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ober akademischen Haß

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;Alles, was unproportioniert ist, wirkt dadurch allein schon komisch. Es gibt nun etwas, das durch seine ungeheuerliche Unverhältnis-m.Hßigkeit von unerreichter Komik ist. Es gibt daäür keinen richtigen Namen. Ich meine den gewaltigen Zorn der Gelehrten, in dem man vielleicht eine moderne Form des alten Odium theologicum erblicken kann.

Ich bin ein Fachmann auf diesem Gebiete, denai ich habe es selbst erlebt, und ich habe in Orten gelebt, in denen dieser Zorn wunderbar gedieh. Er ist von unerschöpflicher Komik.

Eän Mann hat zum Beispiel alle erdenklichen historischen Quellen über einen Feldzug genau durchstudiert, soweit solche überhaupt existieren; nehmen wir an, es handle sich um die höchst unzulänglichen Bruchstücke historischer Daten; über Hannibals berühmten Alpenübergang. Er hat alles darüber studiert und weiterhin nech alles durchsucht, was irgendwie damit in Zusammenhang stehen könnte, und hat überdies noch an Ort und Stelle Forschungen und Untersuchungen vorgenommen. Er kommt nun zum Beispiel zu der Schlußfolgerung, daß Hannibtal die Alpen auf dem kleinen St.-Bern-hard-Pa!ß überschritten habe..

Da klommt nun ein anderer Historiker, der ganz dile gleichen Studien und Forschungen über diesen Feldzug vorgenommen, alle die un-zulänglidhen Berichte durchgearbeitet und alles, was damit in Zusammenhang steht, gelesen hat und zu diem Ergebnis gelangt ist, daß Hannibal die Alpem am großen St.-Bernhard-Paß überschritten hat. Es ist für die Weltgeschichte natürlich völlig belanglos, wo Hannibal die Alpen überquert hat. Es ist dies eine jener recht seltenen Streitfragen im Geschichtsstudium, die mit einem mehr oder weniger bewußtep. religiösen Motiv gar nichts zu tun haben. Es ist aber eine Frage, über die sich endlos debattieren läßt, weil das vorliegende Material durchaus lückenhaft ist und man auch nicht weiß, ob die Gewährsmänner, die darüber beriebken, die Wahrheit erzählen oder dichten.

Aber wie, immer dem sei — der Fehdehandschuh ist ljungfeworfen. Anfänglich sind die Gegner ganz, zahm und recht höflich gegeneinander. Ich habe bemerkt, wie sie sogar öffentlich in einer Art subtilen Hochmutes Komplimente austauschen, womit sie dem Publikum zu verstehen gehen, daß sie beide zu einer hochbedeutsamen und ganz auserlesenen Art höherer Wesem gehören. Nun werden Briefe und Artikel vteröffentlicht und beantwortet.

Nach dem dritten oder vierten Artikel ungefähr merkt man eine wachsende Gärung und der eigentliche Spaß beginnt. Einer bezichtigt den andern einer Lüge oder einer groben Unwissenheit. Dieser antwortet, indem er seiner Verwunderung Ausdruck gibt, wie ein Mensch so stockblind gegenüber den Texten sein könne und so borniert, die einfachsten Formulierungen nicht zu verstehen. In ganz kurzer Zeit erreicht der Stieit den Höhepunkt; sie werfen sich gegenseitig die gröbsten Beleidigungen an den Kopf, als hätte einer das Kind des andern umgebracht. Dann aber tritt ein Stadium ein, in dem beide wr Wut zu ersticken scheinen und einfach sprachlos werden.

Der gewöhnliche, anständige Mensch, der so ein Schauspiel mitansieht, weiß nicht, was er davon denken soll und schüttelt den Kopf. Der wirklich gute Mensch ist betrübt. Ich aber, ich amüsiere mich königlich.

Wenn ich erfaihre, daß so eine kleine Fehde ausgebrochen ist, so fahnde ich mit größtem Eifer nach den Zeitungen und Zeitschriften, in denen ich hoffe, die wechselseitigen Beschimpfungen der beiden Kombattanten finden zu können, und fühle immer ein tiefes Bedauern, sobald ich das Stadium der Erschöpfung und Sprachlosigkeit herannahen sehe.

Ganz besonderen Reiz gewinnt die Sache, wenn die beiden Gegner Autoritäten auf irgendeinem ganz obskuren Spezialgebiet sind, von dem ich, der Leser, nicht die geringste Ahnung habe. Da waren einmal vor einigen Jahren zwei Professoren über irgendeine litauische Vokabel aneinandergeraten; hinsichtlich der litauischen Sprache bin ich, wie ich gestehe, so unschuldig, wie nur irgendein Mensch möglicherweise sein kann. Die beiden Gegner führten nun Druckseiten von höchst spaßig aussehenden Wörtern mit einer geradezu diabolischen Buchstabierung ins Treffen und appellierten in der naivsten Weise an die horchende Menschheit mit der Frage, ob ihre Schlußfolgerungen nicht vollkommen einwandfrei und überzeugend seien — obschon natürlich kein einziger Mensch unter tauseuden die geringste Idee haben konnte, um was es sich eigentlich handelte.

Ich erinnere mich eines anderen Falles, in dem es um eine Frage ging, in der ich selbst ziemlich eingehende Studien gemacht hatte. Es handelte sich um das Schicksal eines Hauses in Paris, in der Rue St. Honore, in dem Robespierre gewohnt hatte; der Streit drehte sich darum, ob und welche Reste von dem Hause noch vorhanden wären.

Die Auseinandersetzung wurde von zwei Männern geführt, die beide ihre Ansichten in einer Revue veröffentlichten, die sich ausschließlich mit der Geschichte der Französischen Revolution befaßte. Die beiden Richtungen, die den großen französischen Gegensatz in Politik und Weltanschauung darstellen, waren durch je einen der beiden Gegner vertreten; es gibt aber keinen vernünftigen Grund, warum der republikanische Atheist gewünscht haben sollte, daß dieses Haus noch bestehe (oder nicht mehr bestehe — ich habe vergessen, welche Meinung1 er vertrat) oder warum der royalistische Katholik das Gegenteil gewünscht haben sollte. Alles, an das ich mich deutlich erinnere, ist, daß, bevor noch ein Dutzend Artikel erschienen waren, einer den anderen des Betruges und der andere den einen der bewußten Lüge bezichtigt hatte; kurz, es war ein Riesenspaß.

Vor vielen Jahren, als sehr junger Mann, fühlte ich mich (eine kurze Zeit hindurch) als gelehrter Fachmann in der Frage der Dreifelderwirtschaft und der Ueberlieferung dieses Agrarsystems von den Römern her bis in unsere Zeit. Ich glaubte, es sei unmöglich, einem Gentleman zu begegnen, der darüber besser Bescheid wußte als ich — und dabei wahrscheinlich ebenso verkehrte Ideen darüber hatte wie ich selbst. Ich erinnere mich auch des Falles zweier Jugendfreunde, Mitglieder desselben Klubs, die unversöhnliche Feinde wurden (und den Rest ihres Lebens blieben) wegen der Frage, ob eine bestimmte kleine Gasse in London vor zweihundert Jahren in eine tackgasse geendet habe oder nicht.

In allen diesen Fehden ist der Streitgegenstand immer durch ganz bestimmte Merkmale gekennzeichnet, Erstens darf es keine Möglichkeit einer endgültigen Entscheidung geben, das heißt, ein Nachweis, der so überzeugend und unanfechtbar für jeden vernünftigen Menschen ist, daß er jede weitere Diskussion abschneidet, muß ausgeschlossen sein. Das Wesentliche also der ganzen Komödie, deren Genuß uns hier gegönnt wird, ist immer eine vage und zweifelhafte Hypothese. So hat man zum Beispiel im Falle des Alpenüberganges Hannibals erraten, was die Phrase „eine Entfernung von vier Tagen“, bedeutet, da es dahingestellt bleibt, ob es sich um vier Tage eines Armeemarsches oder aber um vier Reisetage eines reitenden Kuriers handelt; man hat aber dann überdies noch zu erraten, von welchem Ausgangspunkt diese vier Tage zu rechnen sind. Weiter enthalten die Quellen den interessanten Hinweis auf einen Landstreifen, der „Insel“ genannt wird; natürlich ist es gar keine Insel und ist vielleicht das Land zwischen Durance und Isere, oder aber zwischen Isere und Rhone. Weiter hat man einen bestimmten „weißen Felsen“ zu identifizieren — man bedenke: einen weißen Felsen irgendwo in den Alpen zwischen Bodensee und Mittelmeer. Dann soll man eine bestimmte Stelle auf einem Paß finden, von der aus man hinabblicken kann auf die Ebenen Norditaliens, unter der Annahme natürlich, daß Hannibal die Rede, in der er dies erwähnt haben soll, wirklich gehalten hat, wofür nicht die geringste Gewähr besteht. Angenommen aber, Hannibal hat diese Rede wirklich gehalten, so erhebt sich immer noch die Frage, ob das Hinabblicken auf die Ebene Italiens wörtlich zu verstehen sei oder als Redefigur, denn ein Redner kann sehr gut in eine Richtung deuten und von den Ebenen Italiens dort sprechen, ohne diese tatsächlich zu sehen, wie ja auch ein Politiker in Verteidigung gegen Angriffe stolz auf seine ehrenvolle öffentliche Laufbahn hindeuten kann, die auch niemand sieht. Aber wie immer dem sei, über Hannibals Marsch gäbe es keinen Streit, keine Freundschaft ginge darüber in Brüche und wir alle hätten nicht das erbauliche Vergnügen, den Austausch kraftvoller Schläge und schwerster Beschimpfungen mit anzusehen, wenn ein klärer Nachweis der historischen Tatsachen möglich wäre. Die erste und unerläßliche Vorbedingung des ganzen Schauspieles ist daher die vage Hypothese.

Die zweite Bedingung aber ist Gelehrtheit. Kein ungelehrter, oberflächlicher Mensch würde je solchen Wutausbrüchen ausgesetzt sein. Nur Menschen, die sich wirklich in ein Problem vollkommen vertieft haben, werden von diesen Wahnsinnsanfällen ergriffen.

Woher kommt dieser Wahnsinn? Wie läßt er sich erklären? Ich habe es nie herausfinden können. Ich habe es niemals verstehen können.

So abgegriffen die ganze Sache scheinen mag, ich habe doch etwas Neues und Wichtiges zu dem Thema hinzuzufügen. Es gibt niemand unter uns, der nicht bei Ausbruch einer akademischen Fehde (und man erlebt solche in Gelehrtenkreisen fast wöchentlich) etwas dabei tun könnte, das ebenso unterhaltlich wie verdienstvoll ist; es gibt keinen, der nicht in den Endphasen eines solchen Kampfes mit Erfolg als Friedensstifter auftreten könnte. Ich will verraten, wie dies zu machen ist.

Im richtigen Augenblick, wenn die Gegner gerade das Stadium der Sprachlosigkeit erreicht haben, muß man plötzlich mit einer völlig neuen, möglichst dummen Theorie auf den Plan treten, mit irgend etwas von der Art, wie man es aus volkstümlichen Weltgeschichtsbüchern beziehen kann. Es wird sich empfehlen, sich hierbei eines Pseudonyms zu bedienen. Wenn zum Beispiel die Gegner, die sich über Hannibals Alpenübergang in' den Haaren liegen, am Höhepunkt ihrer Aufregung angelangt sind, erscheint man plötzlich mit einer Theorie eines dritten Passes auf der Bildfläche. Wenn der eine am Mont Genevre und der andere auf dem kleinen St.-Bernhard besteht, so wähle man etwa den Mont Cenis und behaupte, daß dieser Paß noch schneefrei war, während die anderen bereits ungangbar waren, und daß man die italienische Ebene von dort ganz deutlich sehen könne, wenn man abseits der Straße einen Hang hinaufklettert. Sofort werden die zwei Kämpfer ihren Kampf vergessen und sich zusammen auf den Dritten stürzen, um ihn mit ihren Argumenten zu zerschmettern. Wärmstens zu empfehlen ist es, nachdem man sich noch eine Weile hingehalten hat, zuzugeben, daß man eigentlich von der ganzen Sache überhaupt nichts versteht und sich nur aus dem Grunde eingemengt habe, weil die Diskussion so überaus spannend und aufregend war. ' •

Gelegentlich einer archäologischen Auseinandersetzung habe ich dies vor Jahren einmal selbst gemacht, und in der Erinnerung daran muß ich immer noch lachen.

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