Sabine Matejka  - © Foto: APA/Robert Jaeger

Sabine Matejka: "Bedenklich, wie schnell das geht"

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Richterpräsidentin Sabine Matejka über die Pläne zur "Sicherungshaft", warum höhere Strafdrohungen niemanden von einer Tat abhalten und man Türen nur einen Spalt weit öffnen sollte.

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Richterpräsidentin Sabine Matejka über die Pläne zur "Sicherungshaft", warum höhere Strafdrohungen niemanden von einer Tat abhalten und man Türen nur einen Spalt weit öffnen sollte.

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Sabine Matejka warnt vor Tempoerhöhung bei Verfassungsänderungen: Warum keine Grundlagen für Eingriffe in persönliche Freiheit geschaffen werden sollten, warum man sich nicht auf Schranken der EMRK verlassen sollte und warum sie Diskussionen über eine nationale Grundrechtecharta für "unerfreulich" hält.

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DIE FURCHE: Frau Matejka, in Österreich wird über eine Sicherungshaft diskutiert. Sie haben davor gewarnt. Welche Gefahren sehen Sie?
Sabine Matejka: Für eine Sicherungshaft wäre in Österreich eine Verfassungsänderung nötig. Konkret im Verfassungsgesetz über die persönliche Freiheit. Nachdem noch kein konkreter Entwurf vorliegt, gibt es nicht nur von uns als Richtervereinigung, sondern auch von Verfassungsjuristen Bedenken: Nimmt man eine zu großzügige Änderung der Verfassung vor, erreicht man möglicherweise nicht nur das angepeilte Ziel, gefährliche Asylwerber in Haft nehmen zu können. Sondern schafft allenfalls auch eine Grundlage für künftige Eingriffe in die persönliche Freiheit per einfachem Gesetz. Der Verfassungsrechtsexperte Bernd-Christian Funk hat sinngemäß gesagt: Wenn man die Tür aufmacht, soll man sie nur einen kleinen Spalt aufmachen.

DIE FURCHE: Es könnte etwa eine Grundlage geschaffen werden, die Sicherungshaft für Asylwerber später auf andere Personengruppen auszuweiten. Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) erlaubt eine Sicherungshaft allerdings ausdrücklich nur für Asylwerber. Würde der Verfassungsgerichtshof ein etwaiges Gesetz zur Ausweitung also nicht sofort wieder kassieren?
Matejka: Natürlich gibt es die Schranken, die die EMRK setzt. Das hält den nationalen Gesetzgeber aber nicht unbedingt davon ab, ein einfaches Gesetz zu erlassen. Und bis zum Zeitpunkt, zu dem es angefochten und allenfalls aufgehoben wird, vergeht Zeit. Die Frage ist also auch: Gibt es eine rechtliche Hürde, ein Gesetz zu erlassen? Wenn verfassungsrechtlich einmal die Grundlage geschaffen und die nächste Hürde erst die EMRK ist, verändert das natürlich etwas.

DIE FURCHE: Eine Lehre aus totalitären Systemen war die konsequente Durchsetzung eines Tat-statt Täterstrafrechts: Menschen dürfen nur eingesperrt werden, wenn sie eine Straftat begangen haben, nicht präventiv. Dieser Konsens hielt auch über Jahrzehnte. Halten Sie die Ideen zur Sicherungshaft demnach für einen Dammbruch?
Matejka: Wie sich die Situation später entwickeln könnte, kann ich nicht einschätzen. Aber man sollte keine Grundlagen für weitere Eingriffe in die persönliche Freiheit schaffen. Grundsätzlich haben wir schon genügend Ausnahmen: Die Untersuchungshaft, die Schubhaft, die Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt bei Fremd-und Eigengefährdung. Nun gibt es neue Sachverhalte und man sagt sofort: Da reichen die Bestimmungen nicht aus, deshalb müssen wir etwas ändern. Es ist bedenklich, wie schnell das alles geht. Obwohl noch gar nicht abschließend geprüft und untersucht wurde, ob es nicht ohnedies ausreichende rechtliche Maßnahmen gibt.

Wenn der erarbeitete Konsens bei Grund- und Menschenrechten als überkommen oder veraltet dargestellt wird, ist das bedenklich.

DIE FURCHE: Die Richtervereinigung hat sich gegen die von der Regierung forcierte Strafverschärfung bei Gewaltdelikten und sexueller Gewalt ausgesprochen. Warum?
Matejka: Wir haben uns auch innerhalb der Task Force schon gegen eine Anhebung von Mindeststrafen ausgesprochen. Denn es ist anerkannte Expertenmeinung, dass eine Erhöhung von Strafrahmen keinerlei präventiven Effekt hat. Durch höhere Strafdrohungen wird also niemand von einer Tat abgehalten, insbesondere nicht im Sexualstrafrecht. Die Bemessung des Strafmaßes ist zudem eine sehr individuelle Angelegenheit. Für Richter ist es wichtig, einen möglichst großen Strafrahmen zu haben, weil die Sachverhalte und Eigenschaften des Täters von Fall zu Fall sehr unterschiedlich sind. Wenn Mindeststrafen schon sehr hoch sind, kann es in Einzelfällen zu nicht angemessenen Strafen kommen. Es macht auch nicht immer Sinn, jemanden möglichst lange einzusperren. Es gibt mitunter gute Gründe, die dagegen sprechen.

DIE FURCHE: Welche Schlüsse ziehen sie aus ihrer einstigen Tätigkeit als Familienrichterin bezüglich Gewaltopfern und -Tätern?
Matejka: Wenn der Täter etwa der Partner oder Ehemann ist, trauen sich Opfer bei sehr hoher Strafdrohung unter Umständen nicht, Anzeige zu erstatten. Deshalb haben wir auch eine Anhebung der Mindeststrafe auf ein Maß, das eine bedingte Haftnachsicht nicht mehr ermöglicht, kritisch gesehen. Denn das würde bedeuten: Der Täter kommt in jedem Fall in Haft. Opfer entschlagen sich aber bereits jetzt in manchen Fällen der Aussage, um eine drohende Haft abzuwenden. Denn es geht um komplexe Beziehungen: Es ist nicht der Zufallstäter auf der Straße, sondern jemand aus dem Familienverband. Da gibt es emotionale, finanzielle und andere Abhängigkeiten. Oft auch einen Loyalitätskonflikt, vor allem wenn Kinder da sind. Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt werden, haben nicht vorrangig das Bedürfnis, dass der Täter bestraft wird -sie wollen vor allem ihre schwierige Situation lösen.

DIE FURCHE: Sie haben vielfach den aktuellen Sparkurs im Justizsystem kritisiert. Welche Probleme sehen Sie im Alltag?
Matejka: Es gibt schon seit vielen Jahren starke Personalkürzungen im Bereich der Beamten-und Vertragsbediensteten. So wie auch sonst im öffentlichen Dienst wird nur jede zweite Stelle nachbesetzt. Dadurch haben wir schon einige hundert Mitarbeiter weniger und sind an einem Punkt angekommen, an dem wir merken: Wir haben kaum noch Spielraum. Der Arbeitsdruck wird immer höher, es kommt vermehrt zu Krankenständen. Wir haben viele Burnout-Fälle, die Belastbarkeit des Einzelnen nimmt ab. Das schaukelt sich hoch und wir kommen in einen Teufelskreis. Ergebnis ist auch, dass aufgrund der Überbelastung mehr Fehler passieren und Verfahren länger dauern. Die dahinterstehende Forderung ist: Es soll alles schneller und effizienter werden. Tatsächlich geht es aber genau in die andere Richtung.

Es wäre wichtiger, in der Bevölkerung verstärktes Bewusstsein zu schaffen, dass es diese Rechte gibt, und verständlich zu machen, was jeder Einzelne davon hat.

DIE FURCHE: Michael Rami ist seit vergangenem Jahr Verfassungsrichter. Gleichzeitig vertrat er bis vor Kurzem als Anwalt Vizekanzler Strache und die FPÖ, was zu einer Diskussion über Unvereinbarkeit führte. Sollten Verfassungsrichter in Österreich Berufsrichter sein?
Matejka: Die Regelung ist von Land zu Land verschieden, es gibt für beide Modelle Beispiele. Es muss kein Nachteil sein, wenn ein Verfassungsrichter noch einen anderen Beruf hat, denn er bringt aus seiner beruflichen Praxis ja auch wieder etwas ein. Der Nachteil ist, dass bei manchen Berufen der Anschein von Befangenheit entstehen kann. Die öffentliche Diskussion ist da sehr nachvollziehbar. Es ist jedenfalls wichtig, sensibel zu sein. Jedes Modell hat ein Für und Wider, so auch das deutsche, wo die Richter des Bundesverfassungsgerichts keinen weiteren Beruf ausüben.

DIE FURCHE: Wie geht's den Grundrechten in Österreich?
Matejka: Grundsätzlich sehr gut. Die Grund- und Menschenrechte sind nicht nur durch die Verfassung, sondern auch durch das internationale Regelwerk inklusive EU-Grundrechtecharta stark verankert. Die Frage ist: Wie geht man damit um? Und in den vergangenen Monaten wurden gewisse Rechte verstärkt in Frage gestellt. Das ist in dieser Form relativ neu und ich sehe das kritisch. Natürlich kann und soll man Gesetze immer hinterfragen, auch danach, ob sie noch zeitgemäß sind. Aber gerade bei Grund-und Menschenrechten gibt es einen erarbeiteten und erkämpften Grundkonsens. Da geht es um demokratische Werte. Wenn das als überkommen oder veraltet dargestellt wird, ist das bedenklich.

DIE FURCHE: Die EMRK schien in Mittelund Westeuropa lange sakrosankt. Ist sie das noch?
Matejka: In Österreich ist sie abgesichert. Ein Austritt ist faktisch kaum möglich, denn er wäre mit unserer EU-Mitgliedschaft und vielen anderen Verträgen nicht vereinbar. Die Diskussion in Österreich entstand vor allem, weil im FPÖ-Parteiprogramm darüber nachgedacht wurde, statt der EMRK eine Art nationale Grundrechtecharta zu schaffen. Ich sehe dafür weder Bedarf noch eine realistische Chance. Die Diskussion an sich ist aber unerfreulich. Es wäre wichtiger, in der Bevölkerung verstärktes Bewusstsein zu schaffen, dass es diese Rechte gibt, und verständlich zu machen, was jeder Einzelne davon hat.

Sabine Matejka

ist seit 2017 Präsidentin der österreichischen Richter­vereinigung. Sie arbeitet als Zivilrichterin am Bezirksgericht Wien­Leopoldstadt.

ist seit 2017 Präsidentin der österreichischen Richter­vereinigung. Sie arbeitet als Zivilrichterin am Bezirksgericht Wien­Leopoldstadt.

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