Stavaric - © Foto: picturedesk.com / Anna Weise / SZ-Photo

Michael Stavarič: „Weil der Mensch eben der Mensch ist“

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Der Mensch agiere nicht sonderlich komplex, meint Michael Stavarič - und macht aus dieser Erkenntnis raffinierte Literatur. Ein Gespräch über Sprache und Musik, seine Vorliebe für archaische Themen und seinen neuen Roman "Fremdes Licht".

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Der Mensch agiere nicht sonderlich komplex, meint Michael Stavarič - und macht aus dieser Erkenntnis raffinierte Literatur. Ein Gespräch über Sprache und Musik, seine Vorliebe für archaische Themen und seinen neuen Roman "Fremdes Licht".

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Er schreibt Romane in unterschiedlichen Tonlagen, Gedichte und Essays sowie Bilderbücher für Kinder und Erwachsene und liebt es, vor allem auch mit jungen Leserinnen und Lesern über Literatur zu sprechen. Im Rahmen der Reihe WERK. GÄNGE sprach Michael Stavarič in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur über Sprache und Musik, seine Vorliebe für archaische Themen – und über seinen neuen Roman, der am 9. März erscheint. Im Folgenden ein redigierter Ausschnitt.

DIE FURCHE: Wenn man Ihre Texte laut liest, fällt besonders auf, dass sie sehr rhythmisch sind, dass es Refrains und Wiederholungen gibt. Und Sie setzen Signale, indem Sie zum Beispiel Liedtexte als Motto voranstellen. Das heißt, die Verbindung Literatur, also Sprache, und Musik ist bei Ihnen offensichtlich.
Michael Stavarič: Musik und Sprache sind eng miteinander verwandt, finde ich. Ich spiele zwar selbst kein Musikinstrument, aber ich sammle seit Ewigkeiten Musik und höre auch immer wieder, wenn ich schreibe, Musik dazu. Ich übernehme mitunter Motive aus der Musik, versuche, den Melodien gerecht zu werden, sie einzubauen, sie zu paraphrasieren. Ich behaupte auch des Öfteren, wenn ich mit Kindern arbeite, dass die Sprache in erster Linie eine Abfolge von betonten und unbetonten Silben darstellt. Und betont und unbetont, das ist wie das Schlagen einer Trommel in einem bestimmten Rhythmus. Darauf basieren die bei Schülern eher unbeliebten Tropen, Versmaße, Hexameter und Co. Das Tschechische hat eine völlig andere Abfolge von Silben und Betonungen und Nichtbetonungen. Beim Deutschlernen war es für mich schon als Kind erstaunlich, dass man Worte nicht gegen ihren „Grundrhythmus“ lesen kann: Wenn das Wort mit einer betonten Silbe beginnt und dann folgt eine unbetonte, kann ich es gar nicht anders handhaben. Sprache hat einen natürlichen Flow und den muss man durchs Arrangement in einen beabsichtigten Duktus bringen. Dieser wieder wird vor allem dann erkennbar, wenn man Texte laut liest. Ich würde bei jedem Buch empfehlen, sich selbst zwei, drei Seiten laut vorzulesen. Es geht auch darum, ein Gefühl für Worte zu entwickeln, wie sich diese etwa im Mund anfühlen. Das Lesen wird durchs Lautlesen zu einer haptischen Angelegenheit und diese Haptik beeinflusst wiederum den Körper, weil alles dadurch noch unmittelbarer wird. Die eigene Stimme unterstützt die Literatur maßgeblich, egal welches Buch man auch zur Hand nimmt.

DIE FURCHE: Sie sind als Siebenjähriger nach Österreich gekommen, schreiben Ihre Bücher auf Deutsch. Verändert das Ihren Blick auf die Sprache, in der Sie schreiben, und auch auf jene Ihrer Kindheit, das Tschechische?
Stavarič: Ja, definitiv. Autorinnen und Autoren, die mehrsprachig sind, haben, glaube ich, grundsätzlich einen anderen Zugang zum Schreiben, weil sie etwa auf syntaktischer und lexikalischer Ebene in der Lage sind, Vergleiche anzustellen; zwischen einzelnen Wörtern, Sätzen, Rhythmen usw.; das hat auf jeden Fall etwas Inspirierendes. Für mich ist das Tschechische stets eine reichhaltige Inspirationsquelle gewesen, sei es etwa im Hinterfragen von ganz banalen Dingen wie dem Genus eines Wortes, weil dieser im Tschechischen nun einmal anders gehandhabt wird als im Deutschen. Dann kann man sich folglich fragen: Warum gibt es diese grammatikalischen Unterschiede? Was kann das für eine zu schreibende Geschichte bedeuten? Ich habe einmal ein Buch für Kinder und Erwachsene verfasst, „Die kleine Sensenfrau“; dieses handelt vom Tod. Im Tschechischen ist der Tod grammatikalisch ein Femininum, im Deutschen ein Maskulinum. Es war schnell naheliegend, dass eine „die Tod“, wenn ich diesen Umstand in die deutsche Sprache übertrage, eine völlig andere Geschichte hervorbringen wird.

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