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Später Nachruf

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Rudolf Chvatal war weder jüdischer Abstammung noch politisch besonders interessiert; er war damals achtzehn Jahre alt, in Wien geboren und aufgewachsen, aber wie sein Vater, ein kleiner Flickschuster, tschechischer Staatsbürger. Er war mit Begeisterung „Pfadfinder“. Ein braver Sohn, das einzige Kind, guter Schüler, musterhafter Lehrling bei „Gebrüder Kunz“, der es dann bald zum Füialleiter in Klagenfurt und Baden brachte. Wenn er, nach acht Uhr abends, in sein Untermietzimmer zurückkam, lernte er für die Matura; er war ehrgeizig und seine einzige Erholung fand er auf Wanderungen in den Bergen. Als der Krieg ausbrach, mußte er, als Ausländer, nicht einrücken. Trotzdem gefiel es ihm offenbar nicht sehr gut im „Dritten Reich“, denn im Jahr 1941 beging er die große Unvorsichtigkeit, bei den „Boy scouts“, den amerikanischen Pfadfindern, anzufragen, ob sie ihm zur Ausreise behilflich sein könnten. Die Antwort war strikt ablehnend, aber sie war durch die Zensur gegangen, wie jeder Auslandsbrief. Dieser Versuch wurde später als Indiz hochverräterischer Gesinnung gewertet.

Am 10. Juli 1944 stand plötzlich im Geschäft ein ehemaliger Lehrling vor ihm und flehte um Hüfe: er war als „Widerstandskämpfer“ verhaftet worden und aus dem In-quisitenspital ausgebrochen, nun müsse er im „Untergrund“ leben. Rudi griff in die Lade und gab ihm rasch ein paar Lebensmittelmarken. Der Bursch entfernte sich, draußen erwartete ihn schon die Gestapo. Auch Rudolf Chvatal wurde vom Fleck weg verhaftet

Vor mir liegt ein Päckchen seiner Briefe an die Eltern, einige „offizielle“ mit dem Zensurstempel, viele geschmuggelte. Dies war eine der Absurditäten der Gewaltherrschaft; ein junger Mann, des Hochverrats verdächtig, worauf die Todesstrafe stand, wurde bald nach der Ubrstellung ins Landesgericht im Außendienst eingesetzt, konnte nicht nur mühelos Briefe weitergeben, sondern sogar von seiner Mutter in der Werkstatt heimlich besucht werden! Wie hätte er da den Ernst der Lage erkennen sollen? Er bittet seine Eltern, dem Anwalt Gutachten seiner Vorgesetzten über sein tadelloses Verhalten, seine patriotische Gesinnung, die korrekte Durchführung aller Kriegsverordnungen zu überbringen und zu betonen, daß er immer „allen Gerüchten entgegengetreten“ sei. Aber der Anwalt scheint ihnen von Anfang an wenig Hoffnung gemacht zu haben, da die Sache vor den Volksgerichtshof kommen werde.

Rudi versucht, die Eltern zu trösten, seinem Mädchen läßt er sagen: „Wenn ich Soldat wäre, wäre es schlechter.“ Der Überbringer der Briefe soU zur Belohnung Wein und Zucker erhalten. Manchmal bekommt er auch Schuhe von Häftlingen mit, die der Vater dann instandsetzt. Rudi beginnt, sich im Landesgericht einzugewöhnen. Er bittet um Brot, Marmelade, Seife, Verbandszeug für seine aufgeschundenen Hände, Schnürriemen und - eine Nähnadel. Den Vater bittet er um Zigaretten, „um notwendige Gefälligkeiten zu erhalten, ich bekomme als Ausländer kein Leintuch, aber mit Zigaretten geht es.“

Er beschwört die Eltern, bei Luftangriffen in den Keller zu gehen, wenn es ärger wird, Wien zu verlassen. „Kleider und alles ist egal. Alles kann man nachschaffen, dafür werde ich schon sorgen, umsonst sitze ich nicht hier, das glaubt mir.“

„Am 24.10. habe ich Verhandlung vor dem 5. Berliner Senat. Ich habe keine Angst um mein Leben. Ich teile mein Schicksal mit vielen anderen guten Menschen. Sonntag war ich wieder in der Messe. Zwei Strafgefangene Priester waren auch da Ich bin mit ganz guten Leuten zusammen. In der Verhandlung habe ich mit viel Strafe zu rechnen. Das ist alles egal, ob zehn Jahre oder zwei. Jede Strafe ist für mich bis zum Kriegsende.“ Er bittet die Mutter, dem Anwalt wieder Geld anzubieten, „400 Mark. Beleidige ihn aber nicht, sage ihm, es wäre für seine außertourliche Mühe ... Er soll und muß überzeugt sein, daß ich wirklich nicht politische Motive gehabt habe. Er ist ein SS-Mann. Er wird mich um so besser verteidigen, je mehr er überzeugt ist, daß ich kein Gegner, sondern ein Freund Deutschlands bin. Viele Bussi und keine Sorge...“

In einem der nächsten Briefe schildert er den Tagesablauf sogar mit Humor: „Früh stehen wir um sechs auf. Um sieben ist Frühstück.Dann geht es zur Arbeit. Das Mittagessen im Gasthaus ist gut, wenn auch einfach. Abends essen wir zu Hause, immer reichlich genug, seitdem wir arbeiten. Dann (wird gewaschen. Dann lesen wir die Zeitung oder in Büchern. Um acht Uhr geht das Licht aus. Dann wird noch etwas politisiert, die Kriegslage besprochen ... Wir schlafen auf Bettgestellen mit einem Strohsack und zwei Decken. Ich schlafe immer prima und genug. Noch nie habe ich so gesund und regelmäßig gelebt Das Ganze ist eine kolossale Nervenerholung! ...“ Ein andermal: „Das Wachpersonal ist hier gut und anständig, zum Unterschied vom Polizeigefängnis ... Ich wül keinesfalls immer dableiben, so gut ist es wieder nicht. Aber auch diese Seite des Lebens soll man kennengelernt haben.“ „Mit wirklichen Verbrechern kommt man gar nicht zusammen. Meist sind es kleine Sachen - Fernbleiben von der Arbeit, Schleichhandel, Diebstahl: 2 kg Nägel, dafür 6 Monate! und vor allem Fälle wie der meine. Es sind feine und gebüdete Leute hier, daß ihr staunen würdet.“ „Warum ich in der ganzen Tinte drinnen bin, werd ich Euch später erklären können. Eines wül ich Euch nur sagen, daß es Menschenpflicht war, so zu handeln, wie ich gehandelt habe.“

Er bereut seine Aufrichtigkeit beim ersten Verhör: „Ich hätte der Gestapo nicht alles sagen sollen!“

In seinem letzten Brief vom 22.10. 1944 heißt es, dies sei „ein gemeinsames Schicksal, das viele Menschen trifft“ Er hoffe „weiter Glück zu haben“, er möchte sich nach der Verurteüung in ein Landwirtschaftslager nach Göllersdorf melden, „oder hier in der Küchenverwaltung arbeiten. Bekannte hier im Haus haben für eine ähnliche Sache drei Jahre erhalten. Genau kann man es nicht sagen, dies ist egal. Vor der Verhandlung habe ich keine Angst. Dr. B. hat mir gesagt, daß ich einen netten Vorsitzenden habe“, (Es war Herr Freisler!) „Ich bin guter Dinge und frohen Mutes. Ich freue mich auf die schöne Zeit, die noch uns alle erwartet, sie kommt ganz sicher.“

Nicht für Rudolf Chvatal und seine Eltern. Am 24. 10. wurde er zum Tode verurteüt und am 5. 12. im Landesgericht geköpft. Aus der Zwischenzeit liegt kein Brief vor.

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