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Nicht zurück zum Jahre 1811

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Die im Parlament beschlossenen Reformentwürfe zum Familien-recht gehen von vier Grundsätzen aus, nämlich der Partnerschaft der beiden Ehegatten, der Gleichberechtigung der Ehegatten, der Privatautonomie der Ehegatten und dem Wohl des Kindes. Das alte österreichische Modell sah den Vater als die tragende Figur der Familie und der Ehe an. Man hatte ihm daher die Stellung als „Haupt der Familie“ zugemessen. Heute spricht man vom „geköpften Haupt“, vom obsolet gewordenen Patriarchat und davon, daß sich auch in ernst zu nehmenden Diskussionen weder ein Mann noch eine Frau findet, die mit einigermaßen glaubhaften Gründen dem Patriarchat noch die Treue halten. Dies ist durch ein zunehmendes Bewußtsein der Frau ausgelöst worden, nicht mehr — auch nicht formell—■ Familienuntertan zu sein, durch einen wesentlich größeren Anteil der Frauenerwerbstätigkeit, durch Einblicke der Frauen in die Männerwelt, wohl auch durch die sexuelle Liberalisierung etwa der letzten zehn Jahre. Begleitet wird dieses Phänomen von einer Unsicherheit des Mannes, die auf unser sehr gemäßigtes Klima noch nicht übergegriffen hat, aber in Amerika offensichtlich dazu geführt hat, daß jedes zweite Thema, das von Männern auf der Couch des Psychiaters ausgebreitet wird, die Unsicherheit in Ehe und Familie betrifft.

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Die im Parlament beschlossenen Reformentwürfe zum Familien-recht gehen von vier Grundsätzen aus, nämlich der Partnerschaft der beiden Ehegatten, der Gleichberechtigung der Ehegatten, der Privatautonomie der Ehegatten und dem Wohl des Kindes. Das alte österreichische Modell sah den Vater als die tragende Figur der Familie und der Ehe an. Man hatte ihm daher die Stellung als „Haupt der Familie“ zugemessen. Heute spricht man vom „geköpften Haupt“, vom obsolet gewordenen Patriarchat und davon, daß sich auch in ernst zu nehmenden Diskussionen weder ein Mann noch eine Frau findet, die mit einigermaßen glaubhaften Gründen dem Patriarchat noch die Treue halten. Dies ist durch ein zunehmendes Bewußtsein der Frau ausgelöst worden, nicht mehr — auch nicht formell—■ Familienuntertan zu sein, durch einen wesentlich größeren Anteil der Frauenerwerbstätigkeit, durch Einblicke der Frauen in die Männerwelt, wohl auch durch die sexuelle Liberalisierung etwa der letzten zehn Jahre. Begleitet wird dieses Phänomen von einer Unsicherheit des Mannes, die auf unser sehr gemäßigtes Klima noch nicht übergegriffen hat, aber in Amerika offensichtlich dazu geführt hat, daß jedes zweite Thema, das von Männern auf der Couch des Psychiaters ausgebreitet wird, die Unsicherheit in Ehe und Familie betrifft.

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Das Modell der Vorherrschaft des Mannes ist rechtlich nicht haltbar. Die Entwürfe haben sich dafür entschieden, dem Partnerschaftsgedan-ken zu huldigen, eine These, die in keinem politischen Programm der in Österreich vertretenen Richtungen bestritten wird. Niemand sagt, daß Partnerschaft schlecht sei. Die Entwürfe halten sich hier an den Artikel 7 der Bundesverfassung, den Gleichheitsgrundsatz: Es wird nicht geleugnet, daß Mann und Frau biologisch verschieden sind, daß sie anders denken, anders handeln, anders fühlen, sich in bestimmten Situationen anders verhalten. Es wird aber behauptet, und ich schließe mich dem an, daß es ein rechtliches Kriterium zwischen Mann und Frau nicht gibt, das den Gesetzgeber dazu zwingen würde, sie in Ehe und Familie rechtlich verschieden zu behandeln. Aus diesem grundlegenden Ansatzpunkt heraus sagen alle Entwürfe, daß Mann und Frau in der Ehe gleichberechtigt sind.

Die Antithese lautet: Gleichmacherei ist schlecht. Gleiche Rechte bedeuten für Mann und Frau eine Egalität, ein Identsetzen der Rechte und Pflichten. Das entspäche nicht der Familienwirklichkeit, nicht der Ehewirklichkeit. Man müsse doch sehen, daß die Famiilienwirklichkedt auch heute arbeitsteilig verlaufe. Es gäbe doch verschiedene Modelle in der Lebenswirklichkeit und man müsse dieser Vielgestalt eben Rechnung tragen und versuchen, ein differenziertes Modell im Gesetz vorzusehen. Man könne wohl von der Partnerschaft ausgehen, aber nicht von dem Wörtchen „gleich“.

Diese Antithese verficht daher Begriffe wie „gleiohwichtig“, „gleichrangig“ oder „gleichwertig“. Die Rechtsordnung müsse im Familien-recht gewissermaßen auf zwei Säulen aufbauen, von denen die eine dem Mann, die andere der Frau zugeordnet sein müßte; diese Säulen müßten sich aus verschiedenen Schichten zusammensetzen, in Summa aber „gleichgewichtig“, „gleichwertig“ aber eben nicht „gleich“ sein.

Sowohl These wie Antithese haben viel für sich. Doch ist es gesetzes-technisch einfacher, von der These der gleichen Rechte auszugehen. Die Antithese ist nämlich mit einem kaum lösbaren Problem behaftet. Es geht um die Frage der Zuordnung eines Rollenbildes.

Unser ABGB aus dem Jahre 1811 hat Mann und Frau unterschiedliche Rollen zugewiesen: der nach außen wirkende Mann, der allein über Einkommen verfügt, der allein die finanziellen Lasten der Familie trägt, und den Unterhalt bezahlt. Der daher die Kinder aber auch allein gesetzlich vertritt, den Wohnort der Familie bestimmt, der daher auch bestimmte Leitungsrechte hat; die

Frau hingegen ist auf das Innenver-hältnis der Familie beschränkt, hier mit gewissen Privilegien ausgestattet, wie Unterhaltsanspruch, Schlüsselgewalt usw..

Heute aber gibt es kein einheitliches Rollenbild der Frau. Es gibt den Typ der reinen Hausfrau, den Typ der berufstätigen Ehefrau, die den Haushalt mitversorgt, und den Typ der sogenannten modernen Frau, die nur mehr berufstätig ist, ohn€ Kinder. Es gibt auch die Halbtagsbeschäftigung, die vor allem von Frauen mit Kindern angestrebt wird. Es gibt also alle möglichen Mischformen, aber kein unbestrittenes Rollenbild mehr. Das Rollenverständnis des verheirateten Mannes ist dagegen vergleichsweise stabiler, aber auch nicht Wtehr so klar artikuliert wie ehedem. Überdies ist es in manchen sozialen Schiebten neurosenanfällig, was uns gerade erst bewußt zu werden beginnt. Setzt man nun an die Stelle einer „gleichberechtigten“ eine „gleichgewichtete“ Partnerschaft, dann müßte man zum Beispiel auch sagen, „die Frau soll allein oder doch in erster Linie für die Kinder sorgen“. Hier aber scheiden sich die Geister. Die einen sagen, es sei nicht einzusehen, warum nicht beide Ehegatten für die Pflege und Erziehung der Kinder sorgen sollten, die anderen weisen auf die realen Auswirkungen hin, wenn die Frau diese Aufgaben nicht oder nur unzureichend erfüllt: Schlüsselkinder, Horte und Ganztagsschulen. Dennoch scheint es in Österreich, in allen politischen Lagern, keine einzige Frauenorganisation zu geben, die sich heute auf das Rollenibild der Hausfrau eingeschworen hat.

Wenn der Mann nun nicht mehr das Haupt ist und die Frau auch nicht das Haupt werden soll, wer entscheidet dann? Der Entwurf gibt als Leitlinie: Ihr sollt euch einigen! Das ist belächelt und verspottet worden. Eine solche Rechtspflicht ohne Sanktion ist auch entbehrlich. In einem zweipersonalen Verhältnis versagt eben ein Element des demokratischen Prinzips, während das andere sehr wohl zum Tragen kommt: das Prinzip der Diskussion, des Miteinander, des einander Uberzeugens. Aber versagen muß natürlich das Mehrheitsprinzip, denn bei zwei Personen gibt es keine Mehrheit.

Im Verhältnis von Mann und Frau ist das nicht weiter gravierend, es ist jedoch dann von Bedeutung, wenn von diesen Menschen Dritte, die Kinder, aibhängen. Woran soll sieh das Kind orientieren, wenn die Eltern streiten, die Ehe aber noch besteht? Soweit Gefühle des Kindes im Spiele sind, wird es sich am stärkeren Elternteil orientieren, oder an jenem, der sich mehr um es kümmert, vielleicht auch in bestimmten Fällen an dem Elternteil, der der nachgiebigere ist.

Rechtlich gesehen, spielt die Art der Regelung im Innenverhältnis der Familie keine Rolle, wohl aber nach außen, bei der Vertretung des Kindes gegenüber Dritten. Hier liegt eine Hauptschwierigkeit des Entwurfes über die Rechtsbeziehungen Eltern — Kinder, hier zeigt sich ein gewisser Nachteil des Prinzips gleicher Rechte Um diese Schwierigkeiten lösen zu können, muß sich der Entwurf eines komplizierten Verfahrens bedienen. Bei einer bestimmten Art von Vertretungshandlungen vertritt der Elternteil, der zuerst kommt. Beispiel: Der Vater meldet das Kind für einen Ferienkurs bei den Pfadfindern an und zahlt. Am nächsten Tag kommt die Mutter und sagt, das komme gar nicht in Frage, das Kind solle Französisch lernen, es solle daher zu einem Französischkurs ins Ausland und zahlt 'bei der betreffenden Stelle ein. Nun kommt der Vater dorthin und sagt, er wolle das nicht, schließlich gehe es um sein Geld. Nach dem Entwurf hat 'bei den Pfadfindern der Vater rechtsgültig gezahlt, beim Franzö-s'.schkurs die Mutter, weil beide das 'Kind Dritten gegenüber rechtsgültig vertreten haben. Bei der heutigen Rechtslage wäre das nicht möglich, da der Vater alleiniger gesetzlicher Vertreter ist.

Bei anderen Vertretungshandlun-gen hingegen müssen beide Eltern in der Form zusammenwirken, daß die Zustimmung des anderen Teiles erforderlich ist. Wird diese Zustimmung verweigert, so kann sie durch das Gericht ersetzt werden. Wo es um die Vermögensverwaltung des Kindes geht, und zwar um den sogenannten außerordentlichen Wirt-schaftsbetrieb, müssen die Eltern nicht nur zusammenwirken, sondern auch die Zustimmung des Gerichtes 'einholen, weil hier der Staat den Eltern nach wie vor mißtraut und ■ihnen das Pflegschaftsgericht an die Seite stellt.

Das sind zugegebenermaßen vom theoretischen Ansatz her Nachteile dieser Konstruktion. Wenn diese Konstruktion im Sinne der oben erwähnten Antithese differenzierend sein würde, ergäbe sich dieser Nachteil nicht. Man hat wie folgt zu differenzieren versucht:

Die Buben zum Vater, die Mädchen zur Mutter oder umgekehrt.

• Die Kinder bis zum vollendeten 7. Lebensjahr zur Mutter, nachher zum Vater, oder bis zum 14. Jahr zur Mutter, nachher zum Vater.

• Der alternierende Obenbefehl: immer 1 Jahr die Mutter, dann 1 Jahr der Vater.

• Die Pflege und Erziehung des Kindes zur Mutter, Vermögensverwaltung zum Vater, Vertretungshandlungen der Erziehung: die Mutter, Vertretungshandlungen der Vermögensverwaltung: der Vater.

• Schon bei Schließung der Ehe legen die kinderlosen Ehegatten vor dem Standesbeamten fest, wer von ihnen den „Stichentscheid“ haben soll, und es wird eine Art Stichentscheidregister eingeführt. Hier drängt sich aber die Frage auf, ob sich die Ehegatten nach vielen Jahren, bei gänzlich veränderter Situation, an die seinereeitige Abmachung halten werden.

Von großer Bedeutung und wahrscheinlich die Kardinalfrage der gesamten Reform überhaupt ist der Unterhalt. Das derzeitige Modell beruht auf dem Grundsatz, daß während aufrechter Ehe der Mann der Frau und während und nach Ende der Ehe allein der Vater den Kindern unterhaltspflichtig ist. Das gesamte ASVG, das gesamte Versorgungsrecht des Bundes, ein Großteil der einschlägigen Steuergesetzgebung, das gesamte Prinzip der Krankenversicherung fußt zum Großteil auch heute noch auf diesem Grundsatz. Weil das Familienrecht in diese volkswirtschaftlich und sozialpolitisch höchst bedeutungsvollen Bereiche hineinwirkt, sieht der Entwurf, gewarnt durch den Finanzminister und gewarnt durch den Sozialminister, eine Beschränkung des Grundsatzes der Gleichberechtigung auf das Innenverhältnis der Ehegatten vor. Denn es könnte sonst leicht der Fall eintreten, daß zum Beispiel bestimmte Paragraphen des ASVG als gleichheitswidrig aufgehoben werden müßten, was mit Sicherheit ein Chaos der gesamten Sozialversicherung zur Folge hätte. Es wird sich daher die rechtliche Grundlegung der Witwerrente, die derzeit nur ansatzweise existiert, nicht so bald aus der Reform des Familienrechtes ableiten lassen. Sollte sich in ferner Zukunft ein wirkliches Bedürfnis zeigen, die Witwerrente voll neben die Witwenrente zu stellen, so wenden Änderungen größten Ausmaßes auf dem Arbeitsmarkt vorher stattfinden müssen.

Der Entwurf spricht, vom Grundsatz gleichberechtigter Partnerschaft ausgehend, nicht von Mann und Frau, sondern von den Ehegatten. Unterhaltsrechtlich außerstande, sich selbst zu erhalten ist ein Ehegatte nur dann, wenn er kein Vermögen hat und auch nicht erwerbstätig ist. Erwerbstätig muß er aber nicht sein, wenn er durch die Führung des gemeinsamen Haushaltes voll ausgelastet ist oder wenn er für Pflege und Erziehung der Kinder sorgt. Das ist der sogenannte „Hausfrauenparagraph“, der Rest der Versorgungsehe, auch wenn der Gesetzentwurf dies nicht ausdrücklich erwähnt. Es war die Überzeugung des Justizministeriums, daß mit dieser Bestimmung den berechtigten Ansprüchen der Hausfrau Genüge getan werden kann, ohne das System der Entwürfe von vornherein mit Widersprüchen zu belasten. Niemand will oder wollte je haben, daß nach diesem Konzept der Mann im Streit mit seiner Frau mit zwei oder drei unmündigen Kindern sagen können soll: „Geh arbeiten!“ Niemand will haben, daß die sechzig jährige Frau in der Phase des leeren Nestes, wenn die Kinder weg sind und die Enkel sich noch nicht eingestellt haben, zum Erwerb gezwungen werden kann.

Wohl aber wird man, wenn der Entwurf in dieser Form Gesetz werden sollte, sagen können, daß eine vierzigjährige Frau, die zwei Kinder großgezogen hat, weil sie früh geheiratet hat, die also schon mit vierzig Jahren in der Ehephase des leeren Nestes ist, davon betroffen werden kann, vor allem wenn es in Zukunft genügend offene Stellen für Halbtagsbeschäftigungen geben und der Grundsatz der Teilzeitarbeit auch im Sozialrecht voll verankert sein wird. Besteht dann zwischen den Ehegatten kein Konsens mehr und weigert sich der Mann, weiterhin den vollen Unterhalt an seine Frau zu zahlen, dann wird man sa-

gen können, daß der Frau ein bestimmter Beitrag zum eigenen Unterhalt aus einer eigenen Erwerbstätigkeit zumutbar ist.

Gerade das ist es, was heute in den Frauenorganisationen aller Parteien zum großen Nachdenken geführt hat. Wie hoch ist der Preis, so die Frage, der mit der Gleichberechtigung verbunden sein wird? Denn von den Politikern, die diese Vorlagen zu vertreten und über sie zu bestimmen haben, kann man — über alle politischen Lager hinweg — immer eines hören: Wenn wir uns für die Partnerschaft entscheiden und das bisherige Ehe- und Familienmodell ändern, so wird das bei aller Berücksichtigung der Realität und allen Versuchen, gerecht zu differenzieren, wo zu differenzieren ist, mit Sicherheit ein Mehr an Rechten der Frau zur Folge haben, mit einiger Wahrscheinlichkeit aber auch ein Mehr an Pflichten. Dieses mögliche Mehr an Pflichten ist es, was derzeit dumpf im Untergrund hörbar ist, aber noch nicht artikuliert worden ist.

Die Entwürfe, so wie sie vorlagen und vorliegen, sind vom der Bemühung geprägt, jenen Konsens zu erzielen, der notwendig ist, wenn sie gelebtes Recht werden sollen. Es gibt in dieser Geschlossenheit — auch wenn es sich um drei Teilstücke handelt — zur Zeit nirgends in Österreich eine große, in sich geschlossene Alternative. Für die Diskussion muß gesagt werden, daß sich glaubwürdig hier nur im Detail argumentieren läßt. Das Pauschalargument: Die Gesetze würden zur Aushöhlung und Zerschlagung der Ehe führen, weil man etwas anderes an ihre Stelle setzen wolle, ist bestenfalls polemisch gut anzuhören. Wer aber dieses Argument mit Uberzeugung vortragen und den Beweis dafür antreten will, müßte zu den Details eine bessere Alternative bereit haben. Wenn diese Alternative ausschließlich im alten österreichischen Modell des Jahres 1811 besteht, dann wird das die Öffentlichkeit nicht akzeptieren.

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