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Verachtung treibt viele in den Tod

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Wissen ethisch denkende Menschen, was sie mit der extremen Mißbilligung und negativen Bewertung homosexueller Menschen anrichten können?

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Wissen ethisch denkende Menschen, was sie mit der extremen Mißbilligung und negativen Bewertung homosexueller Menschen anrichten können?

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Wenn die Beziehung der Gesellschaft zu den Homosexuellen zu regeln ist, dann gilt auch nach der Weisung der katholischen Kirche zunächst der Grundsatz, niemanden zu diskriminieren. Homosexuelle dürfen nicht einfach deshalb benachteiligt oder eingeschränkt werden, weil ihnen eine bestimmte sexuelle Orientierung zu eigen ist, die sie nicht verschuldet haben und die sie auch nicht ändern können. Wenn sich die Mehrheit der Heterosexuellen durch die Homosexuellen verunsichert oder gefährdet fühlt, dann ist jeweils nach neuesten Erkenntnissen zu überprüfen, ob nachteilige Auswirkungen tatsächlich zu befürchten sind. Die Gefahr von Vorurteilen ist hier, wie die Geschichte zeigt, sehr groß (siehe furche 38/1995, Seite 4, Anm. d. Red.).

Daß in unserer Gesellschaft gegenüber Homosexuellen massive Vorurteile bestehen, ist eine Tatsache. Insbesondere ist die immer noch verbreitete Meinung als überholt zu betrachten, Homosexualität werde durch Verführung weitergegeben. Zudem ist aber auch zu berücksichtigen, welche Belastung und welchen Schaden man den Homosexuellen durch verschiedene Einschränkungen und Strafandrohungen zufügt (siehe dazu Furche 39/1995, Seite 4, Anm. d. Red.).

Oft genug hat man in der Geschichte das Problem der Homosexuellen dadurch bewältigen wollen, daß man sie umbrachte, wie das bis herauf zum Nationalsozialismus geschehen ist. So offensichtlich verwerflich das für einen ethisch denkenden Menschen ist, so unklar scheint es vielen zu sein, daß man Homosexuelle auch durch eine extreme Mißbilligung und negative Bewertung ihrer Anlage in den Tod treiben kann. Ihre Selbstmordrate übertrifft die der übrigen

Bevölkerung um ein Mehrfaches.

Unter dem herrschenden gesellschaftlichen Druck gestehen sich diese Menschen oft erst in einem Alter von 30 oder auch sehr viel mehr Jahren ihre sexuelle Orientierung ein, obwohl sie dann sicher sind, diese Anlage immer schon gehabt zu haben. Offenbar haben sie die Einsicht in ihre sexuelle Orientierung vorher verdrängt. Daß es ihnen dadurch weitaus schwerer gemacht wird, ihre Geschlechtlichkeit anzunehmen, verantwortlich zu gestalten und so zu reifen, ist offensichtlich. Das Bewußtsein, nicht sein zu dürfen, was man ist, und seine wahre Natur nach außen verleugnen zu müssen, bringt solche Menschen schon in ihren Jugendjahren in eine große Not. Sie können oft mit niemandem reden und sind Erpressungen ausgesetzt.

Es kann für Homosexuelle eine große Hilfe sein, wenn sie einen Kreis mit gleicher Anlage finden, wo sie sich aussprechen können, sich angenommen und geachtet fühlen. Das setzt freilich voraus, daß solche Vereinigungen auch ausreichend bekannt sind.

Ein völliges Werbeverbot für diese Gruppen erscheint deshalb nicht gerechtfertigt. Grund für ein derartiges Verbot im Strafrecht war offenbar die objektiv nicht berechtigte Befürchtung, daß durch ein Bekanntmachen homosexueller Vereinigungen Heterosexuelle zur Homosexualität verführt werden könnten.

Daß im bisherigen österreichischen Strafrecht in einem Atemzug von einer Werbung für Unzucht mit Personen des gleichen Geschlechts und mit Tieren gesprochen wird, drückt noch einmal die Einstellung unserer Gesellschaft zur Homosexualität aus.

Ein anderes Problem der noch gültigen Homosexuellenparagraphen ist die Strenge der Regelungen. Wenn es manche für eine Gewissenssache halten, den Schutz Jugendlicher möglichst streng zu fassen zunächst was die Altersgrenze betrifft, dann müßte man dem Vatikan, der diese Grenze statt der 18 Jahre bei uns auf zwölf Jahre festgesetzt hat, eine extreme Verantwortungslosigkeit vorwerfen. Besonders drastisch sind aber auch die angedrohten Strafmaßnahmen. So wird die „gleichgeschlechtliche Unzucht mit Personen unter achtzehn Jahren” mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Gemeint ist hier eine geschlechtliche Beziehung zwischen einem Erwachsenen (betroffen sind nur Männer!) über 18 Jahren und einem Jugendlichen bis zu diesem Alter.

Wenn zwei Jugendliche etwa von 16 und 17 Jahren eine solche Beziehung haben, bleibt das straffrei. Ein Jahr später ist der Ältere mit Gefängnis im genannten Ausmaß bedroht. Es kann sein, daß damit das Leben eines jungen Mannes auf Dauer Schwerstens gestört wird. Man denke etwa an die unterbrochenen oder abgebrochenen Ausbildungs- oder die beginnenden Berufsjahre und besonders auch an die Tatsache, daß der Betreffende nun „vorbestraft” ist.

In einer Zeit, die (hetero)sexuelles Verhalten so großzügig toleriert, wie das heute bei uns der Fall ist, wird man es nicht verstehen können, daß nun eine homosexuelle Beziehung einen solchen sozialen Schaden darstellt, daß sie dermaßen hart bestraft werden muß. Ob man heute noch so ungebrochen an die heilsame Wirkung von Strafandrohungen glauben kann, ob sie das verhindern, was sie bedrohen, oder gar ob sie die Betroffenen besser machen, sind weitere Fragen. Natürlich kann es nicht darum gehen, homosexuelle Beziehungen Erwachsener mit Jugendlichen unter allen Umständen gutzuheißen. Aber um hier Untragbares abzuwehren und die Jugend zu schützen, genügt das Strafrecht, wie es auch für Heterosexuelle gilt. Überhaupt sind vom Grundsatz der Gleichheit vor dem Recht her Unterschiede in der Behandlung Homosexueller gegenüber Heterosexuellen besonders zu rechtfertigen.

So kann man aus ethischen Gründen nur hoffen, daß der österreichische Gesetzgeber eine Begelung findet, die einigermaßen dem entspricht, was in den meisten europäischen Staaten Geltung hat.

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