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Neonazi-Polizisten hielten vor jüdischen Einrichtungen Wache

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Das neue Buch von Hans-Henning Scharsach, der sich bereits mit „Haiders Kampf” einen Namen machte, hat ein Haupt- und ein Nebenthema. Hauptthema sind die personellen und ideologischen Querverbindungen zwischen Jörg Haiders Partei und dem Lager der gewaltbereiten Neonazis. Auch derjenige, dem Scharsach darüber grundsätzlich nichts Neues sagt, findet viele neue Details und ist von der geballten Ladung einschlägigen Materials beeindruckt. Doch noch viel mehr hat es, leider, das Nebenthema in sich.

Der Titel „Haiders Clan - Wie Gewalt entsteht” wird voll eingelöst. Hie eine F-Partei, in der zwar etliche (die aber bei ihm nichts mehr zu suchen hätten) mit dem gewaltbereiten rechten Rand sympathisieren, dort dieser Rand, dazwischen ein trennender Graben - so läßt es Haider gern erscheinen, aber so ist es eben nicht.

Vielmehr verschwimmen am rechten Rand der F, oder der FPÖ, oder wie immer dieses Lager sich heute gerade nennen mag, die Grenzen zwischen der braven, verfassungstreuen Parlamentspartei und den Sympathisanten der Gewalt, bei denen es nicht immer bei der Sympathie bleibt. Scharsach bringt Belege für die vielfältigen personellen Verflechtungen und Verfilzungen zwischen gewaltabstinenten Ex-, Viertel- und Halb- und gewaltbereiten Vollnazis bei, und er weist die enge Verflechtung des verbalradikalen mit dem gewalttätigen Neonazitum nach.

In Zeiten wie diesen kann dies nicht oft genug betont werden. Das Buch ist auch deshalb so aktuell, weil immer mehr Leute, die sich von den beiden „großen” Parteien verkauft und verraten fühlen, zu Haider überzulaufen drohen. Menschen, die empört sind, weil all jenen, die mehr als 70.000 Schilling monatlich verdienen, beim Schnüren des Sparpaketes nicht einmal der kleine Finger eingezwickt wurde. Oder Tausende jener, die gerade jetzt gegen ihren Willen aus dem Arbeitsprozeß in die Früh-pension abgedrängt werden und dafür noch mit einem Pensionsabzug bestraft und als „arbeitsunwillig” abgestempelt werden sollen.

Für alle, die jetzt „freiwillig gegangen werden”, alle, die den mit diesem Budget kaum zum Stillstand gekommenen Sozialabbau bezahlen, gehört schon eine ganz schöne Portion politischer Gefestigtheit dazu, sich nicht in Haiders Protestwählerschar einzureihen. Gestandene Demokraten werden es nicht tun, aber wieviele gestandene, gegen Haßparolen und dumpfe Emotionen wirklich resistente Demokraten hat denn dieses Land? Damit sind wir beim zweiten, nicht ganz so offen ausgeschilderten Thema von Scharsachs Buch.

Das gewaltbereite Nazilager Österreichs hat nämlich nicht nur einen diffusen, durchlässigen Band zu Haiders rechten Mannen und Maiden, sondern einen zweiten, dessen Durchlässigkeit und Unübersichtlichkeit mindestens ebenso gefährlich ist.

Es ist der Band vor allem zu Exekutive und Justiz, aber auch zu den Großparteien, die einen guten Teil der langen Zeit, in der sie tatsächlich noch Großparteien waren, die falschen Signale gegeben haben. Die Fakten und Indizien bei Scharsach, aus denen die Durchlässigkeit dieses Randes hervorgeht, können einem tatsächlich Angst machen.

Und zwar, um es deutlich zu sagen: Mehr Angst vor Teilen der Exekutive als vor der Justiz, die offenbar in einem Lernprozeß begriffen ist.

Und wenn der rechte Rand der Haider-Partei noch so tief in deren Zentrum reicht: Noch viel beunruhigender ist der zweite Rand. Signifikante „Kleinigkeiten”: So wurde das Verfahren wegen Wiederbetätigung sowie das Disziplinarverfahren gegen einen rechtsextremen Gendarmen, der Briefe „mit deutschem Gruß” unterzeichnete, eingestellt. Seine NDP-Aktivitäten haben seiner Karriere nicht geschadet. Ein Neonazi und Mitbegründer von Norbert Burgers NDP konnte an der Handelsakademie der Wiener Kaufmannschaft ausgerechnet Staatsbürgerkunde unterrichten (mit der Beendigung seiner Mitarbeit an neonazistischen Blättern war der Fall erledigt).

Führer einer braunen Schlägertruppe besaßen eine Liste „nationaler Persönlichkeiten”, an die sie sich „im Notfall” (sprich: bei Verhaftungen) wenden konnten - darauf stand der Name eines späteren Justizministers. Ein Zeichen mehr dafür, auf welchem Schleudersitz all jene saßen, die tatsächlich glaubten, die FPÖ vom Nazirand befreien und in eine liberale Partei umwandeln zu können.

Es ist kein Beweis für die Resistenz des österreichischen Bundesheeres gegenüber braunen Kräften, daß Hans Jörg Schimanek junior zu einem Zeitpunkt, als seine rechtsextreme Einstellung im Heer längst bekannt war, die Sondergenehmigung für einen Besuch bei den österreichischen UNO-Soldaten auf dem Golan erteilt wurde. Und daß sich nachher niemand daran erinnern wollte, wie es dazu gekommen war.

Auch das Vertrauen in den Lernprozeß der Justiz stellt zum Teil noch einen Vorschuß dar. Ein Handelsgericht (!), das per Einstweiliger Verfügung befindet, der Präsident eines Strafgerichtes habe „weder Richter noch Staatsanwalt unter Druck ge: setzt”, und dies trotz der Aussage einer Richterin, der Gerichtspräsident habe sich beim Untersuchungsrichter „persönlich für Schimanek verbürgt” (worauf dieser freigelassen wurde), ist schon etwas ganz Besonderes. Ebenso wie die Tatsache, daß die Aussage der Richterin ignoriert wurde, als man die Vorwürfe gegen den Gerichtspräsidenten „intern untersuchte”.

Ein Maß für die Reife einer Demokratie ist die Freiheit ihrer Medien. Weit haben wir es gebracht: Ein österreichisches Gericht trug einer österreichischen Tageszeitung auf, Fotos eines Neonazis nur mit dessen Genehmigung zu veröffentlichen. Das der Pressefreiheit hohnsprechende Urteil ist auch nach der Verurteilung des Neonazis in Kraft.

In schweren Zeiten muß man sich auf die Justiz verlassen können. Kann man sich auf Gerichte verlassen, in denen Beweisstücke verschwinden oder den Beschuldigten ausgehändigt werden? Die berühmte Videokassette der Hitler-Geburtstagsfeier, bei der Gottfried Kussel und Hans Jörg Schimanek junior zum Sturz der Regierung aufriefen, wurde dreimal beschlagnahmt und zweimal Kussel zurückgegeben. Reim dritten Mal landete sie im Archiv. Ein Staatspolizist, dem „der Kragen platzte” (Scharsach), ließ das Video unter Umgehung dienstlicher Vorschriften der Richterin zukommen. Ein Tonband, auf dem eine falsche Aussage aufgezeichnet war, wurde auf dem Weg durch das Landesgericht gelöscht.

Auch in der Staatspolizei kam es schon vor, daß Beamte plötzlich vor leeren Tonbändern saßen. Das ist kein Wunder. Mitglieder der Einsatzgruppe zur Bekämpfung des Terrorismus (ETB) klagen über das Verschwinden von Beweismaterial aus ihren Schreibtischen. Der suspendierte und verstorbene Vorstand des Staatspolizeilichen Büros hatte in seinem Wohnzimmer ein Hitlerbild hängen. Als er untragbar wurde, machte man ihn zum Chef der Fremdenpolizei (!).

Nazipolizisten verbreiten amtsintern Flugblätter mit Drohungen gegen „die Begierung ... aus Freimaurern und Juden bzw. Judenstämmlin-gen”. Niemand kennt, viele flüstern den Namen des Autors. Passagen erinnern an das Bomben-Bekennerschreiben der „Bajuwarischen Befreiungsarmee”. Polizisten, die Nazikollegen auf die Schliche kommen, behalten ihr Wissen besser für sich.

Wen wundert es da noch, wenn von der niederösterreichischen Kriminalabteilung ins Innenministerium geschickte Aktenkopien nicht beim Minister, sondern bei Jörg Haider landen? Wen wundert es, wenn rechtsextreme Tagungsteilnehmer, die eine Verhaftung verhindern, nicht angezeigt werden? Wen wundert es, wenn die Fingerabdrücke auf einer Briefbombe gegen Madeleine Petrovic nicht ausgewertet, wenn Drohbriefe verschlampt, Bekennerbriefe ohne Verständigung des Adressaten „sichergestellt” und dem Innenminister wichtige Informationen vorenthalten werden, wenn Rechtsextremisten in ihren Zellen einander Briefe schreiben, in denen von der Bildung „terroristischer Kleinzellen” die Rede ist?

Wen wundert es, wenn Gendarmen, die am Stammtisch über „Zigeuner-gersindel” schimpfen, gegen Zigeunermörder ermitteln und wenn Polizisten, die an Feiern zu Hitlers Geburtstag teilnehmen, zum Schutz jüdischer Einrichtungen eingeteilt werden?

Scharsach zitiert den Ausspruch eines Wiener Anwalts: „Ruf niemals um Hilfe, es könnte die Polizei kommen!” Ein als freiheitlicher Bezirksrat und Haider-Leibwächter bekannt gewordener Polizist verrenkte bei der Tropenholz-Demonstration im März 1993 vor dem Parlament einem Umweltaktivisten die Hand, bei einer Wahlveranstaltung verletzte er gemeinsam mit einem anderen F-nahen Polizisten einen F-kritischen Bäckerlehrling so schwer, daß die örtlichen Gendarmen Anzeige erstatteten.

Ganz schlimm erging es dem Buchautor Wolfgang Purtscheller, der braune Aktivitäten in Wiener Wachzimmern aufgedeckt hatte. Er wurde zufällig Zeuge einer Amtshandlung gegen Ausländer, attackierte - nach deren Darstellung - fünf Polizisten und fügte sich dabei selbst Seiten- und Kreuzbandrisse und eine Meniskus-Absplitterung zu. In Hamburg führte ein Übergriff gegen einen Journalisten immerhin zum Rücktritt des Innensenators. Der Wiener Fall ist noch offen.

Die Wurzeln des österreichischen Nazi-Übels liegen in der Nachkriegszeit. Wahr ist: die Nazis waren ein Wählerpotential, um das keine Partei herumkam. Daß sich dabei ÖVP wie SPÖ auch gleich in Milde gegen Massenmörder, KZ-Kommandanten, Gestapo-Folterknechte, Diebe und Räuber überboten, führte - nach meiner, des Rezensenten Ansicht - zur Verwischung der Grenzen zwischen Mitläufern, Bonzen und Unmenschen, zur großen Vermanschung von Gesinnung und Verbrechen.

Das Ergebnis hat Hans-Henning Scharsach in seinen bislang zwei Büchern in erschütternder Dichte dokumentiert. Ich glaube nicht, daß es schicksalhaft so kommen mußte. Wenn es einen anderen Weg gab, haben ihn unsere ruhmbedeckten Großparteien verspielt. Sie redeten von Milde für die kleinen und Härte gegenüber den großen Nazis, die Praxis lief fast aufs Gegenteil hinaus. Aber mit Feigheit und Lügen verarbeitet man eben keine Vergangenheit. Darum fällt sie jetzt nur so härter auf uns zurück.

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