalen und sachlichen Faktoren der Entwicklung vor allem die positiv oder negativ prägenden Kräfte des Elternhauses im weitesten Sinn, die Bedeutung der Massenmedien und die Rolle des Geldes in der Familie. Der letzte Abschnitt umfaßt unter der Überschrift „Glaube und Liebe“ folgende Leitthemen: Die Hinführung des Kindes zum Glauben, insbesondere durch die Eltern (I), die manipulierte Frühbegegnung der Geschlechter (II), die Entscheidung zum Lebensstand (III), die zeitgemäße Vorbereitung auf die Ehe (IV) und die Elemente der Partnerwahl (V).

Für ratsuchende Eltern werden im zweiten Band vor allem die Kapitel im Abschnitt über das Kleinkind-alter von unmittelbarstem Interesse sein können, während etwa das Schlußkapitel über die Partnerwahl besonders auf Leser zugeschnitten

ist, die als Berater von Ehepaaren oder Brautleuten fungieren. Das Kapitel über die Rolle des Geldes in der Familie wäre seinem Inhalt nach zum Teil im ersten Band zu erwarten gewesen, insofern es bei der Erörterung des Haushalts- und Taschengeldes auf den falschen Autoritätsbegriff mancher Männer zu sprechen kommt und darauf, daß ihr Ehebild noch von patriarchalischen Relikten mehr als vom partnerschaftlichen Ideal geprägt ist.

Im Kapitel über die Hinführung des Kindes zum Glauiben wäre es wohl angezeigt gewesen, die enorme Bedeutung der Unterschiede, die zwischen den verschiedenen Altersstufen des Kindes (und übrigens auch des Erwachsenen) in bezug auf die Ausprägung der religiösen Haltung bestehen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Notwendigkeit einer altersspezifi-schen (und übrigens auch geschlechtsspezifisehen) Glaubensverkündigung (nicht nur in der Kinderkatechese, sondern auch in der Erwachsenenseelsorge) weit schärfer herauszuarbeiten und zu betonen, als es tatsächlich geschehen ist.

Wichtig ist es, auf Gebiete hinzuweisen, -die von größerer Bedeutung wären, im Handbuch aber ohne ent-

sprechende Behandlung blieben. Laut Sachregister wird die konfessionelle Mischehe überhaupt nur im ächiußkapitel über die Partnerwahl srwähnt, anscheinend aber nirgends n ihrer besonderen „gamologischen .ind pädagogischen Problematik“ genauer erörtert.

Die Situation der gescheiterten Ehe in bezug auf das Verhältais der Satten zueinander, zu den Kindern und zu Dritten kommt ebenfalls zu kurz. In Band 2, Seite 273, finden sich ;inige Sätze unter dem Aspekt der nachteiligen Auswirkung gefährdeter Ehen auf die Kinder, und in Band 1, Seite 365, werden vier kleine Atasätze der Tragik jener Ehen »ewidmet, bei denen sich die falsche Partnerwahl nicht hat ausgleichen assen. Hier wäre für die Betroffe-len, die nach Scheidung ihrer Ehe ;ine neue Bindung eingegangen sind and nun ständig unter dem Druck ies religiösen Wiederverheiratungs-/erbotes leben, noch vieles, und zwar üoffniungsvolleres und Trostreiche-?es zu sagen gewesen, gerade auch

unter einem pastoralitheologischer Aspekt, der dann natürlich wiedei Auswirkungen auf die Beziehunger] Dritter zu den Partnern gescheiterter Ehen haben müßte.

Keinesfalls darf man ferner in Einem Handbuch, das den beteiligter Gatten und Beratern Hilfe bieten will, die diversen juristischen Konsequenzen für die Ehegatten und ihre Kinder im Zusammenhang mit dei faktischen Trennung und der rechtlichen Lösung des Ehebandes so völlig außer acht lassen, wie es aber leider hier doch wohl geschehen ist. Allerdings hätte man sich bei Berücksichtigung dieser Konsequenzen — weil ja das Handbuch für den gesamten deutschen Sprachraum konzipiert wurde — auch der Mühe unterziehen müssen, die rechtlichen Abweichungen innerhalb dieses Sprachraumes zu beachten.

Das gilt zum Beispiel auch für die Erörterung der „Kinderlosigkeit als unerwartetes Schicksal“ (Band 1, Seite 299 ff.). Unter dieser Überschrift wird nicht einmal in bezug auf den im Vordergrund stehenden menschlichen Aspekt dieser tragischen Situation als ein eventuell sinnvoller Weg die Problematik einer Adoption genauer erörtert, was zweifellos eine arge Lücke darstellt.

Ferner aber hätte man zusätzlich unbedingt auch die rechtlichen Durchsetzungs- und Absicherungs-möglichkeiten erwähnen müssen, die heute für Adoptionen bestehen, weil die Betroffenen erfahrungsgemäß diesbezüglich oft denkbar uninfor-miert sind.

Ferner erscheint der menschliche Aspekt beispielsweise im folgenden Zusammenhang besonders berücksichtigungswert. Im Band 1, Seite 336, wird von der Fähigkeit zur Ehe gesprochen, die nicht angeboren sei: „Der gute Wille nützt nichts, wenn geglückte Kontakte zum Vater und zur Mutter... nicht erlebt werden. An ihren Eltern lernen oder verlernen die Kinder das Lieben...“ Man stelle sich vor, welch deprimierende Wirkung diese Sätze auf einen Leser haben könnten, der aus einer total gescheiterten Ehe stammt, ohnehin der Meinung ist, an seinen Eltern das Lieben verlarnt zu haben, und im Moment zusätzlich noch seine Beziehungen zum Verlobten oder zum Ehegatten von erdrückenden Schwierigkeiten bedroht glaubt! Es erscheint wohl unerläßlich, Sätze wie die vorhin zitierten nur dann zu schreiben, wenn sofort hinzugefügt wird, daß trotz der durch das Elternhaus verursachten Schwierigkeiten, die geradezu als „psychologische Unmöglichkeit“ im vorhin umschriebenen Sinn bezeichnet werden könnten, dennoch immer wieder

Fälle vorkommen (nicht bloß sich ereignen konnten, sondern sich tatsächlich bereits zugetragen haben!), die beweisen, daß es auch scheinbar völlig liebeleer aufgewachsenen Kindern aus zerstörten Ehen möglich ist, als Erwachsene zum Glück der Liebe und Ehe zu finden. Wer wollte ernstlich die Wahrheit dieser Behauptung bestreiten? Warum aber verschweigt man sie dann an der zitierten Stelle, obwohl sie gerade dort als Ergänzung so wichtig wäre?

So unbestreitbar wertvoll und nützlich das Handbuch auch jetzt bereits sein kann, so wichtig wäre es doch, vor einer Neuauflage den Inhalt im Bestreben, größere Übersichtlichkeit zu erreichen, wesentlich zu straffen und dadurch zugleich genügend Raum für die Ausfüllung derzeit noch vorhandener Lücken, die im Vorstehenden keineswegs vollzählig angeführt wurden, zu gewinnen.

Gewiß soll man einem guten Buch, das dem Leserkreis, für den es geschaffen ist, eine Fülle theoretischer Bereicherungen und unmittelbar wichtiger praktischer Anregungen bietet, prinzipiell nicht zum Vorwurf machen, daß es nicht noch besser ist. Das vorliegende Werk sollte aber besonders bedeutsam sein, so daß man von ihm verlangen muß, noch wesentlich besser zu werden.

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