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Digital In Arbeit

Manipulation durch Pseudodiskussion

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Im „Club 2” wurde wieder über ein brisantes Thema, „Homosexualität heute”, diskutiert. Zwei Wochen sind seither vergangen, die Zahl der praktizierenden Homosexuellen ist wahrscheinlich kaum sprunghaft angestiegen, die Tageszeitungen haben das Ereignis kommentiert, 367 Zuseher durch Anrufe ihre Meinung beim ORF deponiert. Ist damit der Fall erledigt? Der Verlauf der Diskussion war so bezeichnend, daß eine ausführliche Auseinandersetzung mit etwas zeitlicher Distanz angebracht erscheint.

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Im „Club 2” wurde wieder über ein brisantes Thema, „Homosexualität heute”, diskutiert. Zwei Wochen sind seither vergangen, die Zahl der praktizierenden Homosexuellen ist wahrscheinlich kaum sprunghaft angestiegen, die Tageszeitungen haben das Ereignis kommentiert, 367 Zuseher durch Anrufe ihre Meinung beim ORF deponiert. Ist damit der Fall erledigt? Der Verlauf der Diskussion war so bezeichnend, daß eine ausführliche Auseinandersetzung mit etwas zeitlicher Distanz angebracht erscheint.

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Zunächst der äußere Rahmen: Marianne Koch lädt ein und leitet die Diskussion; die Teilnehmer: zwei redegewandte, militante Homosexuelle (ein Regisseur, ein Lehrer), eine Schriftstellerin mit lesbischen Erfahrungen, zwei Fachleute (Psychologen), eine lesbische Sozialpädagogin und ein junger Architekt (einziger Österreicher unter den anwesenden Homosexuellen).

Der Verlauf der Sendung brachte genau das, was von der Zusammensetzung her zu erwarten gewesen war: Es kam zu einem langen, durch keinerlei Widerspruch irritierten Lobgesang auf die Homosexualität. Denn der Psychologe Wilfried Daim war durch sein allzu wissenschaftli- ches.Vokabular behindert und wurde derart in eine Außenseiterposition gedrängt, daß er sich über weite Strecken nicht an der Diskussion beteiligte.

Es ist die Zusammensetzung der Diskussionsrunde, die man auch dieser „Club”-Sendung zum Vorwurf machen muß: Das Ungewöhnliche, der abnorme Standpunkt dominiert. Die von unserer Gesellschaft (jetzt noch) anerkannte Norm, also die normale Ansicht, wird von höchstens einer Person vertreten.

Hier wird aber Diskussion zum gezielt eingesetzten politischen Instrument. Durch Auswahl der Teilnehmer wird allgemeine Übereinstimmung zu einem Thema vorgetäuscht Die Mehrzahl der Zuseher sieht sich in eine sprachlose Minderheitsposition gedrängt. Nicht unterschiedliche Meinungen werden miteinander konfrontiert, sondern die Teilnehmer stellen eine „Betrachtung” zum Thema des Abends an; es herrscht Konsens über die Grundausrichtung, der einzelne Diskussionsteilnehmer trägt nur seine persönliche Note zum Grundakkord bei.

Daß eine solche Darbietung nicht spurlos am Zuschauer vorbeigeht, habe ich gerade bei dieser „Club-2”- Sendung an mir selbst festgestellt. Nach zwei Stunden Dauerberieselung war ich wie gelähmt, meine ursprünglich verspürte Bereitschaft, mich auseinanderzusetzen, ja selbst mein Ärger waren in Müdigkeit umgeschlagen.

Der Zuseher läßt sich auf Argumente ein, von denen er mit etwas Abstand genau weiß, daß sie die Probleme falsch darstellen. Es versucht Gegenargumente zu formulieren, um Aussagen zu entkräften, die spiele risch und unseriös, aber mit großem Pathos in den Raum gestellt werden. Sie sind durch nichts anderes in der Realität gestützt, als durch den Konsens dieser eingespielten Gruppe.

Diese Lähmung ist deswegen so gefährlich, weil hier in einer entspannten, netten Atmosphäre Ungeheuerlichkeiten gesagt werden, die - mangels Widerspruch - nicht unbedingt als solche erkannt werden: Da beklagt sich der Lehrer, daß homosexuelle Praktiken nicht im Unterricht vorgeführt werden dürfen, spricht von seiner Freude an der Verführung von normalen Männern, da ist die Rede davon, Homosexualität nicht zu „tolerieren”, sondern zu „akzeptieren”!

Hier wurde nicht um Verständnis für Menschen geworben, die sich in einer schwierigen Lebenssituation befinden. Hier wurde gezielte Propaganda für die Gleichbewertung des Abnormalen gemacht. Man muß es einmal klarstellen: Nicht weil einerseits Mitleid, Verständnis und Hilfsbereitschaft für den einzelnen Menschen in Bedrängnis geboten ist, kann man andererseits verlangen, daß der Mißbrauch unseres gesellschaftlichen Freiheitsraumes zur Propagierung von Abnormem toleriert werden muß!

Wohl ist die persönliche Entscheidung von jedermann (auch die des Homosexuellen) zu respektieren. Aber allen Versuchen, gerade junge und suchende Menschen durch Appell und durch Scheinobjektivität zu verführen, muß entgegengetreten werden.

Zu denken gab auch, was zur Gründung eines Vereines der Homosexuellen gesagt wurde. Eine Aussprache im Justizministerium habe ergeben, daß keine Untersagung zu erwarten sei. Auch wäre die SPÖ bereit, eine weitere Liberalisierung in der Gesetzgebung zu befürworten; man brauche dazu nur die nötige öffentliche Meinung, hieß es.

Und diese wurde entsprechend aufbereitet: So verlas z. B. Frau Koch die Adresse des Clubs der Wiener Lesbierinnen, durfte der Vertreter der österreichischen Homosexuellen sein mitgebrachtes Plakat mit Adresse des Clubs in die Kamera halten!

War die Vorgangsweise in Sachen Abtreibung nicht ähnlich? Wurde da nicht auch langsam, konsequent öffentliche Meinung gebildet? Waren da nicht auch Außenseiter die Vorrei- ter?

Vorreiter wofür, könnte man jetzt fragen. Für die Propagierung eines Menschenbildes. Denn das Grundsätzliche dieser „Club”-Sendung war, daß vom Leitbild von erfülltem Leben für die Zukunft, diesmal illustriert am Beispiel der Homosexuellenproblematik, die Rede war.

So wurden auch tatsächlich alle Klischees aus der Requisitenkiste hervorgeholt: Die Unterdrückung der Frauen durch die Männer diente ebenso als Argument für Homosexualität und Lesbiertum wie die Kindesmißhandlung; Alkoholismus und Sexualtabus sollten ebenso Schützenhilfe leisten wie kapitalistische Ausbeutung und Zwang zur Fortpflanzung.

Und wie schaut die angebotene Lösung aus? Es ist das Bild des Menschen, der sich um jeden Preis selbst zu verwirklichen sucht - nach dem Prinzip der Lustmaximierung. Es herrschte die übereinstimmende Meinung vor, daß alles, was Lust bereite, zu begrüßen sei, der Mensch befreit werden müsse von allen Einflüssen, die seiner Suche nach Lusterfüllung im Weg stehen könnten.

Lebenserfüllung durch maximalen Lustkonsum war die Parole des Abends, und das Schlimme war, daß sie unwidersprochen blieb und daß sie mit einem Vokabular vorgetragen wurde, das den Sinn der Begriffe verkehrte. Was soll man davon halten, wenn die anwesende Schriftstellerin ihr Sexualverhalten (das sie als heterosexuell mit lesbischen Erfahrungen charakterisiert hatte) damit begründete, daß sie eben „für alle Menschen offen sein” wolle. Als ob dies nur durch sexuelle Beziehungen möglich wäre!

Das klingt so lange schön, als man vergißt, daß häufiger Partnerwechsel, Enttäuschung und einsames Altem damit einhergehen. Aber niemand war in dieser Diskussion imstande oder bereit, dies aufzuzeigen.

Man sollte jedoch nicht in wehleidiges Gejammer ausbrechen, das Ereignis weder überbewerten noch unterschätzen. Es war wieder ein klarer Fall von politischer Beeinflussung, ein Mißbrauch des Mediums.

Hier sollten die Fernsehzuschauer durch massiven Protest Einfluß auf die Politik des Fernsehens nehmen und den ORF zu Reaktionen bewegen: ein Änderung der Richtlinien für die Einladungen, eine Heranziehung von Diskussionsleitern mit ausgewogeneren Ansichten und mehr persönlichem Format.

Für uns selbst könnten wir lernen, daß einige der immer wiederkehrenden Vorwürfe an unsere Gesellschaft ja durchaus zu recht bestehen, daß unsere Ehen zuwenig harmonisch, die Beziehungen zu unseren Kindern zu sehr von Ungeduld und Zeitmangel, die Beziehung zu unseren Mitmenschen zu sehr durch Geltungssucht und Konkurrenzneid geprägt sind, daß wir zu wenig bereit sind, Außenseitern zu helfen.

Auch hier gibt es Ansatzpunkte für jeden, Gesellschaftspolitik zu betreiben, indem er dazu beiträgt, daß das christliche Leitbild - über dessen Versagen in all diesen „Diskussionen” immer wieder gesprochen wird - nicht eine leere Hülse wird.

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