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Übeltäter mit Dienstausweis

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Es gibt in Österreich mehr als 23.000 Beamte der Exekutive: etwa 11.500 in der Sicherheitswache, 10.200 in der Gendarmerie und knapp 1900 im Kriminaldienst. Das ist eine sehr stattliche Anzahl, und im Herbst vergangenen Jahres hat im österreichischen Nationalrat sogar ein Abgeordneter einer Regierungspartei ausdrücklich darauf hingewiesen, daß in einer internationalen Statistik Österreich mit einem Polizisten auf je 264 Einwohner an der Spitze steht. Wenn das Wort „Polizeistaat” nicht so einen fatalen Beigeschmack hätte und meist im Sinne von „Diktatur” verwendet würde, könnten wir uns also rühmen, der größte Polizeistaat zu sein.

Ebenfalls im Nationalrat und ebenfalls im vergangenen Herbst hat ferner der Innenminister ausdrücklich bedauert, daß die niedrigen Anfangsbezüge dazu führen, daß nur wenige Bewerber sich für den Polizei- und Gendarmeriedienst melden und bei der Sicherheitswache einige hunderte Planstellen effektiv unbesetzt sind.

Es sind nur Ausnahmen

Es ist also in Anbetracht der großen Zahl der Exekutivbeamten einerseits und in Anbetracht der geringen Auswahlmöglichkeit anderseits absolut unmöglich, daß jeder einzelne der

23.000 Polizisten und Gendarmen an Eifer, Intelligenz und Charakter ausgezeichnet ist. Mit anderen Worten: Es ist absolut unvermeidlich, daß auch in dieser Berufsgruppe, so wie in jeder anderen, einzelne „schwarze Schafe” sind. Ebenso wie Ingenieure oder Mittelschullehrer, ÄTzte oder Facharbeiter zuweilen vom rechten Weg abweichen, so muß es zwangsläufig unter 23.000 Beamten der Exekutive auch charakterlich Minderwertige geben. Das ist geradezu statistisch „normal”, und niemand wird sich darüber wundern. Wenn es etwas daran zu verwundern gibt, dann vielleicht weit eher die Tatsache, daß eine so überaus große Mehrheit dieser gewiß nicht übermäßig bezahlten Beamten ihren oft ungemein schweren und gefährlichen Dienst ohne jeden Anstand ausübt und der oft so naheliegenden Möglichkeit zum Amtsmißbrauch beharrlich aus dem Wege geht.

Es ist also nur eine verschwindende Minderheit, die man in kurzen Zeitungsberichten als betrunkene Autolenker, als Betrüger, als Prügelpolizisten oder als Mörder mit der Dienst- pisto1? kennenlernt Diese paar Fälle pro Jahr sind freilich um so aufsehenerregender, als es sich ja bei Polizisten und Gendarmen um Menschen handelt, denen die Wahrung der Gesetze und der Sicherheit als einzige Berufsaufgabe zukommt. Wenn ein Polizist mit der Dienstpistole seine Freundin erschießt, dann ist das so, wie wenn ein Arzt bewußt einen Patienten vergiftet oder ein Richter mit Absicht einen Unschuldigen verurteilt.

Man müßte also annehmen, daß derartige „schwarze Schafe” rigoros ausgemerzt werden und daß Disziplinarverfahren oder Gerichtsverfahren gegen sie nicht nur peinlich gerecht und korrekt, sondern eher noch schärfer als gegen gewöhnliche Staatsbürger durchgeführt werden. Denn wenn zum Beispiel in der Regel die Aussage eines Polizeibeamten die eines Zivilisten unbedingt an Beweiskraft vor Gericht übertrifft, dann muß diese Höherbewertung auch dann ihren Niederschlag finden, wenn es um die Ahndung einer falschen Aussasre oder gar eines falschen Eides geht. Ein Meineid eines normalen Staatsbürgers kann mit mehrjährigem Kerker geahndet werden — aber was ist aus den beiden Exekutivbeamten geworden, die im Zusammenhang mit dem Mord an Ilona Faber beide die genau entgegengesetzte Beobachtung beeideten? sobald sie zu der Erkenntnis gelangen, daß hier eine Verfehlung vorlag. Wenn das so sein sollte, dann hat man es verabsäumt, der Öffentlichkeit diese Entscheidungen bekanntzugeben.

Aber die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, zu erfahren, was mit unkorrekten „Ordnungshütern” geschieht. Wenn sie weiterhin glauben soll, daß die Polizei „dein Freund, dein Helfer” ist, dann muß man ihr beweisen, daß jene „Freunde”, die voreilig den Gummiknüppel schwangen, prompt aus dem Freundeskreis entfernt wurden. Und wenn der Glaube an die Gleichheit vor dem Gesetz erhalten bleiben soll, dann darf keine Veranlassung zu dem Verdacht bestehen, daß ein Autorowdy, der von Beruf Polizist ist, besser behandelt wird als einer, der von Beruf Schlossermeister oder Handelsvertreter oder Ministerialbeamter ist.

So wäre es also gut, wenn man den

Ausgang all jener Affären erführe, die in den letzten Jahren- dazu geführt haben, daß der Glaube an se Gerechtigkeit immer wieder ejte venig ins Wanken geriet. Wir wollen hier — ohne jeden Ansprucn auf Vollständigkeit — einige dieser Fälle zitieren. Einige aus der jüngsten Vergangenheit.

Da hatte sich etwa der Oberwachmann Theodor Sch. sinnlos betrunken, feuerte in diesem Zustand am 24. Jänner 1959 auf einen harmlosen Passanten völlig unbegründet aus seiner Dienstpistole und verletzte ihn durch zwei Bauchschüsse schwer. Bei Gericht erfuhr man unter anderem, daß der Beamte „keinen guten Leumund genoß, wegen Trunkenheit disziplinarisch vorbestraft, ein Psychopath und Neurotiker war. — Er erhielt für seine Tat vier Monate Arrest wegen selbstverschuldeter Trunkenheit.

Da verursachte Mitte 1959 in Graz ein Polizist einen Verkehrsunfall, der einen Schwerverletzten forderte, und verweigerte die Blutabnahme — angeblich mit der Begründung, daß der Stich weh täte. Strafe: eine Woche bedingt.

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