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So viele Köpfe, so viele Meinungen

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Sehr geteilt sind die Ansichten darüber, ab welchem Alter he-tero- beziehungsweise homosexuelle Kontakte zwischen Erwachsenen und Jugendlichen straffrei sein sollten.

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Sehr geteilt sind die Ansichten darüber, ab welchem Alter he-tero- beziehungsweise homosexuelle Kontakte zwischen Erwachsenen und Jugendlichen straffrei sein sollten.

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Die Diskussion um eine Streichung oder umfassende Änderung der Strafrechtsparagraphen 209, 220 und 221 wird in der Öffentlichkeit mit großer Heftigkeit geführt. Sozialdemokraten, Liberale und Grüne drängen auf eine Reform, die ÖVP hat keine Eile und neigt nicht zu weitreichenden Änderungen, die Freiheitlichen sehen das Thema als Gewissensfrage für den einzelnen Abgeordneten, nicht als Anlaß für die Festlegung einer strikten Parteilinie an.

Die FURCHE erbat kurze Statements zu folgenden vier Fragen:

1. Soll es überhaupt ein Schutzalter geben?

2. Soll das Schutzalter für alle gleich oder - differenziert nach Mädchen und Buben, hetero- und homosexuellen Beziehungen sein?

3. Wie hoch soll das Schutzalter in allen möglichen Fällen sein?

4. Wann sollte diese Frage spätestens gesetzlich neu geregelt sein?

Hier die eingetroffenen Antworten (eingeladen waren auch Vertreter von SPÖundFPÖ).

Reifeprozeß ist unterschiedlich

VON ANDREAS KHOL

Frage 1: Ob es überhaupt ein Schutzalter geben soll, kann doch angesichts von sexuellem Kindesmißbrauch und den Turbulenzen der Pubertät überhaupt keine Frage sein - wie hoch das Schutzalter sein soll, das ist die Frage! Derzeit liegt es bei 14 Jahren für heterosexuelle Beziehungen - eine Diskussion, ob man dieses Alter nicht hin-aufsetzen soll, wenn es um Kontakte mit wesentlich Älteren (nicht unter Gleichaltrigen) geht, ist überall im Gange. Natürlich braucht der junge Mensch Schutz seiner Persönlichkeitssphäre, er muß sich selbst entwickeln und entscheiden können, mit allen Irrungen und Schwierigkeiten.

Frage 2: Das derzeitige Strafrecht differenziert doppelt: es bewertet homosexuelle Kontakte bei jungen Männern anders als bei jungen Frauen. Dabei ist unbestritten, daß es einen unterschiedlich schnellen Reifeprozeß bei Männern und Frauen gibt - ob vier Jahre Unterschied gerechtfertigt sind, ist sehr umstritten! Man geht von zwei bis drei Jahren Unterschied aus.

Ich halte die unterschiedliche Behandlung für sachangemessen. Die Diskussion, ob dies nicht — wie von manchen Psychologen, Psychotherapeuten, Richtern und Rechtsanwälten gefordert - ein Hinaufsetzen des Schutzalters bei jungen Frauen auf 15 oder 16 Jahre (sowohl für hetero-als auch homosexuelle Kontakte mit Älteren, nicht mit der gleichen Altersgruppe) verlangt, ist voll im Gange. Wir in der ÖVP haben uns darüber noch keine abschließende Meinung gebildet - der Meinungsbildungsprozeß ist noch im Laufen.

Frage 3: So wie es derzeit in Österreich geregelt ist - es sei denn, die Diskussion bringt, was junge Frauen betrifft, noch ein anderes Ergebnis.

Frage 4: Ich gehe davon aus, daß National- und Bundesrat über die Frage noch vor Ende November 1996, aber nicht davor, abgestimmt haben werden. Die Diskussion wird aber sicher weitergehen.

Der Autor ist

Obmann des Parlamentsklubs der UFP und Universitätsprofessor.

Schutz? Alter?

VON IRENE DYK

Es gibt (sicher nicht gerade viele) reife und stabile 14-Jährige und unreife und instabile 25-Jährige. Manche Menschen lernen ihren Lebenspartner mit 13 kennen und lieben und genießen mit ihm die Pension, viele Ehen, im „Normalalter” geschlossen, scheitern. Sowohl männliche wie weibliche homosexuelle Beziehungen „funktionieren” oft lebenslang, ebenso wie Paare mit großem Altersabstand nicht selten jedes Vorurteil widerlegen. Oder auch nicht.

Schutzalter also: Wer schützt da wen wovor? Welches Geschlecht ist ab welchem Alter und in welcher Konstellation schützenswert(er)?

Welche Rolle spielt in allen Varianten von Sexualität Verführung - ist sie prägend oder kommt es nur zur früheren Entdeckung von Neigungen? Und ist das nachteilig? Bei so vielen offenen Fragen ist eine (noch dazu ungleiche) Reglementierung schwer argumentierbar. Auch das Alter 14 für alle ist nicht fraglos zu akzeptieren, aber wenigstens ein Schritt in Richtung gleiches Recht.

Nachsatz: Theoretisch kann nach geltender Rechtslage der Vater, der seine 13jährige Tochter „benützt”, billiger davonkommen als ein 20jähriger, der mit seinem 17jähri-gen Freund schläft...

Die Autorin ist

ÖVP-Landtagsabgeordnete und Universitätsprofessorin in Linz.

Für alle gleich

VON CHRISTIAN BRÜNNER

Sexualität ist etwas Wesentliches. Auch mit ihr kann ich mein Menschsein zum Ausdruck bringen und etwas von meiner Vollendung erahnen. Sexualität begleitet den Menschen sein Leben lang. Daraus folgt, daß in keinem Lebensabschnitt Sexualität tabuisiert oder diskreditiert werden darf.

Die Achtung vor der Integrität der Person gebietet es, daß einem Menschen Sexualität nicht aufgezwungen werden darf, ferner, daß der Mangel an Fähigkeit zu autonomer Entscheidung und Selbstbestimmung nicht ausgenützt werden darf. Daraus folgt, daß es ein Schutzalter geben muß, damit nicht Erwachsene Kinder und Jugendliche mißbrauchen. Das Schutzalter soll für alle gleich sein. Ich lehne Differenzierungen zwischen Mädchen und Buben sowie zwischen heterosexuellen und homosexuellen Beziehungen ab. Um zu verhindern, daß Erwachsene manchen Vorsprung, den sie gegenüber jungen Menschen haben, ausnützen, bin ich dafür, Bestimmungen zu diskutieren, die vor sexuellen Kontakten zwischen Menschen, die älter sind als zum Beispiel 35 Jahre, und jungen Men-sehen zwischen 14 und 16 oder zwischen 14 und 18 Jahren schützen.

Die Frage des Schutzalters sollte möglichst schnell neu geregelt werden, weil ich die bestehende Diskriminierung homosexueller Beziehungen zwischen Männern (Paragraph 209 StGB) ablehne.

Der Autor ist

Abgeordneter des Liberalen Forums in der Steiermark und Universitätsprofessor in Graz.

Nichts überstürzen

VON FRIEDER HERRMANN

Für den Katholischen Familien-verband Österreichs steht das Wohl des Jugendlichen im Mittelpunkt. In der Pubertät, zwischen 13 und 19 Jahren, orientieren sich Jugendliche meist an Idolen. In dieser Phase besteht daher die größte Gefahr, daß junge Menschen Opfer von Erwachsenen, die rein sexuelle Absichten haben, werden. Denn vielfach können sich Jugendliche gegenüber Erwachsenen nicht behaupten, wie namhafte Psychologen bestätigen.

Jugendliche gehen oft eine Beziehung mit idealisierten Vorstellungen ein, Erwachsene haben da andere Intentionen. Daher müssen Mädchen und Burschen gerade in diesem Alter vom Gesetz besonders geschützt yverden.Psychologen sind sich zwar weitgehend einig, daß Mädchen um zwei Jahre früher „erwachsen” sind als Burschen.

Die Differenzierung beim Schutzalter - Mädchen 14 Jahre und Burschen 18 Jahre - erscheint uns aber zu groß. Dem KFÖ ist es jedoch wichtiger, daß die Angelegenheit sorgfältig geprüft wird, als daß unter dem politischen Druck von Gruppen, die aus ganz spezifischen Gründen Forderungen erheben, eine überstürzte Entscheidung getroffen wird.

Der Autor ist

Präsident des Katholischen Familienverbandes Österreichs (KFÖ)

Europareife zeigen

VON ULRIKE LUNACEK rstens:Der Begriff „Schutzalter” ist irreführend. Er kommt lim Strafgesetzbuch nicht vor. Zum Schutz von Jugendlichen beiderlei Geschlechts vor Gewalt oder Ausnützung eines Autoritätsverhältnisses gibt es andere Paragraphen. Paragraph 209 StGB stellt freiwillige Beziehungen unter Strafe. Angemessener wäre es, von „Altersgrenze” zu sprechen.

2. Die Altersgrenze sollte für Buben wie Mädchen, für hetero- wie für homosexuelle Beziehungen einheitlich sein. Eine differenzierte Regelung widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz sowie den in den meisten EU-Staaten üblichen Regelungen. Das

Europaparlament hat 1994 in einer Entschließung alle Mitgliedsstaaten aufgefordert, einheitliche Altersgrenzen für hetero- wie homosexuelle Beziehungen einzuführen. Österreich sollte in diesem Zusammenhang Europareife zeigen.

3. Die Altersgrenze sollte 14 Jahre für alle betragen.

4. Am besten sofort mit der ersatzlosen Streichung aller drei diskriminierenden Paragraphen 209, 220 und 221 StGB. Entsprechende Anträge haben die Grünen schon mehrmals im Nationalrat eingebracht.

Die Autorin ist

Bundesgeschäftsführerin der Grünen

Das neue Paradigma: Freiheit versus Leben

VON REINHOLD KNOLL

Wie Sie am Problem leicht feststellen können, zeigt dieses ein gesellschaftspolitisches Paradigma und modernes Dilemma: Dem Selbstverständnis von Freiheit steht das Prinzip vom Leben antagonistisch entgegen. Da der politische Freiheitsbegriff zu Individualismen aller Art erodierte, die daraus ihre Legitimation beziehen, haben wir schon längst jene Freiheit in Anspruch genommen, die die Normen der Sozialität des Menschen nicht mehr traditionell interpretieren will: Von der Abtreibung bis zur __ __ Euthanasie, von

- dem individuell offensichtlich benötigten Mißbrauch des Nächsten bis zur Schwächung jedes Schutzes von Leben - Fall Oli-via oder Vorent-Bluttransfusion eines Sekte et cetera -mehr „biopolitihaltung der Kindes aus einer kennen wir nur sehe” Positionen, die die Eigentlich keit des Menschen definieren.

Nun sind im Gegensatzpaar Freiheit - Leben Mutationen eingetreten, die es in dialektische Beziehungen setzen. Einer überzogenen Naturontologie stehen die Emanzipationen von der Gesellschaftsonto-logie entgegen.

In der Bemessung einer Freiheit, die sich mehr über „körperliche” als politische Ansprüche begreift - bis zur nunmehr als Normalität geltenden Aberration - wird das Lebensprinzip verneint. Aufgrund des Strafausmaßes für den Linzer Arzt, der eine lebensnotwendige Transfusion nicht durchführte, ist das fceben eines Kindes etwa 200.000 Schilling „wert”. Daher setzt sich das Prinzip des Lebens in einem wortwörtlich zu nehmenden Naturrecht extrem zur Wehr und sucht seinerseits diese mutierten Freiheitskataloge zu zerstören.

Im Menschen treten beide Kategorien ähnlich gleichzeitig auf, wie dies Freud für Libido und Todestrieb angab. Somit ist das bisherige Paradigma bürgerlicher Gesellschaft, Eigentum/Kapital versus Arbeit, von jenem über Freiheit versus Leben abgelöst worden.

Der Gesetzgeber wird sich gemäß des kulturellen Selbstverständnisses für das allgemein anerkannte Paar Freiheit und Lustgewinn entscheiden und gegen ein die Freiheit des Individuums einschränkendes Leben und gegen eine „innerweltliche Askese”, die einmal Max Weber von der modernen Gesellschaft gefordert hatte.

So entnehmen Sie meiner Antwort generell die Beobachtung, daß wir das „soziale Handeln” immer eindeutiger den negativ bestimmten Normen aus dem Strafrecht biopolitisch zuordnen und aus den positiven Satzungen der Menschenrechte jene Absurditätsminimierung entnehmen, die sich lieber dem buchstäblich Stärkeren in einer „Beziehung” beugt, sodaß zur Erleichterung gesellschaftlicher Verantwortung Jugendliche umgehend in den Genuß der Zubilligung immer früher eintretender Geschlechtsreife gelangen, ihnen aber gleichzeitig die politische Beife im Wahlrecht oder die rechtliche Gleichheit der Geschlechter nicht zugebilligt wird.

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