Zwischen Leid und LEIDENSCHAFT

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Die freie Partnerwahl zählt zu den jüngeren Erungenschaften, ebenso die rechtliche Gleichstellung der Ehepartner. Eine Geschichte der Ehe.

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Die freie Partnerwahl zählt zu den jüngeren Erungenschaften, ebenso die rechtliche Gleichstellung der Ehepartner. Eine Geschichte der Ehe.

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Historisch gesehen stellten Partnerwahl und Heirat schon immer biografische Schlüsselmomente dar und waren zugleich Kernpunkte der gesellschaftlichen Ordnung. Eine Heirat konnte zum sozialen Abstieg führen oder den erreichten Status festigen und für die nächste Generation absichern. Der Begriff der "Partnerwahl" erscheint auf vergangene Gesellschaften bezogen jedoch problematisch. Denn zum einen suggeriert er ein partnerschaftliches, also rechtlich und sozial gleichgestelltes Verhältnis der Geschlechter, zum anderen ist von "Wahl" die Rede. Eine Gleichstellung brachten in zahlreichen europäischen Ländern, darunter auch in Österreich, erst die Familienrechtsreformen der 1970er-Jahre mit der Abschaffung der dem Ehemann zugeschriebenen Position des Familienoberhauptes. Schwierig zu klären ist, inwieweit Männer ihre Ehefrauen, und Frauen ihre Ehemänner wirklich wählen konnten. Damit verbunden sind Fragen nach elterlicher Einflussnahme, ökonomischer Abhängigkeit zwischen den Generationen, Handlungsräumen von Frauen und Männern sowie nach der Macht der Liebe.

Der Gesellschaftstheoretiker Charles Fourier nannte die Ehe Ende des 18. Jahrhunderts ein "Mitgiftgeschäft", bei dem junge Mädchen als Ware feil geboten würden. Die Geldheirat wurde in dieser Zeit verfemt, die Liebesheirat proklamiert. Das Konzept der romantischen Liebe kritisierte auf wirtschaftlichen Kalkülen basierende Eheschließungen. Dessen Umsetzung war zunächst jedoch vornehmlich ein Projekt bürgerlicher Intellektueller, wenngleich die Strahlkraft dieser Vorstellung weit darüber hinaus wirkte. Mit der steigenden Erwerbstätigkeit von Männern und zunehmend auch von Frauen verringerte sich die Abhängigkeit von der Elterngeneration, und der Freiraum für eigene Entscheidungen vergrößerte sich.

Ritualisierte Formen des Kennenlernens

Soziologische Studien zeigen aber, dass Einkommen, Status und Kriterien wie Bildung auch heute maßgebliche Faktoren bei der Partnerwahl darstellen. Feste, Tanz und Hochzeiten oder Besuche bei Verwandten boten Gelegenheiten des Kennenlernens, aber auch Treffpunkte wie die Spinnstuben. Näheres in Kontakt Treten erfolgte in ritualisierten Formen. Dazu zählten das "Fensterln" oder "Gasslgehen", aber auch die Praxis der Geschenke. Gab die Frau das von einem Verehrer angenommene Präsent beispielsweise nicht innerhalb einer bestimmten Frist zurück, galt dies als Zeichen ihrer Einwilligung in diese Verbindung. Das Spektrum der Eheanbahnung ist demnach breit und schloss erzwungene Eheschließungen mit ein: wenn massive Interessen der Familie dahinter standen oder die Frau schwanger war. Zugleich gab es auch staatliche Heiratsbeschränkungen und kirchliche Heiratsverbote.

Das rechtliche Instrumentarium für die ökonomisch definierten Heiratsbeschränkungen lieferte in Österreich der 1820 eingeführte "politische Ehekonsens". Dieser knüpfte an frühere Regelungen an, die für das 18. Jahrhundert ein Vermögen von mindestens 200 Gulden vorschrieben.

Die verbotene Hochzeit

Im 19. Jahrhundert waren die Gemeinden in dieser Sache zuständig. Sie konnten Paaren, die weder Grund noch ein Haus besaßen und über kein regelmäßiges Einkommen verfügten, die erforderliche Heiratserlaubnis verweigern. In der oft aussichtslosen Situation fälschten Paare den Nachweis über einen Grundstückskauf oder heirateten unerlaubterweise fern ihrer Pfarre. Berühmte Destination dieser Art von "Heiratstourismus" war Rom. Als Reaktion darauf versuchten Tiroler Behörden immer wieder, die Wege nach Rom abzuriegeln.

Kirchliche Eheverbote bezogen sich vor allem auf die näheren Verwandten und Verschwägerten, und zwar bis zum vierten Grad, sowie auf Heiratsvorhaben von Angehörigen verschiedener Konfessionen. In solchen Fällen bestand die Möglichkeit, um die Aufhebung des Ehehindernisses mittels Dispens anzusuchen. Die Ehre von Frauen galt durch eine Heirat oder den Eintritt ins Kloster am besten geschützt. Doch auch von Männern wurde die Ehe erwartet. So war es im österreichischen und süddeutschen Raum fast unerlässlich, dass ein angehender Handwerksmeister eine Heirat in Aussicht hatte. Städtische Statuten forderten von neu aufgenommenen Bürgern oft, dass sich diese innerhalb eines Jahres verehelichten - sonst riskierten sie, das Bürgerrecht wieder zu verlieren. Die Ehe war in den vergangenen Jahrhunderten demnach nicht nur in familiale Gefüge eingebunden, sondern auch in den sozialen Raum der Nachbarschaft, des Dorfes oder Stadtteils. Ungleiche Verbindungen, wenn ein alter Mann ein junges Mädchen heiratete oder eine deutlich ältere Frau einen Jüngling, eine Partnerwahl die Standes- oder Dorfgrenzen überschritt, kommentierte die männliche Jugend dies mit lärmender "Katzenmusik".

Als langfristig wirksam erwiesen sich die Reglungen zur Gültigkeit einer Heirat im Gefolge der Reformation und des Konzils von Trient (1545-1563). Bis dahin war nach kanonischem Recht allein die beiderseitige Einwilligung des Brautpaares in die Ehe ausschlaggebend gewesen. Diese konnte auch in der Gartenlaube ausgesprochen werden, es bedurfte keiner Zeugen. Eine Heirat hatte den Charakter eines längeren Prozesses, der mit dem Einzug der Frau im Haus des Mannes seinen Abschluss fand. Als äußeres Zeichen ihres veränderten Standes trugen Frauen mancherorts eine Haube. Ab da war dann die Präsenz eines Priesters notwendig, und der Trauungsakt musste öffentlich erfolgen. Ziel dessen war es, heimliche, den Interessen der Familien zuwider laufende Eheschließungen zu verhindern.

Moralisierung und Bestrafung

Im Anschluss setzte sich eine Moralisierungsmaschinerie in Gang. Die Ehe sollte als der einzig legitime Ort für Sexualität und Zeugung von Nachkommen durchgesetzt werden. Nicht-eheliche Beziehungen wurden kriminalisiert und bis ins 18. Jahrhundert hinein verfolgt. Die Gerichte bestraften dabei nicht nur Frauen, wenn sie unverheiratet schwanger waren, sondern auch Männer.

Bei Frauen kamen tendenziell Strafen zur Anwendung, die die "Schande" öffentlich ausstellten: wenn sie etwa am Sonntag vor dem Hochamt mit einer brennenden Kerze, die die reinigende Wirkung des Feuers symbolisierte, vor der Kirchentüre stehen mussten. Männer erhielten Kerker- oder Geldstrafen. Vor Gericht zitiert wurden wegen "alzufrühen zusammenschlüpfens und ärgernißes" aber auch Ehepaare, wenn sich herausstellte, dass die Braut bei der Hochzeit bereits schwanger gewesen war.

Der historisch höchste Anteil Verheirateter war in den 1950er- und 1960er-Jahren zu verzeichnen. Trotz steigender Scheidungszahlen und alternativer Partnerschaftsmodelle hat die Ehe als Institution ihre Bedeutung nicht verloren. Im Gegenteil: Heiraten ist wieder angesagt. Ein Erklärungsansatz für diesen Trend sieht in der Ehe eine Allianz gegen die Unwägbarkeiten einer unsicheren Welt. Doch könnte es sich dabei auch um eine Abgrenzung gegenüber der Elterngeneration handeln.

Die Autorin ist Gastprofessorin am Institut für Geschichte der Universität Wien mit dem Schwerpunkt Genderhistory

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