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Vertrauen bleibt auf der Strecke

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Immerhin, wir haben dann die Möglichkeit, zu überprüfen, ob „alles rechtens" ist. Unser Staat ist ein Rechtsstaat, wir sind vor staatlicher Willkür geschützt. Auch für das Zusammenleben in der Gesellschaft gibt es „Spielregeln", welche die Auswirkungen unseres Handelns zumindest auf einer, der „rechtlichen" Ebene vorhersehbar machen. Wir haben ein Bedürfnis nach dieser Rechts-Sicherheit - auch wenn sie in einer komplexer werdenden Welt immer mehr und kompliziertere Rechtsnormen erfordert (siehe Gerhart Holzinger unten).

Eine weitere Anforderung soll das Recht erfüllen: die der Gerechtigkeit. Es mag zwar dem Zeitgeist entsprechen, die Bedeutung übereinstimmender sittlich-ethischer Wertvorstellungen zu negieren; die Konsequenz daraus zu ziehen und sich auch von der Forderung nach „Gerechtigkeit", nach „Angemessenheit" der Rechtsordnung zu verabschieden -woran soll Recht „gemessen" werden, wenn es keinen außerrechtlichen Maßstab mehr gibt? - liegt aber nicht im Trend der Zeit. Wer ist schon bereit, sich kritiklos Regeln zu unterwerfen, die er nicht als sinnvoll erkennt?

Was jeder einzelne als sinnvoll erkennt, richtet sich in der pluralistischen Gesellschaft nach höchst unter-

schiedlichen Wertmaßstäben; das macht die Gestaltung allgemeingültiger Rechtsnormen für unsere ohnehin schon komplexen Lebenssachverhalte noch schwieriger. Da liegt es nahe, möglichst konkrete, detaillierte, differenzierte Regelungen zu schaffen, nicht nur dort, wo die Materie es erfordert, sondern ifj allen Bereichen. Schließlich will man, schon im Hinblick auf die nächste Wahl, „es möglichst vielen recht machen", will dem Bechnung tragen, was gerade als „öffentliche Meinung" gilt - und diese orientiert sich meist am Einzelfall.

Darüber hinaus ist der Gesetzgeber oft Zwängen unterworfen, die von vornherein wenig Raum für grundsätzliche Erwägungen geben. So war es auch beim „Sparpaket". Es ging nicht darum, etwa die Sozialgesetzgebung gerechter zu gestalten, es ging ums Budget. Dasselbe geschieht am laufenden Band im Sozialversicherungsrecht: Nicht materieller Regelungsbedarf, sondern Geldnöte zwingen den Gesetzgeber zum Handeln. So entsteht eine Flut von Anlaßfall-Regelungen, die niemand mehr überschauen kann und die das Gesetz immer mehr seinem ursprünglichen Sinn und Zweck entfremden.

Uberlagert wird dieses Normen-Wirrwarr vom EU-Recht (siehe Reinhold Mit-terlehner unten), das gegenüber dem innerstaatlichen Recht sogar Vorrang hat, aber nicht einmal geschlossen publiziert ist. Kann-es da noch Rechtssicherheit geben? Der Rechtsanwender sieht es pragmatisch: „Niemand kann jede neue Vorschrift zur Kenntnis nehmen, man befaßt sich mit dem Recht eben dann, wenn man es braucht", so ein Jurist im Bundeskanzleramt. „Der Grundsatz, daß sich niemand mit Rechtsunkenntnis entschuldigen kann, beinhaltet auch noch keinen Vorwurf gegen den Bür-

ger. Er bedeutet ja nur, daß das Recht trotzdem anzuwenden ist."

Damit hört Recht aber auf, Verhaltensrichtlinie im täglichen Leben zu sein. Daß das vom Gesetzgeber oft gar nicht mehr beabsichtigt wird, zeigt die zunehmende Häufigkeit rückwirkender Gesetze. Auch sie sind „eben anzuwenden", obwohl der Bürger gar nicht die Möglichkeit hatte, sein Verhalten daran zu orientieren. Rückwirkende Normen seien nur zulässig, wenn dadurch das berechtigte Vertrauen der Normadressateh" in die Rechtsordnung nicht enttäuscht wea de, so der Verfassungsgerichtshof. Also werden, die erforderliche parlamentarische Zweidrittelmehrheit vorausgesetzt, solche Gesetze vorsorglich im Verfassungsrang beschlossen -auch wenn das Vertrauen des Bürgers in die Rechtsordnung dabei endgültig auf der Strecke bleibt.

Gibt es noch eine Chance für das Recht? „Man müßte auf parlamenta-

rischer Ebene mehr Mut zum Nein haben", meint Volksanwältin Ingrid Korosec. „Nein" zur Anlaß-Gesetzgebung, „nein" zu gesetzlichen Einzelfall-Regelungen, „nein" zu überhasteten Gesetzesbeschlüssen. „Lieber länger nachdenken, bis man eine wirklich sinnvolle generelle Regelung findet, als wegen jedes Einzelfalles das Gesetz zu novellieren. Und vor allem: Gesetze bürgernäher formulieren, damit der Bürger nicht für jeden Paragraphen einen Juristen braucht" "

Den Übereifer d(*LMiakteu6n-be*; der Ausarbeitung von Gesetzesentwürfen soll eine Begelung bremsen, wonach die Kosten eines Gesetzes einschließlich der Folgekosten sowie der Personalbedarf für die Vollziehung detailliert angegeben werden müssen (siehe Franz Fiedler unten). „Da wird man sich manches zweimal überlegen", hofft Cornelia Zoppoth, Pressesprecherin beim für „Bechtsbe-

reinigung" zuständigen Staatssekretär Karl Schlögl. Im übrigen, so Zoppoth, „stammen 20 Prozent des geltenden Rechtsstoffes aus der Zeit vor der "Zweit™ Republik, eine Verringerung von 25 bis 40 Prozent wäre hier möglich" (dazu auch Holzinger unten). Es werde daran gearbeitet, alle Ministerien seien eingebunden.

Eine gute Sache, auch und vor allem, um zum Umdenken anzuregen. Normen-Inflation entwertet das Recht, was niemand mehr zur Kenntnis nehmen kann, wird irgendwann bedeutungslos.

Dr. Christine Kary, Juristin, istfreie Journalistin in Wien

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