Tägliche Verletzung der Menschenrechte?

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Warum?" lautete die Gegenfrage von ÖVP-Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat auf die furche-Anfrage nach ihrer Position in der Diskussion um die Streichung des Paragrafen 209. Antworten darauf, warum die Generalsekretärin öffentlich Stellung beziehen könnte, gäbe es genug. Gerade die ÖVP, die bisher das Homosexuellen-Schutzalter immer verteidigt hat, lässt nun immer öfter durch recht unterschiedliche Aussagen aufhorchen.

Doch nicht nur die Generalsekretärin, auch ihre Parteikollegen: Klubobmann Andreas Khol, Justizsprecherin Maria Fekter, ja sogar der steirische Landesrat Gerhard Hirschmann - der sich zuletzt ziemlich weit vorgewagt und für die Streichung des Paragrafen votiert hat - geben sich derzeit wortkarg. Im Ton freundlicher, in der Sache aber detto: der Wiener ÖVP-Obmann Bernhard Görg, der mit seiner Aussage, der Schutz-Paragraf 209 sei "in dieser Form nicht aufrecht zu halten", in der Stadt-ÖVP nicht nur auf Zustimmung gestoßen ist. Görg reklamiert aber im Telefonat mit der furche für sich, dass er sich schon vor zwei Jahren in dieser Sache engagierte, sich damals jedoch noch mehr als heute kalte Schultern geholt hat. Alle Genannten verweisen auf Arbeitskreise, die sich der Sache angenommen haben. Deren Ergebnissen will niemand vorgreifen. Auch nicht FPÖ-Klubobmann Peter Wes-tenthaler, dieser kurz und bündig gegenüber der furche: "Derzeit kein Kommentar, wird im Moment in der Fraktion besprochen."

Bleibt die Frage, was die Arbeitsgruppen und Fraktionen an neuen Erkenntnissen zu Tage liefern? Denn das Thema Paragraf 209 wurde ja schon ausführlich im Arbeitskreis Sexualstrafrecht des Justizministeriums in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre diskutiert. Die damals vorgeschlagene Lösungsmöglichkeit hat ein gleiches Schutzalter für Mädchen und Burschen von 14 Jahren mit einem erweiterten strafrechtlichen Schutz bis zu 16 Jahren - etwa gegen die Ausnützung von Zwangslagen - vorgesehen. Ein Kompromiss, der heute von SPÖ, Grünen und Homo-sexuellen-Vertretern aber abgelehnt wird. Alles andere als die ersatzlose Streichung des 209er wäre "ein Ablenkungsmanöver von täglich fortgesetzter, staatlicher Menschenrechtsverletzung", meinte etwa Grün-Jus-tizsprecherin Terezija Stoisits.

In dem vom Justizminister eingesetzten Arbeitskreis, der von 1996 bis 1998 den Reformbedarf für das gesamte Gebiet Sexualstrafrecht diskutierte, war man bereits davon ausgegangen, dass der Paragraf 209 nicht unverändert aufrecht erhalten bleiben könne. Schließlich wurde diese Bestimmung im Jahr 1971 (bei Abschaffung der generellen Strafbarkeit der Homosexualität) eingeführt, als noch viele Experten von der "Prägungstheorie" ausgingen. Von dieser Theorie, dass die sexuelle Orientierung auch nach der Pubertät noch beeinflusst werden kann, ist die Fachwelt mittlerweile völlig abgegangen.

Eine andere immer wieder vorgebrachte Frage rund um strafrechtliche Altersgrenzen ist die des Altersunterschiedes. Da weitgehender Konsens darüber besteht, dass Sexualkontakte unter annähernd gleich alten Jugendlichen nicht pönalisiert werden sollen, wurde zum Beispiel 1998 bei der Verschärfung der Bestimmungen des Kindesmissbrauchs eine Alters-Toleranzklausel eingeführt.

Andererseits wird in der Debatte aber immer wieder der Schutz Jugendlicher vor "Lustgreisen" - auch wenn der Tatbestand der "Ausnützung eines Autoritätsverhältnisses" oder einer Vergewaltigung nicht erfüllt ist - verlangt. Hier könnte der erweiterte Schutz bei Ausnutzung von Zwangslagen oder eingeschränkter sexueller Selbstbestimmung Abhilfe schaffen. Die Frage, ob der Homosexuellen-Paragraf 209 Strafgesetzbuch fällt, wird sich jedenfalls in diesem Herbst entscheiden. Bedauernswert wäre es aber, wenn wieder der Verfassungsgerichtshof die Politik unter Zugzwang setzen muss, diese selbst nicht fähig ist, ein den gesellschaftlichen Veränderungen gerecht werdendes Gesetz - das heutigen Menschenrechtsstandards entspricht - zu formulieren.

Als einer der wenigen Bremser in der ÖVP, der eine Streichung des 209er noch wirksam verhindert, gilt Bundeskanzler Wolfgang Schüssel. Und auch wenn große Teile seiner Partei ihm in dieser Frage die Gefolgschaft verweigern, der Zustimmung eines Großteils der Bevölkerung kann er sich noch sicher sein. Laut einer Umfrage des Instituts Fessel-GfK (Anfang August) lehnen 53 Prozent der Befragten eine Gesetzesänderung ab.

W. Machreich

Befragt wurde eine repräsentativ ausgewählte Stichprobe innerhalb der Gruppe der Internet-Benützer,

die bereits mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung ausmachen. Obwohl diese Gruppe traditionell eher

aus jüngeren und besser gebildeten Menschen besteht, zeigen sie sich gegenüber einer möglichen

Liberalisierung reserviert.

Im Detail lehnen die Männer (57 Prozent gegen eine Änderung, 27 Prozent dafür) eine Neufassung der Schutzgrenzen weitaus deutlicher ab als die Frauen (47 Prozent dagegen, 35 dafür). Weniger überraschend ist die Altersverteilung: In der Gruppe ab 40 Jahren wird eine Lockerung der bestehenden Grenzen strikt abgelehnt, Jüngere könnten sich dies eher vorstellen. In der Altersgruppe 20 bis 29 Jahre gibt es sogar eine leichte Ja-Mehrheit: 42 Prozent sind für die Lockerung, 39 Prozent dagegen.

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