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Fur sie ist das Geschichte wie Napoleon

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FURCHE: Ihr Buch schließt mit dem Jahr 1945 — vielleicht hätte man es vor zehn Jahren nicht für möglich gehalten, daß ein Buch mit Erinnerungen an den Widerstand gegen Hitler 1976 noch Interesse finden würde. Tatsächlich ist dieses Thema, einmal ganz abgesehen vom Autor, heute virulenter denn je. Worauf führen Sie das zurück?

MOLDEN: Heute wächst eine Generation heran, die nach 1950 edler gar nach dem Sbaatsvertrag geboren wurde. Die Menschen, die heute die Hörsäle bevölkern, die heute einen Beruf ergreifen, wissen überhaupt nichts von damals, sie wissen nicht einmal mehr etwas von den Nachkriegswir-kungen. Sie haben nicht einmal, wie die Generation unmittelbar vor ahnen, unter dem Hunger der Nachkriegsjahre gelitten und noch die Russen miterlebt, sie wissen überhaupt nichts. Für sie ist das alles Geschichte wie Napoleon.

FURCHE: Kann man sagen, daß diese Generation auch von der Schuldproblematik der Eltern nicht mehr belastet ist?

MOLDEN: Diese Generation ist davon überhaupt nicht belastet. Ich selbst habe Kinder der verschiedensten Altersstufen, die Zwanzigjährigen und ihre Studienkollegen sind in keiner Weise von irgend etwas dieser Art belastet, schon gar nicht von irgendwelchen Schuldproblemen, und der Konflikt Deutschland-Österreich ist ihnen ein völliges Rätsel. Aber es ist ihnen auch völlig unvorstellbar, daß da Bomben explodiert sind daß Wien jemals zerstört war, das alles ist ihnen völlig fremd

FURCHE: Aber als Kinder haben sie davon gehört?

MOLDEN: Sie haben es so gehört, wie ich von meinem Großvater gehört habe, daß er Augenzeuge der Schlacht von König-grätz war. Deshalb habe ich mir aber noch lange keine Schlacht vorstellen können. Diese heutige junge Generation ist meiner Ansicht informationshungrig. Im Zuge der nostalgischen Haltung ist jetzt plötzlich Interesse für die Frage erwacht: Was war eigentlich in den fünfzig Jahren, bevor wir auf die Welt gekommen sind? Über die alte k. u. k. Welt haben sie sehr viel offeriert bekommen, auch über das alte Deutschland, über die Welt vor 1914. Über die Zeit von 1918 bis 1945 und zum Teil bis 1955 haben sie wenig gehört, und das Wenige war oft so fachlich verkleidet, daß es gar nicht an sie herangekommen ist. Dafür besteht jetzt lebhaftes Interesse.

FURCHE: Hätten Sie Ihr Buch auch ohne dieses Interesse geschrieben?

MOLDEN: Eigentlich habe ich es für meine Kinder geschrieben, weil ich denen so viel erzählen mußte und weil ich ihre Augen beobachten konnte, wenn sie wissen wollten, wie war das im Krieg, wer waren die „Vaterländischen“, wer waren eigentlich die „Nazis“, ich wollte also versuchen, der neuen Generation ein Bild der Zeit zu geben, in der ich als Kind gelebt habe.

FURCHE: Ihr Buch beginnt tief in der Zwischenkriegszeit...

MOLDEN: Ja, das erste Drittel behandelt Kindheit und Bluben-zeit in Wien, das ja um ein Haar noch Kaiserstadt gewesen ist. Ich bin 1924 geboren, aber in meine Bubenzeit hat das alles noch hineingespielt. Der Großpapa war Adimliral, der Großonkel Gouverneur in der Bukowina, Verwandte haben in Ungarn und Kroatien gelebt, Cousins sind aus Steinamanger in ungarischer Kadettenuniform zu Pfingsten zu uns zu Besuch gekommen, die 1918 versunkene Welt war damals noch sehr stark da. Dann kamen die Jahre von 1934 bis 1938, der Bürgerkrieg 1934 hat mich auf der Hohen Warte beim Fußballspielen erwischt, da haben sie plötzlich Kanonen aufgestellt und den Karl-Marx-Hof beschossen. Plötzlich tauchten Begriffe wie Nazi und Niehtnazi auf, und das Jahr 1938 riß mich aus einer behüteten Kinderwelt heraus. Mein Vater verhaftet, mein Bruder verhaftet, die Mutter geschlagen, das waren starke Eindrücke für einen Dreizehnjährigen, plötzlich war man vor Entscheidungen gestellt. Ich erinnere mich noch an die Kristallnacht im Oktober 1938, ich sehe noch vor mir die Synagoge brennen, dann habe ich bei der berühmten Kundgebung auf dem Stephansplatz 1938 mitgemacht, plötzlich das Gefühl, daß man zusammengehörte, ganze Gruppen, die Niehtnazi waren, dann das langsame Hineingleiten in den Widerstand... Daß es eine Zeit gegeben hat, in der es honorig war, im Gefängnis zu sitzen, wenn auch nicht angenehm — das alles habe ich versucht, darzustellen.

FURCHE: Manches von dem, was hier nun endlich genauer berichtet wird, hat man vom Hörensagen gewußt — warum haben wir auf dieses Buch so lange warten müssen, warum wurde es erst nach so langer Zeit geschrieben?

MOLDEN: Erstens hat mich das Thema früher nicht so beschäftigt, und ich habe auch lange keine Zeit dafür gehabt. 1950 habe ich die reichlich vorhandenen Materialien in wesentlichen Teilen sortiert und gegliedert, ich habe damals die wichtigsten Ereignisse in Sohlagworten einer Sekretärin diktiert und Protokolle und sonstige Unteritagen in Ordnern aufgehoben. Dann habe ich wieder darauf vergessen, aber in den letzten Jahren, da mich immer mehr junge Menschen nach den lange zurückliegenden Geschehnissen gefragt haben, haibe ich mir gedacht, halte einen Vortrag, berichte, oder vielleicht sollte man das alles doch einmal aufschreiben. Voriges Jahr zu Weihnachten habe ich begonnen, das Manuskript auf Tonband zu sprechen, und zu Ostern war es fertig.

FURCHE: Es handelt sich also um ein „erzähltes“ Buch?

MOLDEN: Ja, ein feuilletoni-stisoh geschriebenes, ein belletristisches Buch. Es kann keinen Anspruch auf zeitgeschichtliche oder wissenschaftliche Exaktheit erheben, das einzige, was ich sagen kann, ist: Alles, was drinnen steht, stimmt zumindest subjektiv gesehen, es mag sein, daß ich mich da und dort an eine kleine Einzelheit nioht ganz exakt erinnert habe, aber im wesentlichen sollten alle Fakten stimmen Um die Lesbarkeit nicht zu beeinträchtigen, habe ich auch keine Anmerkungen angebracht — dafür enthält es ein ausführliches Namensregister am Ende.

FURCHE: Die wenigen Kapitel, die man bisher lesen durfte, versprechen vor allem ein atmosphärisch außerordentlich dichtes Buch, ein Buch, das zwar auch berichtet, was, vor aüem aber, wie es gewesen ist — ein Buch, das vor allem sehr viel österreichische Atmosphäre vermittelt.

MOLDEN: Ja, und auch ein bisserl von der Umgebung Österreichs, es spielt ein Stüokerl in Rußland, ein Stückerl in Frankreich, etliche Stückerln in Deutschlamld, etliche Stückerln in Italien und der Schweiz. Und es endet ganz bewußt mit dem Winter 1945/46, denn da sind auch diese zwei Helden, die eigentlich einer sirid, eben mit zwei Seelen, einer schwachen und einer etwas weniger schwachen, am Ziel.

FURCHE: Wir werden also die Erinnerungen eines Verlegers lesen, die lange vor dem Beginn seines verlegerischen Daseins abbrechen. Ich könnte mir vorstellen, daß Ihr Leben noch eine zweite Autobiographie brauchen wird, denn auch Verleger haben ja viel Interessantes zu erzählen. Kündigt sich das wenigstens als Vorahnung an?

MOLDEN: Das vorliegende Buch ist jedenfalls abgeschlossen, der Fepolinski und Waschlapski verschwindet am Schluß wieder in der SChreibtischlade seiner Mutter, da gibt es keine Fortsetzung. Den gibt es nicht mehr, der ist quasi verstorben. Ob ich später noch einmal ein Buch schreibe — also, da muß ich vorher überhaupt meinen Verleger fragen, ob er es nehmen will, und zweitens habe ach schon lange genug gebraucht, ehe ich mich entschlossen habe, dieses Buch zu schreiben, dann habe ich es schnell geschrieben, ich bin froh, daß das vorbei ist, jetzt werde ich mich auf meinen Lorbeeren ausruhen und der Tätigkeit widmen, der ich mich ja eigentlich widmen soll, nämlich dea Bücherverlegens.

Mit Fritz Molden sprach FUR-CHE-Redakteur Hellmut Butterweck.

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