Der große Hunger nach sozialen Beziehungen

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"Homo-Ehe" - ja oder nein? Wer die rechtliche Absicherung von Beziehungen nur unter diesem Titel diskutiert, geht an einem Kernproblem unserer Gesellschaft vorbei: Die Suche nach neuen Wegen zur Stützung und Förderung von Solidarität in menschlichen Gemeinschaften.

Zwölf Jahre ist es her, dass im Blitzlichtgewitter der Medien im Kopenhagener Rathaus zwei Männer einander das Ja-Wort gaben. Es war die erste "Homo-Ehe" in Europa. Inzwischen ist eine Menge Zeit verstrichen, und in vielen EU-Ländern wurden rechtliche Vorkehrungen für homosexuelle Partnerschaften getroffen. Deutschland hat ebenfalls nach Jahren der Verfolgung und Kriminalisierung seinen Frieden mit den Lesben und Schwulen geschlossen (siehe Nr. 32, S. 2). Seit 1. August freuen sich gleichgeschlechtliche Paare über einen gesetzlich normierten Status mit Sicherheiten, Rechten und Pflichten - ähnlich wie heterosexuelle Eheleute. Damit wurde endgültig Schluss gemacht mit der Vorstellung, Homosexuelle seien kranke Menschen oder könnten geächtet und in ein Schmuddeleck gestellt werden.

Deutschland soll Vorbild sein für Österreich, fordern rote und grüne Spitzenfunktionäre.

Die ÖVP ist gespalten. "Da bin ich fundamental dagegen!" polterte beispielsweise Justizsprecherin Maria Fekter. Ihr Parteifreund aus der Steiermark, Landesrat Gerhard Hirschmann, sieht das ganz anders: "Selbstverständlich" komme die Homo-Ehe auch bei uns. "Wie das Amen im Gebet" ("Stark.Schwarz.Schwul"). Wesentlich differenzierter äußerte sich die steirische Landeshauptfrau Waltraud Klasnic. Sie lehnt zwar eine Ehe für Homosexuelle ab, tritt aber für mehr rechtliche Absicherungen der Paare gleichen Geschlechts ein. Wenn zum Beispiel zwei Menschen in einer gemeinsamen Wohnung leben und einer von ihnen stirbt, sollte der andere die Möglichekit haben, weiter dort zu wohnen. Der Regierungspartner FPÖ hüllt sich in Schweigen.

Sicherlich lässt sich die Entwicklung nicht mehr zurückkurbeln. Aber so einfach wie die meisten Wortmeldungen zeigen, kann man sich die Diskussison zu diesem Thema nicht machen:

Verzerrt & verkürzt

Natürlich sind die Auftritte engagierter Lesben- und Schwulenaktivisten irritierend und schrill. Sie wollen Toleranz und die Erfüllung ihrer Forderungen mit der Brechstange erzwingen. Das überfordert derzeit viele Menschen, die außerdem noch in einem Klima aufgewachsen sind, wo Homosexualität als etwas Degoutantes und Verwerfliches galt. Aber ist es nicht immer so, dass nur laute Posaunentöne oder Missklänge ein Land aus seinem Schlaf herausholen können? Schließlich mussten auch erst wilde Emanzen auftreten, damit die Gesellschaft merkte, wie sehr es an der Chancengleichheit von Frauen mangelte ...

Auch jetzt wurden wir auf ein Problem gestoßen. Ein Problem, das aber völlig verkürzt und verzerrt wird, wenn es weiterhin nur unter dem Titel "Homo-Ehe! Ja oder Nein?" läuft. Es geht um eine weitaus tiefer sitzende Frage, nämlich die, was der rapiden Ausdünnung der Solidarität und des Zusammenhaltes in unserer Gesellschaft entgegengesetzt werden kann. Vieles spricht dafür, nach neuen Wegen zur Stabilisierung von Gemeinschaften zu suchen, nach einer anderen gesellschaftlichen Förderung und Stützung von zwischenmenschlichen Beziehungen. Derzeit sieht es so aus, als ob es entweder nur die "klassische Ehe" gäbe - oder gar nichts.

Die Politik täte gut daran, sich zu überlegen, was sie tun kann, um Bindungen, gegenseitige Unterstützung und Solidaritäten wieder neu zu stärken. Ehen sind nicht mehr automatisch auf Dauer angelegt, wie die steigenden Scheidungsziffern zeigen. Auch die gesamte Wirtschafts-, Berufs- und Werbewelt drängt in Richtung Flexibilität, Beliebigkeit und Patchwork-Dasein. Der gesamte Lebenslauf ist unsicherer geworden, die Zukunft undurchschaubarer denn je. Die "Ordnung" und Sicherheit des Berufs- und Arbeitslebens (Ausbildung, Arbeit, sichere Pension) löst sich auf. Im Alltag erweisen sich die Lebensbedingungen nicht mehr so vertraut und abgesichert wie noch vor einigen Jahren. Die meisten Menschen, denen wir heute begegnen, sind irgendwie "Fremde" für uns. Das soziale Verhalten der Mitmenschen abzuschätzen oder sich darauf einzustellen, ist aufreibender geworden. Viele haben das Gefühl, Vertrautheit und Vertrautes gibt es ohnehin nur mehr in der Familie - trotz allen Scheiterns und aller Schwierigkeiten - oder im Freundeskreis.

Die meisten Menschen haben wieder große Sehnsucht nach einem sicheren Halt im Leben. Sie suchen nach Verlässlichkeit, Stütze und Sicherheit, nach wechselseitiger Zuwendung und Zuneigung. Der Wunsch ist stark, etwas "Unbedingtes" zu haben in einer Welt voller Ungewissheiten und Fragwürdigkeiten. Es gibt einen regelrechten "Hunger nach sozialen Beziehungen" stellte dazu der deutsche Soziologe Ulrich Beck fest. Die Homosexuellen könnten jetzt mit ihrem Verlangen den Anstoß zum Nachdenken geben, vielleicht sogar zum "Erfinden" neuer Institutionen. Aber - und das ist der entscheidende Punkt - es geht dabei bei weitem nicht nur um sie!

Vorbild Frankreich

In Frankreich ist man offensichtlich schon weiter. Dort gibt es seit geraumer Zeit den "bürgerlichen Solidaritätspakt", den zwar Homosexuelle, aber auch andere Menschen eingehen können. Er richtet sich an alle, die ohne Trauschein zusammen leben, füreinander da sein und einstehen wollen. Der Pakt gilt für Verwandte, Geschwister, für Freundespaare welcher Art auch immer. Die Regelung bietet die Chance der Stabilisierung und Privilegierung, wenn auch nicht im gleichen Ausmaß wie für die herkömmliche Ehe und Familie. Konservative und kirchliche Gruppen sind dagegen massiv Sturm gelaufen. Sie orientierten sich offensichtlich nur an den traditionellen Denkschemata, ohne mitzubedenken, welche Tiefendimension das Thema eigentlich hat:

Gesellschaften bestanden nie aus isolierten Individuen, deren Miteinander "hoheitlich" von "oben" diktiert wurde. Es gab immer ein Mit- und Nebeneinander von verschiedenen Gemeinschaften. Das bildete sozialen Kitt und machte das Zusammenleben erträglicher. Nicht immer menschlich, wenn man an den starken sozialen Druck in solchen Gemeinschaften denkt.

Früher gab es "natürliche", kompakte Solidaritätsstrukturen: Großfamilien, Stämme, Abstammungsgemeinschaften ... Aber schon in der alten Hochkultur kamen andere, nicht mehr nur blutsbedingte Solidaritätsformen auf: Für die alten Griechen beispielsweise war die frei gewählte Freundschaftsbeziehung die im Vergleich zur Familie höhere Form. Es gab auch Lebensführungspartnerschaften zwischen Meistern und Jüngern in Philosophen- und Künstlerschulen. Im christlichen Bereich war die Gemeinschaft von Jesus und seinen Jüngern das große Vorbild.

Auch die Kirche kannte solidaritätsbestimmte Lebensgemeinschaften wie Orden oder Kongregationen. In der Regel entweder für Männer oder für Frauen. Der Blick in die Geschichte zeigt auch berufsbezogene Solidargemeinschaften wie die Zünfte und Gilden, die in der christlichen Kultur auch eine religiöse Dimension hatten ("Bruderschaften"). Noch im 19. Jahrhundert sahen sich politische Gesinnungsgemeinschaften wie die Arbeiterbewegung "in Brüderlichkeit" verbunden. Als Solidargenossenschaft verfochten sie gemeinsam nicht nur materielle Interessen, sondern bildeten in diesem Miteinander auch eine Gemeinschaft. Und heute? Nur noch im familiären Verband scheint es diese Solidarität im ursprünglichen Sinn noch zu geben. Parteien, Gewerkschaften, Institutionen - sie haben sich längst zu Service-Agenturen gewandelt, von der früheren Gesinnung ist kaum mehr etwas zu merken.

All jene, die heute noch Unterstützung, gegenseitige Hilfe und Zuneigung (in und außerhalb der Familie) finden, sind glücklich zu preisen. Aber längst nicht alle haben diese Chance. Die Zahl der Singles, der Alleingebliebenen (keineswegs nur ältere Witwen, sondern auch Alleinerzieherinnen etc.) nimmt zu, damit verbunden das Gefühl der Vereinsamung und Verlassenheit. Muss das so weitergehen? Sollte die Gesellschaft nicht Vorkehrungen treffen, um der Austrocknung der genuinen Solidarität entgegenzuwirken?

Gerade im christlichen Abendland war die auf dem Ehebund beruhende Familie nie die einzige Form. Man braucht nur an die "Ordensfamilie" (mit dem gewählten "Vater Abt") zu denken. Warum sollen nicht auch heute wieder Menschen - auch jene, die außerhalb der Kirche stehen - in Zukunft die Chance haben, Solidargemeinschaften zu bilden, die von der Gesellschaft und vom Staat geschützt und gestützt werden?

Erste Schritte

Österreich hat einen kleinen, zögerlichen Schritt gesetzt. Immerhin wird demnächst die alte Bestimmung im Wohnungseigentumsgesetz beseitigt, wonach nur Ehepartner als gemeinsame Besitzer einer Wohnung ins Grundbuch eingetragen werden dürfen. Der neue Entwurf sieht auch ein "gemeinsames Wohnungseigentum" von anderen Partnern vor. Damit können nicht nur Lebensgefährten, sondern auch Geschwister oder Homosexuelle gemeinsam eine Wohnung kaufen. Dabei will man es allerdings auch schon bewenden lassen. Weitere Schritte sind - wie Justizminister Böhmdorfer sagte - derzeit nicht geplant.

Denkt man den Gedanken einer weiter gehenden Sützung und Förderung von Solidarbeziehungen dennoch zu Ende, bietet sich zweierlei an:

1. Die Entkoppelung von der bloßen Zweierbeziehung und

2. die Entkoppelung von der Fixierung auf Sexualität.

Man müsste zum einen überlegen, ob solche Gemeinschaften nur in Gestalt von Paarbeziehungen ermöglicht werden oder darüber hinausgehen sollen.

Natürlich ist die Bindungsintensität von Zweierbeziehungen besonders groß. Aber wenn nur solche ins Auge gefasst werden, ist von vornherein nur die Alternative von "hetero-" und "homosexueller" Zweisamkeit vorausgesetzt. Und sicherlich ist Sexualität eine gewaltige Lebensmacht. Aber ist das ein zureichender Grund dafür, sich dauerhafte Gemeinschaften, die einander stützen und fördern wollen, überhaupt nur mehr als sexuell fundiert und getragen vorzustellen? Gerade die christliche Kultur hat das nicht getan! Wenn jedoch neue rechtliche Vorkehrungen für Solidaritätsbeziehungen auch bei uns nur unter dem Titel "Homo-Ehe" diskutiert werden, dann wird die Frage von vornherein "sexualisiert". Was natürlich nahe liegt, wenn hauptsächlich schwule und lesbische Aktionisten das Thema auf die Tagesordnung bringen. Sie verwenden naturgemäß die Diskussion hauptsächlich als Mittel zum Kampf gegen die Diskriminierung ihrer "sexuellen Orientierung". Sich diese Optik aufdrängen zu lassen, wäre kurzsichtig und verhindert jedes neue Durchdenken gesellschaftlicher Entwicklungen.

Es wäre ein großer Schritt in die Zukunft getan, wenn wir uns einmal von zwei eingeübten Vorstellung lösen könnten: dass Verhältnisse von Männern und Frauen immer sexuell sein müssen, und dass neue Solidarbeziehungen keiner gesellschaftlich-rechtlichen Stützung bedürfen.

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