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Es genügt nicht, Paragraphenabzuschaffen

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In seiner Regierungserklärung vom 27. April 1970 bekannte sich Bundeskanzler Dr. Kreisky zu einer Gesamtreform des Strafrechtes, „die weder eine Frage der Parteipolitik noch der Weltanschauung sein solle“. Tatsächlich zwingen viele Erscheinungen der Gegenwart den Gesetzgeber, das bestehende Strafrecht weiter zu entwickeln. Die Eigentumsdelikte nehmen rasant überhand, ebenso die Unsicherheit’ in Stadt und Land. Die Frage der Umwandlung von kleinen Strafen in Geldstrafen, die nicht nach einem einfachen Schema, sondern angepaßt an die Verhältnisse des Bestraften bemessen werden, hängen längst in der Luft. Wie überhaupt die Frage so manchen Strafvollzuges.

Aber von all dem wurde seither nichts gesprochen. Gesprochen wurde nur von einer sogenannten kleinen Strafrechtsreform, die vor allen Dingen dlie Bestimmungen über homosexuelle Beziehungen zwischen Erwachsenen abschaffen will, ebenso wie die Strafbestimmungen in bezug auf Ehestörung und Ehebruch. Auch soll Pornographie vollkommen freigegeben werden.

Ist es wirklich notwendig, sich in erster Linie mit diesen Bestimmungen zu befassen? Wären nicht viele andere Dinge zunächst zu reformieren?

Homosexualität hat in Österreich niemals eine derartige Rolle gespielt wie zum Beispiel in England. Die Aufhebung der Strafbestimmungen über homosexuelle Beziehungen soll außerdem ja nur für Erwachsene gelten. Jugendliche sollen — mit Recht — weiterhin geschützt bleiben. Das Argument für die Abschaffung dieses Paragraphen ist die Behauptung, daß Erwachsene immer wieder auf Grund dieses Paragraphen Erpressungen ausgesetzt sind. Ein Wegfällen dieses Paragraphen würde auch einen Wegfall der Erpressungen bedeuten.

Würde die Wirklichkeit wirklich so aussehen? Heute weiß man längst, daß eine homosexuelle Veranlagung — diese „Abirrung der Natur“, wie sie Minister Broda nannte — bei Männern nur zum Teil eine angeborene Veranlagung ist. Vielfach ist sie eine gewordene und gewachsene. Geworden auf Grund einer Verführung in der Jugend oder auf Grund einer pathologischen Liebe einer Mutter, die ihrem Sohn — oft ein Einzelkind — nicht eine normale Entwicklung gönnt. Entscheidend sind sehr oft die Jugendjahre. Und diese Jahre sollen nach wie vor — wieder sei es betont — mit Recht geschützt bleiben. Aber unter den Männern, die entweder mit einer angeborenen oder gewordenen homosexuellen Veranlagung ins Leben treten, gibt es zwei Gruppen: solche, die sehr tiefe menschliche Beziehungen zueinander haben oder solche, die aus irgendwelchen Hemmungen zu solchen Beziehungen nicht gelangen. Die erste Gruppe hat niemals die Gerichte beschäftigt und wird sie auch sicherlich nicht weiter beschäftigen. Aber in der zweiten Gruppe tummeln sich als Partner so manche düstere Gestalten herum, die ihre Partner, auch wenn der Paragraph 129 b nicht mehr bestehen wird, immer wieder erpressen werden, wenn sie nicht gar Verbrechen an denselben verüben. Man denke nur an Gustaf Gründgens oder Ramon Navarro, die beide von homosexuellen Partnern ermordet wurden. Und dann das Kapitel „Ehestörung“ und „Ehebruch“. Ein« Ehe, in der ein Partner sich bemüßigt fühle, eine Ehestönung gegen ein«! Dritten einzubringen oder seinen Partner wegen Ehebruch zu belangen, sei ohnedies schon zerstört, sie könne höchstens noch geschieden werden. Dies ist wohl richtig, aber die betreffenden Paragraphen des österreichischen Strafgesetzbuches verfolgen doch in erster Linie einen anderen Grund: Wenn eine Ehe in früheren Zeiten gestört oder gebrochen wurde, so duellierten sich die Beteiligten, wenn sie höheren Ständen angehörten, oder verprügelten sich. Diese Paragraphen nun geben zumindest die Möglichkeit einer Auseinandersetzung auf dem neutralen Boden des Gerichtes. Eifersuchtsszenen mit Revolvern und Messern und Beleidigungen können auf diese Weise leicht vermieden werden. Außerdem bietet der Paragraph über die Ehestörung auch einen gewissen Schutz gegen die vielen Don Juans, die immer wieder auf der Jagd nach Menschen sind, wobei es ihnen in keiner Weise um echte Beziehungen zu Menschen geht.

Und dann soll Pornographie vollkommen freigegeben werden. Man fragt sich nur, was soll noch mehr freigegeben werden, als man ohnedies schon sieht und erleben kann? Der Österreicher ist im Grunde genommen ein seelisch sehr gesunder Mensch. Erscheinungen, wie sie das heutige Deutschland kennt, sind in Österreich unbekannt. Was also will man freigeben? Will man sich durch Abschaffung dieses Paragraphen der Möglichkeit berauben, bei ärgsten öffentlichen Exzessen einzugreifen? Man schaffe deshalb diese Paragraphen nicht ab, sondern verbessere sie.

Der Widerstand gegen alle diese Reformen wird merkwürdigerweise nicht von rechts kommen, sondern von links. Denn was hat der kleine Mann, was hat die kleine Frau noch für Möglichkeiten, sich zu wehren, wenn man alle diese Paragraphen abschafft? Sie haben nur noch die Möglichkeit, sich scheiden zu lassen oder den anderen zu verprügeln, und das will man doch vielfach nicht.

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