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Der Aufstand der Patriarchen
Nach fünfjähriger Vorarbeit hat das schweizerische Parlament mit großer Mehrheit das aus dem Jahre 1907 stammende Eherecht unter dem Leitgedanken vermehrter Partnerschaft und Gleichstellung der Ehegatten revidiert.
Doch das neue, gesellschaftspolitisch bedeutsame Recht ist noch nicht unter Dach und Fach. Weil aus erzkonservativen Kreisen das Referendum ergriffen wurde, kommt es voraussichtlich im Herbst zu einer Abstimmung, bei der sich zeigen wird, ob der „Aufstand der Patriarchen” das Rad der Zeit aufzuhalten vermag.
Das bisherige und noch heute geltende Eherecht war — entsprechend seiner Entstehungszeit -klar patriarchalisch ausgestaltet. Der Mann wird als Oberhaupt der Familie bezeichnet. Er bestimmt zum Beispiel die eheliche Wohnung und ist für den Unterhalt der Familie verantwortlich. Wenn nicht besondere Eheverträge geschlossen werden, verwaltet und nutzt er allein das eheliche Vermögen. Er kann der Frau eine Berufsausübung verbieten usw.
Abgesehen davon, daß Gesetz und Wirklichkeit längst nicht mehr übereinstimmen, gilt seit 1981 ein neuer Verfassungsartikel, der besagt, daß Mann und Frau generell gleichberechtigt sind und das Gesetz für ihre tatsächliche Gleichstellung vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit zu sorgen hat. Auf dieser Basis hat das Parlament das Eherecht unter dem Leitgedanken revidiert, daß beide Ehegatten alle wesentlichen Entscheidungen partnerschaftlich treffen und mit gleichen Rechten und Pflichten ausgestattet werden.
Ein wichtiger Punkt ist zum Beispiel, daß die Ehegatten nicht länger auf gesetzlich fixierte Rollen festgelegt sind (der Mann sorgt für den Unterhalt, die Frau besorgt den Haushalt), sondern sich verständigen, welchen Beitrag jeder an die Gemeinschaft leistet.
Der haushaltführende Partner ist finanziell nicht mehr einfach von der Großzügigkeit des Verdienenden abhängig, sondern hat Anspruch auf einen angemessenen Betrag zur freien Verfügung, den sogenannten „Haushaltlohn”. Die Frau braucht für eine Erwerbstätigkeit nicht mehr die Zustimmung des Mannes. Sie ist aber, genauso wie in allen Belangen auch der Ehegatte, gehalten, auf das Wohl der Familie Rücksicht zu nehmen.
Wie bisher soll bei einer Auflösung der Ehe das eingebrachte Gut jedes Ehegatten ausgeschieden werden. Dazu wird neu das Ersparte hälftig geteilt, während bis jetzt der Mann bevorzugt wurde.
Richter als Ehepartner?
Sämtliche Parteien stimmten der Revision im Parlament zu. Lediglich aus gewerblichen Kreisen war etwas Grollen zu vernehmen. Der „Haushaltlohn” beeinträchtigte die Reservebildung, die Besserstellung des überlebenden Ehepartners im Todesfall erschwere die Unternehmensnachfolge, weil die Kinder weniger Mittel für die Betriebsübernahme hätten.
Doch dann kam—nicht ganz unerwartet - der „Aufstand der Patriarchen”, die von einer „übertriebenen Verwirklichung des Gleichheitsgedankens” sprachen, mithin um ihre Vorzugsstellung fürchteten. Das Referendum wurde ergriffen und die notwendigen Unterschriften mühelos erreicht.
Denn noch immer fällt es in der Schweiz vielen schwer, die mühsam erstrittene Gleichberechtigung der Frau zu akzeptieren. Nicht umsonst warten die Schweizerinnen in zwei Kantonen noch immer auf das Stimm- und Wahlrecht.
Angegriffen wurde vor allem die Kompliziertheit des Gesetzes. Weil alle wesentlichen Entscheidungen gemeinsam zu treffen seien und niemand mehr rechtlich das letzte Wort habe, werde der Richter zum dritten Ehepartner. Statt Liebe sei künftig Buchhaltung der Kernpunkt der Ehe.
Da bahnt sich zweifellos ein Abstimmungskampf mit einem emotionalen Schlagwortabtausch an, der der ebenso heiklen, wie komplizierten Materie kaum gerecht wird. Auch wenn bisher keine bedeutende Partei sich hinter das Referendum stellt, ist ein Abstimmungsausgang in einem solchen Klima nicht so ohne weiteres voraussehbar. Wenn das neue Ehegesetz doch geltendes Recht wird, dann wohl vor allem dank der bisher klar spürbaren Solidarität der Frauen.
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