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Weitere bedenkliche Fälle

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Da fuhr am 1. Dezember 1959 der Polizeirevierinspelctor Walter F. in Wien Amok, rammte mehrere Fahrzeuge, landete schließlich auf dem Gehsteig, wurde von der Funkstreife mit vorgehaltener Pistole heTausgeholt, schlug um sich und wurde gefesselt auf die Wachstube gebracht, wo sich herausstellte, daß er ein „Kollege” war. Vor Gericht erklärte der Psychiater, es habe sich bei Walter F. um einen Fall von pathologischem Rausch gehandelt, der einen Schuldausschließungsgrund darstellt. Daher: Verfahren eingestellt. Nur der Schwager, der gar nicht am Lenkrad gesessen war, wurde zu acht Wochen bedingtem Arrest wegen öffentlicher Gewalttätigkeit verurteilt.

Da gab es am 29. November 1959 eine Rauferei unter Betrunkenen, bei der die -Polizei einschritt und einen der Randalierenden, mit Ketten gefesselt, aufs Kommissariat brachte: es war der Oberwachmann Adolf O. Er wurde Wege : se!bsfW5chtilde er Trunkenheit angeklagt, konnte sich angeblich., an gar nichts erinnern, ‘Und schließlich wurde auf Antrag seines Verteidigers die gerichtsärztliche Untersuchung angeordnet, um — sieben Monate nachher — festzustellen, ob Adolf O. nicht vielleicht erst randalierte, nachdem er durch den Schlag eines Gegners eine Gehirnerschütterung erlitten hatte.

Da feuerte Anfang 1960 der Revierinspektor K. aus seiner Dienstpistole zwei Schüsse auf seinen Nebenbuhler ab, und als der Schwerverletzte, der ahnungslos und im Pyjama die Tür geöffnet hatte flüchtete, schoß er ihm zwei weitere Kugeln nach. Das Opfer war lebensgefährlich verletzt.

Da schlug am 14. August 1960 der Polizeiwachmann Franz T. einen jungen Burschen mit Faust und Gummiknüppel, wobei er auch dessen Braut traf. Als Grund für diese Gewaltanwendung gab er an, der Bursche sei in Boxerstellung gegangen. Angeklagt wurde der Bursche wegen öffentlicher Gewalttätigkeit, aber da er glücklicherweise drei Zeugen hatte und ein zweiter Wachmann erklärte, nichts gesehen zu haben, kam er mit einem Freispruch davon. Der Gummiknüppelpolizist hatte ursprünglich erklärt, der Bursche habe um sich geschlagen. Obwohl der Staatsanwalt diese Behauptung auf Grund der Zeugenaussagen als falsch ansah und aus der Anklageschrift streichen ließ, wurde auf diese falsche Aussage nicht eingegangen.

Da fand im September 1960 ein Verfahren gegęn den . Rayonsinspektor Johann K. litäft, tfet innerhalb von zwei Jahröl,47 Fälle von BeTug verübt hatte. eif,’Äyfater hatte in seinem Gutachten den Angeklagten für zurechnungsfähig erklärt, sprach aber dann vor Gericht von „abwechselnder Sinnesverrückung”. Vom Vorsitzenden auf diesen Widerspruch aufmerksam gemacht, sagte er „vorsichtshalber”, der Angeklagte habe in verminderter Zurechnungsfähigkeit gehandelt. Der Prozeß wurde vertagt, um ein Fakultätsgutachten einzuholen.

Da schlug Anfang Oktober 1960 der Funkstreifenpolizist Dr. Karl W. mit der Faust auf einen Autolenker ein, dessen Wagen in zweiter Spur neben ihm hielt, und ohrfeigte dann einen Augenzeugen, der ihm gefolgt war, um ihn verhaften zu lassen. Kurz darauf wurden gegen ihn bereits „Disziplinarmaßnahmen” ergriffen: er wurde „strafversetzt” zum — Rayonsdienst.

Im Zusammenhang mit diesen jüngsten Vorfällen fragte der Reporter einer Wiener Tageszeitung einen zuständigen Polizeioffizier über das Disziplinarverfahren und erfuhr von ihm unter anderem: „Es gibt Fälle, wo die Disziplinarkommission noch viel strenger gegen den Beamten urteilt, als es das Gericht tun würde . . Die Strafen, die verhängt werden können, sind: Verweis, Verwarnung, Geld strafen, Versetzung oder Entlassung.”

Nun mag es auf Anhieb scheinen, als wären diese Strafen eher sehr mild. Ein Gericht kann doch wegen schwerer körperlicher Beschädigung Kerker bis zu fünf Jahren, wegen leichter körperlicher Beschädigung Arrest bis zu sechs Monaten, wegen Mißbrauch’ der Amtsgewalt schweren Kerker bis zu fünf Jahren verhängen?!

Aber tatsächlich ist es so. daß Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes den ohnehin schon weitherzigen § 331 über „Bestrafung der öffentlichen Beamten, Diener, Wachen und so weiter, die sich in Ausübung ihres Amtes oder Dienstes tätliche Beleidigungen ..erlauben”, so interpretiert haben! daß fast ledweder Mißgriff eines öffentlichen Beamten datMlter- fällt . — ‘wenn .sich nicht der mitbeteiligte Zivilist durch eine Abwehrreaktion wie auch nur instinktives schützendes Handaufheben des Verbrechens der ,,Handanlegung oder gefährlichen Drohung gegen obrigkeitliche Personen in Amtssachen” schuldig macht. Der Richter, der den in unserem Fall vom 31. Oktober 1960 erwähnten jungen Mann zu sechs Wochen bedingtem Arrest verurteilte, war also keineswegs ein verbohrter Paragraphenreiter, sondern ein äußerst humaner Richter, der mit bewundernswertem Geschick die Klippen der Paragraphen 81 und 82 umschiffte. Denn er hätte „einen solchen Verbrecher” (§ 82) ebensogut zu einem Jahr Kerker verurteilen können

So ist es also nicht immer klar, wo die Ursache liegt, wenn Gerichtsverhandlungen gegen Polizeibeamte njit-unter so überaus merkwürdig ausgehen: teilweise liegt es an veralteten Paragraphen des Strafgesetzes, teilweise an der Rechtsauffassung, daß man durch eine Verurteilung von einzelnen Exekutivbeamten die ganze Exekutive in Mißkredit bringe (genau das Gegenteil ist der Fall), teilweise ist es ein falsch verstandener „Korpsgeist”. Die zweifellos richtige Auffassung hatte jener Polizeifunktionär, der unmittelbar nach dem Fall des „Amokfahrers” erklärt hatte, der Revierinspektor habe eine strengere Strafe zu gewärtigen als jeder gewöhnliche Staatsbürger, „weil man von einem Beamten besondere Korrektheit erwartet, auch wenn er sich nicht im Dienst befindet”.

Diese Korrektheit erwartet man zweifellos mit Recht und un?’ re Exekutive erfüllt diese Erwartung aveh: Von rund 23.000 Polizeibeamten und

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