"Sterben oder schreiben"

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Josef Winkler ist einer der wichtigsten österreichischen Gegenwartsautoren. Er schrieb tausende von Seiten über "sich in Kärnten", einem Land mit hoher Selbstmordrate, aber auch über Beobachtungen in Varanasi. Im neuesten Buch "Roppongi" führt er beide Welten zusammen. Im Furche-Gespräch gibt er Auskunft über sein Schreiben.

Die Furche: Meine Mutter erzählte mir, als junger Mann saßen Sie oft mit der Schreibmaschine am Ufer des Wörthersees …

Josef Winkler: In der Anfangszeit genoss ich die emotionale Begleitung durch die Maschine sehr, das Reintippen, das Schreiben als körperliche Arbeit. Jetzt spürt und hört man fast nichts mehr. Wenn ich unterwegs bin, schreibe ich überall. Einmal habe ich auf einer fünf Stunden langen Autofahrt von Delhi nach Tschaipur alles beschrieben, was ich gesehen habe, was draußen so vorbeigeflitzt ist.

Die Furche: Ist Ihre Art zu schreiben von der "ecriture automatique" der Surrealisten beeinflusst?

Winkler: Die bildhafte Literatur der französischen Existenzialisten und Surrealisten interessierte mich schon sehr früh. In der Zeit, in der ich zu lesen begann, suchte ich diese Bilder. Bei Peter Handke tat sich für mich eine ganz neue Welt auf. So hat vorher noch keiner geschrieben. Dem habe ich mich sehr nahe gefühlt. Kurz bevor ich zu schreiben begann, entdeckte ich die bildhafte südamerikanische Literatur. Die war Schreibantriebskraft für mich. Kleine lyrische Prosa interessierte mich sehr, keine knorrigen Romane. Für mich als Leser war damals schon klar, dass hinter einem Buch eine ganze Existenz stehen muss. Bücher, die mich nicht schreckten, legte ich auf die Seite und suchte Bücher, die mich verwirrten.

Die Furche: Ihr Beobachten und Beschreiben ist doch eher eine journalistische Methode?

Winkler: Viele Dinge nehme ich als Bild sehr schnell auf. Das ist schon anstrengend, wenn man im Auto das Notizbuch die ganze Zeit am Schoß hat. Ich schreibe beim Stehen, beim Gehen, oder ich setze mich an den Straßenrand und schreibe etwas auf. Das genieße ich sehr. Ich schreibe nicht mit den Händen allein, sondern auch mit den Füßen. Ich versuche gleich ausführlich und in langen Sätzen ganz genaue Bilder zu schreiben. Keine Stich-Wörter, die tun weh. Ich muss schnell schreiben, und dann verkürzen sich die Sätze wegen der Einzelheiten. Beim Einäscherungsplatz in Varanasi habe ich Hunderte Seiten geschrieben, das waren Tausende kleiner Bilder. Dann schrieb ich meinen eigenen Einäscherungsplatz zurecht. In Indien muss man nur die Augen aufmachen, und wenn man dann so langsam ist und sein will wie ich, kann man diese Einzelheiten alle aufzeichnen. Man muss nur geduldig sein.

Die Furche: Die Surrealisten dachten, dass das automatische, nicht zensurierte Schreiben authentisch wäre.

Winkler: Die Bilder sind das Material und das mache ich zu Sätzen. Manche Sätze schreibe ich zehn-, zwanzig-, dreißigmal um. Die Authentizität gibt es dann in der Schönheit und in der Genauigkeit des Satzes. Die Bilder sind erst Skelette und Skizzen, die auch ihre Existenzberechtigung haben, aber ich wollte immer etwas Schönes daraus machen. Wie Friedrich Hebbel sagt: Jeder Satz ein Menschengesicht. Da finde ich immer neue Methoden und Formen. Und wenn man den schönsten Satz geschrieben hat, weiß man, das ist das Höchste, was man erreichen kann, man steht vor einer Mauer. Es geht nicht weiter. Auch in der Zeit, in der ich begonnen habe zu schreiben, habe ich täglich an Selbstmord gedacht. Eigentlich ist er durch das Schreiben immer hinausgeschoben worden. Das war für mich Alltag. Jahrelang, jeden Tag an Selbstmord denken. Aber dagegen kämpfen. Durch Lesen und durch Schreiben. Irgendwann war das eine Sucht, an den Tod zu denken. Einmal war es dann so weit, da habe ich es gewusst: Sterben oder schreiben. Und ich habe mich fürs Leben entschieden. Da habe ich den Satz geschrieben, als es mir dann besser gegangen ist: Plötzlich deprimiert, weil ich seit einiger Zeit keine Selbstmordgedanken mehr habe.

Die Furche: Ist das nicht eine allgemeine Stimmung in Kärnten?

Winkler: Kärnten liegt, was Selbstmord betrifft, in Österreich ziemlich weit oben. Wenn man meine Dorfgeschichten liest, und aus der Atmosphäre in meinen Büchern heraus, kann man sich leicht vorstellen, dass viele Menschen das nicht aushalten, daran zerbrechen, wahnsinnig werden und sich umbringen. Deswegen kann ich aber dieses Land immer noch nicht mit ein paar Sätzen begreifen. Das sind wiederum diese mehrere tausend Seiten, die ich über Kärnten, aber vor allem über mich in Kärnten, schreibe. Aus der Atmosphäre dieser Geschichten, und das sind vielleicht 2000 Seiten im Ganzen, kann man schon das Gefühl entwickeln, dass es da viele Menschen gibt, denen es ähnlich geht. Da hat natürlich auch das Schreckgespenst des Heiligenscheins eine Mitverantwortung. Der Druck der katholischen Kirche in den Dörfern. In meinen Büchern kann man sich davon ein Bild machen, aber nicht mehr. Diese Atmosphäre möchte ich nicht reduzieren auf einige Sätze.

Die Furche: Sie haben im Kärntner Umfeld schon eine eigene Widerstandskraft entwickelt. Das neue Buch "Roppongi" dreht sich nun um den Vater.

Winkler: Für den Vater und seine Geschwister war Krieg Abenteuer. Dieser Spruch ist irrsinnig oft gefallen: Wenn der Krieg nicht gewesen wäre, hätte ich nicht Deutschland gesehen, hätte ich nicht Holland, Frankreich, England gesehen. Dann wäre ich da geblieben mein ganzes Leben, in dem Dorf. Der Vater ist jetzt mit 99 Jahren gestorben.

Die Furche: War Ihr Elternhaus religiös?

Winkler: Ich bin froh, dass ich nicht in einem religiös oder national fanatisierten Elternhaus aufgewachsen bin. Es hat eine gewisse Rolle gespielt, aber es war keine extreme verbale Doktrin da. Der Vater hat mit dem Pfarrer gestritten. Das hat mir weh getan, weil ich dazwischengestanden bin. Der Vater hat mir oft genug zu spüren gegeben, dass er mich nicht mag. Ich bin dann meiner Wege gegangen und habe eigene Väter erfunden und fantasiert. Einmal haben wir einen besonders lieben und netten Lehrer gehabt, der ist mit dem Omnibus aus Villach gekommen. Ist er aufgetaucht im Dorf, bin ich Hand in Hand mit ihm in die Schule gegangen. Ich habe den Vater nicht bekniet und angebettelt, sondern ich bin in meiner Seele und in meinem Kopf meiner eigenen Wege gegangen. Das war mein Glück und meine Chance. Das waren eindeutige Zeichen, dass ich für die Unterwerfung nicht zu haben bin. Mein Vater hat sich auch mit anderen Bauern angelegt. Ich habe bei ihm das Streiten gelernt. Unsere Magd war taubstumm. Mit der Sprache und der Sprachlosigkeit bin ich aufgewachsen, und vielleicht ist mein Schreiben das ausgeformte Schweigen meiner Mutter, deren Familie nach dem Tod ihrer drei Brüder verstummt ist.

Die Furche: Das klingt alles sehr einsam. War da niemand anders?

Winkler: Ich hatte schon Freunde. Wir haben uns im "Kärntner Hamatl" am Ende der Tarviser Straße getroffen, da waren die Kleinkriminellen, die Schwulen, die Strichbuben drinnen, und später die Huren. Und seltsamerweise in einem hinteren Raum, da hatte der Haider die Partei aber noch nicht übernommen, da waren die FPÖler. Wir waren alle an der Theke, und die waren hinten.

Das Gespräch führte

Kerstin Kellermann.

Von Kärnten an die Ufer des Ganges

Als Kinder fürchteten wir uns ein bisschen vor ihm. Er war so groß und schlaksig und trug einen wehenden Mantel. Außerdem redete er uns manchmal an und amüsierte sich über meinen Bruder und mich, die vor der Universität Klagenfurt manchmal Stunden auf ihre Eltern warteten.

"Der Winkler!", riefen wir und flitzen davon. Auch er erinnert sich an die zwei Kinder in gelben Regenjacken, die auf dem Unigelände spielten. Mit leicht wohligem Gruseln las ich später seine Bücher über Kärnten, "Menschenkind" (1979), "Der Ackermann aus Kärnten" (1980) und Muttersprache (1982), zusammen gefasst unter dem Titel "Das wilde Kärnten". Ich wusste genau, wovon er so wortreich sprach, wobei es bei uns auf der Sattnitz mehr um Hetze gegen alles Slowenische, die Mischkulanz aus FPÖ-Wählern mit slowenischen Großmüttern, aus Größenwahn und Selbsthass ging, als um die Einschränkung der Autonomie von Kindern, Homophobie oder Provokation durch die Beschreibung der Sexualität. Später begleitete Josef Winkler seine Frau nach Rom, wo sie ihre Dissertation schrieb und "Friedhof der bitteren Orangen" (1990) entstand, und nach Indien, in dem sie geboren war und er monatelang die Einäscherungen am Ufer des Ganges beobachtete und im Roman "Domra" beschrieb. Das neue Buch "Roppongi" ist ein berührendes Requiem auf den mit 99 Jahren verstorbenen Vater (Rezension von Brigtte Schwens-Harrant siehe Furche Nr .38). Kerstin Kellermann.

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