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Mutter vieler Gestrauchelter

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Im Bewußtsein der meisten sind die Stars die wichtigen Personen. Menschliche Größe tritt aber meist nicht ins Rampenlicht der Öffentlichkeit. Leben wir nicht alle von der Größe dieser „Kleinen"?

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Im Bewußtsein der meisten sind die Stars die wichtigen Personen. Menschliche Größe tritt aber meist nicht ins Rampenlicht der Öffentlichkeit. Leben wir nicht alle von der Größe dieser „Kleinen"?

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Würde mich jemand nach einem Menschen fragen, der mich wirklich beeindruckt hat, so fiele mir spontan der Name Hermine Müller-Hofmann ein. Was hat diese Frau in ihrem Leben nicht alles an Gutem getan! Mittlerweile hoch in den Achtzigern hat sie sich zwar vor einem halben Jahr auch aus ihren letzten Aktivitäten zurückgezogen. Aber auf welch reiches Wirken kann sie zurückblicken!

In eine jüdischen Familie geboren - ihr Vater war Chirurg - war sie wohlbehütet, aber areligiös aufgewachsen. Nach dem Lyzeum ist sie in eine Kunstgewerbeschule gegangen. öfters nahm ihre irische Gouvernante sie sonntags in die (auch heute noch wegen ihrer Kirchenmusik bekannte) Augustinerkirche mit, ohne ihr allerdings je etwas über Sinn und Zweck der Messe zu erklären. Kunst und Musik ersetzten der Familie, wie so vielen anderen damals, die Religion.

Mit 20 hat sie geheiratet: einen Professor der Kunstgewerbeschule. Da ihr Mann ein religiös Suchender war, begann auch sie sich für den Glauben zu interessieren. Damals liest sie zum ersten Mal die Evangelien.

Bald kommen Kinder: zwei Söhne. „Unsere Buben waren getauft", erinnert sich Müller-Hofman, „und wir gaben sie ins Schottengymnasium. Eines Tages kam dann die Frage, warum nicht auch ich getauft sei. Und da ließ ich mich einfach taufen. Damals war ich 33 Jahre alt."

Dann kam die Katastrophe der Hitler-Jahre: „Wenn dann plötzlich alles zusammenbricht, merkt man erst, wo die Wahrheit und das Leben ist," blickt Müller-Hofmann heute auf das zurück, was ihr in dieser schweren Zeit Kraft gegeben hat. Die Kinder schickt sie während des Krieges zu ihrem Bruder nach Stockholm. Sie und ihr Mann aber bleiben in Wien - bis die Verfolgungen beginnen. „Dann waren wir nicht mehr in Sicherheit. Mein Mann durfte die Akademie nicht mehr betreten. Er hat nie einen Hehl daraus gemacht, was er von den Nazis gehalten hat." Gefährdet war das Ehepaar ja auch wegen ihrer Abstammung. Und so tauchen die beiden während des Krieges in einer Sommerwohnung am Chiemsee unter.

1946 zurück in Wien wird ihr Mann rehabilitiert, stirbt aber schon 1948.

Damals begann für sie ein neuer Lebensabschnitt, der vom Engagement für andere Menschen gekennzeichnet werden sollte. Sie hatte anfangs keine klaren Vorstellungen, was sie tun könnte und wollte einfach etwas für die Kirche tun. Außer Kuverts schreiben und Kirchensteuer einmahnen, fand man jedoch zunächst nichts für sie. „Das hat mir aber gar nicht zugesagt. Ich hatte einfach auch zuviel Verständnis für die Leute und wollte sie gar nicht mahnen. Ja ich habe sogar eher ihre Partei ergriffen." Erinnert sie sich an ihre ersten Aktivitäten.

Über die „Legio Mariae" findet sie dann zu jener apostolischen Arbeit, die sie dann Jahrzehnte hindurch in verschiedenen Formen ausüben wird. Zunächst einmal wird sie bei Hausbesuchen von der Pfarre aus eingesetzt. Ob das schwierig und unangenehm war? Keineswegs, meint sie: „Das war sehr schön - auch bei Leuten, die keinen Glauben hatten. Die Menschen waren nach dem Krieg ganz anders. Wir hatten viele gute, interessante Gespräche, auch über persönliche Probleme und Glaubenszweifel. Die meisten Leute waren offener, aufnahmebereiter. Sie waren irgendwie noch berührt von dem, was sie im Krieg erlebt hatten. Oft ist man sich in solchen Gesprächen sehr nahe gekommen. Allerdings haben sich solche Gespräche nach den sechziger Jahren bedingt vor allem durch Fernsehen und Wohlstand mehr oder weniger aufgehört. Heute sind solche Kontakte sehr schwierig geworden".

Eine weitere Aktivität bestand in ihrer Mitarbeit in einem Heim für Prostituierte, „für solche Frauen, die damit aufhören wollten." Das erforderte ein Engagement rund um die Uhr. Auch das sei eine schöne Tätigkeit gewesen, erzählt Müller-Hofmann. Aber auch hier habe der wachsende Wohlstand die Wirkungsmöglichkeiten stark verringert, stellt sie rückblickend fest.

Viele Jahre hindurch hat sich Hermine Müller-Hofmann auch den Blinden gewidmet: „Wir haben sie im Heim besucht, mit ihnen Ausflüge gemacht - auch Wallfahrten organisiert." Oft war sie mit den Blinden auch unterwegs, wenn diese Wege zu erledigen hatten oder Besuche machen wollten: „Damals habe ich noch ein Auto gehabt, mit denen ich sie hin- und herführen konnte."

Und schließlich fand sie zu jenem Tätigkeitsbereich, dem si%die vergangenen Jahrzehnte in besonderem Maß gewidmet hat: der Betreuung Strafentlassener.

Zuerst hat sie gezögert, sich dieser Aufgabe, die man ihr ans Herz gelegt hatte, zu widmen. Anton Eder, damals als Seelsorger im Landesgericht für Strafsachen in Wien tätig, war aber ganz begeistert. Er hatte schon lange auf eine Unterstützung durch engagierte Laien gewartet. Er erinnert sich heute: „Sie schickt der Himmel, habe ich ihr damals gesagt." Allein aber konnte sie diese Aufgabe nicht übernehmen und so machte sich Müller-Hof mann auf die Suche, um weitere Mitarbeiter für ihr neues Unternehmen zu gewinnen, Rektor Eder in seiner Seelsorgearbeit zu unterstützen. Und welche Aufgaben konnten sie als Anfänger übernehmen? „Wir haben Leute im Landesgericht und - falls diese es wollten - auch deren Angehörige besucht, waren mit ihnen in Briefkontakt," berichtet sie von ihren ersten, schon recht beachtlichen Bemühungen.

Bald erwies sich aber die Einrichtung eines Heimes für solche, die aus dem Gefängnis entlassen wurden und ohne Mittel und Hilfe dastanden, als dringend notwendig. Ein erstes Heim entstand in der Fischerstiege in Wien. Ein Jahr später, 1970 bezogen die Mitarbeiter der „Legio Mariae" mit Rektor Eder ein weiteres Heim in Wien-Breitensee. Dazu Eder, jetzt übrigens Pfarrer von Stockerau: „Also, das war ja zuerst eine richtige 'Wanzenburg'. Frau Müller-Hofmann und die anderen haben dort von Anfang an jede Arbeit gemacht. Keine haben sie abgelehnt. Niemand hätte das dieser zarten, aristokratisch wirkenden älteren Dame zugetraut. Sicher hat sie in ihrer Jugend nie ähnliches machen müssen."

„Wir haben Leute im Landesgericht und deren Angehörige besucht"

Und Müller-Hofmann: „Wir haben gekocht, aufgeräumt und vor allem mit den Leuten gesprochen. Es herrschte dort ein sehr familiäres Verhältnis", erinnert sie sich. Damals habe ich Frau Müller-Hofmann kennengelernt, weil ich selbst auch einige Jahre hindurch in diesem Heim mitgearbeitet habe. Ich kann mich noch gut erinnern, daß sie und andere Frauen bei einigen der Männer im Heim - beim einen mehr, beim anderen weniger - wirklich Mutterstelle vertreten haben.

In diesem Heim für Strafentlassene waren ja überwiegend Männer untergebracht, die keinerlei Familienanschluß hatten. Wie wichtig war es da für viele, eine Anlauf stelle zu haben, wo sie ihre Sorgen, Ängste und Nöte aussprechen und damit - zumindest vorübergehend -loswerden konnten. „Die Männer sind mit vielen Problemen zu uns gekommen. Vor allem haben sie uns viel von ihrer (meist sehr schweren) Kindheit erzählt", erinnert sie sich.

Was vielleicht so ganz idyllisch klingen mag, war aber durchaus nicht immer eine leichte Aufgabe. Denn unter den Heiminsassen, waren ja keineswegs die „sanften Lämmer" in der Überzahl. Da waren ganz schön schwierige, ja unangenehme Burschen darunter. Aber die mütterliche Zuwendung der Frauen rund um Hermine Müller-Hofmann war fraglos das große Kapital dieser Einrichtung.

Das Schicksal einiger dieser Männer hat sie sogar jahrelang mitverfolgt. „Da war ein junger Mann, der nur ein einziges Mal eingesperrt gewesen und dem das schwer zu Herzen gegangen war. Aus lauter Verzweiflung hat er angefangen zu trinken. Ihm haben wir eine Arbeit verschafft. Fast immer hat einer von uns ihn von der Arbeit abgeholt, um ihn vom Trinken abzuhalten. Eine von uns hat ihn auch oft in ihre Familie eingeladen. So hat er langsam zu trinken aufgehört, Schritt für Schritt auch zum Glauben gefunden und ist später nie wieder mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Heute geht es ihm gut. Er ist ein praktizierender Katholik."

„So mancher hat sich errangen, wenn er selbst eine Familie gegründet hat. Denn - und das ist ganz wichtig - bei fast jedem war es die fehlende Familie, die fehlende Liebe bzw. große Probleme innerhalb der Familie; die die Wurzel des Übels waren. Sehr oft sind sie in Heimen gewesen, manche haben ihre Eltern gar nicht gekannt. Ich kann mich da an einen erinnern, der als erwachsener Mann noch verzweifelt seine Mutter suchte, die ihn als Kind weggelegt hatte."

Viele der Männer waren so von dieser persönlichen Beziehung angetan, daß sie noch lange, nachdem sie das Heim schon verlassen hatten, am Wochenende dorthin zum Essen gekommen sind. Eben wie in eine Familie.

Mittlerweile ist das Haus in Breitensee verkauft worden. Sie ist der Aufgabe aber auch - bis vor kurzem - im jetzigen Haus der Diözese treu geblieben.

Und wie war das mit den Enttäuschungen? Natürlich gibt es bei dieser Tätigkeit, vordergründig betrachtet, Enttäuschungen am laufenden Band. Und dennoch antwortet Müller-Hofmann überraschender Weise: „Enttäuschungen kennen wir nicht. Denn kein einziges Wort und keine Bemühung gehen jemals verloren. Wir wissen nicht, wann etwas aufbricht. Das hat uns einmal Rektor Eder gesagt. Und es stimmt." Wer die Dinge so zu sehen gelernt hat, ist wirklich ein reifer, ein großer Mensch geworden. Und so sieht auch Pfarrer Eder diese zarte, alte Dame: „Ihr Einfühlungsvermögen in diese hilfsbedürftigen Menschen war enorm. Wichtig ist ihr immer der einzelne Mensch gewesen. Ich halte sie für eine der stillen, unbekannten Heiligen in dieser Zeit, außergewöhnlich in ihrem Einsatz für die Mitmenschen und mit einer echten marianischen Frömmigkeit. Sie hat zwar keine offensichtlichen Wunder gewirkt aber das „ Kleine ", das sie macht, wird unter ihren Händen außergewöhnlich groß."

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