Weiße Eltern Schwarze Kinder Gertraud Klemm - © Foto: Privat

Für Klein und Groß

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Michael Stavarič schreibt Bücher für Kinder und Erwachsene. Hier erzählt er, warum und wie er das tut.

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Michael Stavarič schreibt Bücher für Kinder und Erwachsene. Hier erzählt er, warum und wie er das tut.

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Ich werde immer wieder gefragt, warum ich auch Kinderbücher verfasse -und die Antwort darauf fällt mir leichter, als erklären zu müssen, warum ich überhaupt schreibe.

Manchmal denke ich, das Schreiben hat mit meiner Kindheit und Jugend zu tun. Ich wuchs mit zwei Sprachen auf und musste mich sehr bemühen, Aussprache und Grammatik halbwegs zu beherrschen. Vielleicht hängt es auch damit zusammen, dass ich sehr früh eine Schreibmaschine bekam. Wahrscheinlich hat es damit zu tun, dass ich es mir angeeignet habe, genau hinzusehen -die Arbeit eines Schriftstellers ist nicht zuletzt die eines Beobachters, man achtet auf Details und versucht Themen aus dem Leben zu greifen, die man für dermaßen wichtig erachtet, dass man selbst bereit ist, Monate und Jahre seines

Lebens zu investieren (oder auch -wenn das Projekt misslingt -zu verschwenden). Bestimmt ist es die Art und Weise, wie man denkt, worüber man reflektiert, was für Assoziationsketten und Gedankengänge einen anstacheln

Die Wahrheit ist, ich habe keine Ahnung, warum ich schreibe, warum man überhaupt schreibt und sich all den Dingen aussetzt und in weiterer Folge widmet, die mit dem Schreiben zusammenhängen; doch ich weiß, es ist und bleibt (auch für einen selbst) ein Wagnis. Und bestimmt gehört auch Wagemut dazu. Und ein bisschen die Lust, etwas (auch für sich) zu gelten, ohne herrschaftlichen Allüren nachzueifern -schließlich geht es um Poesie.

Poesie setzt sich aus

"Die Poesie", hat der Dichter Paul Celan einmal gesagt, "die Poesie zwingt sich nicht auf, sie setzt sich aus." Peter Sloterdijk meint in seinen Frankfurter Vorlesungen, dass dies ein Satz ist, der Werke und Autoren an extremen Maßstäben misst. "Das Sich-Aussetzen, von dem die Rede ist, hat nicht zufällig kein grammatisches Objekt bei sich; wenn Poesie sich aussetzt, so nicht in erster Linie dem Urteil einer Öffentlichkeit, dem Lob und der Blamage durch Zeitgenossen, der Analyse und dem Missverständnis durch die Nachwelt. Die Poesie setzt sich aus, weil sie nicht weniger ist als eine Analogie der Existenz -ein objektloses, offenes Wagnis." Ich denke, hier findet sich ein Kernimpuls bzw. ein Motiv, warum man überhaupt schreibt.

Obwohl ich nicht genau beantworten kann, warum ich begann, Gedichte und in weiterer Folge "Erwachsenenbücher" zu schreiben, weiß ich doch ganz genau, warum ich beschlossen habe, mich Kinderbüchern zu widmen. Ich habe auch schon gehört, dass es einige Kolleginnen und Kollegen seltsam finden, dass einer Kinderbücher schreibt, der an sich "Romane" ausarbeitet. So seien meine Kinderbücher doch nichts anderes als Erwachsenenbücher, die vorwiegend reifere Menschen "aberwitzig" oder "spannend" finden (bestenfalls), jedenfalls seien sie für Kinder eine Zumutung. Diese könnten sich ja gar nicht wehren, weil Erwachsene Bücher für sie einkaufen und über ihr Leben bestimmen.

Dem möchte ich ein paar lose Gedanken entgegenhalten: Erstens wollte ich ganz bewusst Bücher für Kinder und Erwachsene kreieren, weil ich die Vorstellung, dass Kinder und Erwachsene gemeinsam ein Buch lesen und sich (im Idealfall) keiner von ihnen langweilt, überaus reizvoll und verbindend fand. Zweitens: Gibt es nicht auch noch das sprichwörtliche Kind im Erwachsenen, an das man sich immer wieder wenden sollte? Sei es auch nur, um daran zu erinnern, dass es auch ein Leben vor dem Erwachsen-Sein gab. Drittens: Sind Kinder nun wirklich ein Publikum, dass unmittelbarst entscheidet, ob es etwas mag oder nicht - sprich: Ein Buch, das Kinder so gar nicht anspricht, das werden sie bestimmt auch nicht lesen. Und viertens wollte ich immer auch Bücher anregen und umsetzen, die es vielleicht nicht gibt - und die ich selbst gern als Kind gelesen hätte. Mag sein, mein letzter Punkt klingt durchaus egoistisch.

Das Schreiben für Kinder (und im Rahmen von Workshops auch mit ihnen) hat noch einen weiteren Reiz. Im Unterschied zu den üblichen Erwachsenenbüchern gibt es bei Kinderbüchern einen maßgeblichen und wunderbaren zusätzlichen Impuls: die Illustration. Das Konzipieren von Buchprojekten in Bildern ist ein unglaublich spannender Arbeitsschritt; Text-und Bildebene miteinander zu verbinden, ist eine große und schöne Herausforderung, der ich mich immer öfter stellen möchte.

Zwei kreative Köpfe

Die Zusammenarbeit mit einem Illustrator bzw. einer Illustratorin ist für jemanden, der - üblicherweise - seine Buchprojekte allein ausarbeitet, mehr als nur willkommene Abwechslung. Das "Büchermachen" als einen gemeinsamen, kreativen Akt zu betrachten, ist schon ein wichtiges Momentum, zwei Köpfe und vier Augen setzen nun einmal andere Maßstäbe. Ebenso ist es überaus faszinierend, so manche seiner Ideen auf einer Bildebene umgesetzt zu wissen - etwa die diversen Protagonisten, die man zuvor gerade noch in seinem Kopf hatte. So bin ich noch ganz hin und weg, was für wunderbare "bildliche Entsprechungen" Renate Habinger, die Illustratorin meines letzten Kinderbuches "Hier gibt es Löwen", aus meinen Textwelten geformt hat (z. B. Bild auf Seite 4-5).

Abgesehen davon scheint es mir wichtig, dass es zwischen Kinderbüchern und Romanen eine hybride Form gibt, die diese beiden Schreibwelten vereint: die "Graphic Novel". Und die mich "methodisch" ebenso reizen würde wie etwa ein Film. Selbstverständlich war ich als Kind und Jugendlicher ein begeisterter Comic-Leser und habe mich unterdessen schon oft gefragt, wann diese Begeisterung ausgesetzt hat. Es scheint mir, dass Bild-Text-Lektüren üblicherweise von reinen Text-Lektüren verdrängt werden; vielleicht auch deshalb, weil das Betrachten von Bildern etwas "Kindliches" an sich hat, das man als junger Erwachsener abzulegen sucht -doch ist das eine reine Mutmaßung.

Ich selbst versuche nun schon seit Längerem, zu einem selbstverständlicheren Umgang mit Text-Bild-Geschichten zurückzukehren. Neben der Ausarbeitung von Kinderbüchern interessiert mich immer mehr die Auseinandersetzung mit bildenden Künstlerinnen und Künstlern. Insofern war es nur logisch, demnächst auch ein Text-Bild-Buch für Erwachsene zu verlegen und dieses von einer bildenden Künstlerin (Deborah Sengl) illustrieren zu lassen wenn man so will: mein erstes "Kinderbuch" ausschließlich für Erwachsene. Ob dies ein Exkurs bleibt oder ob mich dieses Buch an ähnlich gelagerte Projekte heranführt, wird sich weisen.

Die Auseinandersetzung mit Kinderbüchern lässt mich auch immer mehr die Arbeit an meinen literarischen Werken überdenken. So ist es für mich zu einer Selbstverständlichkeit geworden, mir eine Art "Storyboard" zurechtzulegen, das man (bei Kinderbuchprojekten) gemeinsam mit den Illustratoren auch tatsächlich zu Papier bringt - Seiteneinteilungen, dramaturgische Elemente, erste ästhetische Dimensionen der Figuren etc.

Wandelbare Kulissenwelt

Auch bei der "Erwachsenenliteratur" adaptiere ich immer mehr diese Arbeitsweisen. Ich skizziere meine Protagonisten und schaffe für sie in meinem Kopf eine wandelbare Kulissenwelt, ähnlich einem Storyboard, wo ich diese in verschiedene Szenerien setzen und mich in ihre Gedankenwelt einleben kann, mich in weiterer Folge gleichsam mittels "Kamerafahrten" um diese herum bewege bzw. ihnen folge.

Wenn ich meine Augen schließe, stelle ich mir Ort und Akteure so vor, als wäre ich ein Regisseur, der nur noch "Action!" zu brüllen braucht. Daraus ergeben sich dann sofort neue Ideen und Anknüpfungspunkte für die sprachlichen Entsprechungen. So gesehen hängen Sprachbilder bei mir immer mehr mit tatsächlich skizzierten oder sich im Kopf zusammenfügenden Bildwelten zusammen.

Ich habe bei der Ausarbeitung von Kinderbüchern mittlerweile einige Experimente gewagt: einerseits den gesamten Text komplett auszuarbeiten und erst dann einer Illustratorin vorzulegen (was wohl der üblichere Weg ist), andererseits aber auch nur die Idee zu präsentieren, ein paar lose Textbeispiele anzubringen, gemeinsam die ersten Bildwelten kreieren (Brainstorming) und danach erst irgendwann die zugehörigen Texte zu schreiben, die sich - das scheint mir ein wesentlicher Unterschied zu sein - noch weitaus mehr mit dem Bild verbinden. Beides hat seinen Reiz - beim ersteren Szenario wird man sich überlegen, welchen Fokus man setzt und was genau man aus dem Text für eine bildliche Umsetzung auswählt. Es ist fast ein bisschen so, als würde man Prosa zu einem Gedicht umgestalten, weil man Schwerpunkte finden muss, die zu Bildern, Metaphern transformiert werden.

Dies bringt mich immer wieder zu dem Ansatz zurück, an dessen Umsetzung mir schon seit Beginn meines Schreibens gelegen war: In meinen Büchern bemühe ich mich darum, die Geschichte (auch) mittels der Form (also Sprache) zu erzählen, mich eben nicht ausschließlich auf die inhaltliche Ebene zu verlassen. Insofern scheint mir hier ein weiterer Zusammenhang gegeben, wo sich Kinderbücher und Erwachsenenliteratur begegnen: Die Form macht die Musik. Und die Form setzt sich aus Sprache und Bild zusammen. Der Inhalt und dessen Interpretation ist eine eigene Geschichte.

Ich versuche immer wieder Kolleginnen und Kollegen aus der "Erwachsenenliteratur" davon zu überzeugen, wie sinnvoll es ist, sich mit Kinderbüchern auseinanderzusetzen -nicht zuletzt auch deshalb, weil ich davon überzeugt bin, dass sie tolle Ideen und Geschichten einbringen können, auf die viele Kinder (und Eltern) nur warten. Keinesfalls sollte man auch den Reiz von Kinderlesungen unterschätzen; ein Auditorium, das aus Kindern besteht, lässt sich in einer Art und Weise begeistern, dass einem Hören und Sehen vergehen kann. Wenn es sich begeistern lässt.

Gesellschaftlicher Wert

Oft wird Kinderbüchern nicht die Bedeutung beigemessen, die sie verdienen (Stichwort: Rezensionen in den Medien). Vor allem Illustratorinnen und Illustratoren beklagen häufig ihre Positionierung als "liebliche und gefällige Gestalter" - dabei liegt der künstlerische Wert vieler Kinderbuchillustrationen auf der Hand, es müsste eigentlich Ausstellungen in renommierten Galerien und Museen geben.

In Zeiten von Leseschwäche, Pisa-Studien, Bildungsoffensiven usw. sollte der gesellschaftliche Wert von ambitionierten Kinderbüchern (solchen, die auch einen ästhetischen und literarischen Wert haben) außer Frage stehen. Meines Erachtens kann und darf man Kinder früh an komplexe Themen wie Sprachenvielfalt, Tod, Beziehungen, Umwelt, Politik etc. heranführen; grundsätzlich an alle Themen, die sie später bewegen und beschäftigen werden. Ob Kinder, die mit Büchern von Wolf Erlbruch, Linda Wolfsgruber und Co. aufwachsen, später auch vermehrt zu belletristischen Titeln greifen, würde mich persönlich natürlich brennend interessieren -ich kann mir dies zumindest vorstellen. Und die Hoffnung stirbt zuletzt.

Michael Stavaric, geb. 1972 in Brno, lebt als mehrfach ausgezeichneter Autor und Übersetzer in Wien. Zahlreiche Bücher, unter anderem: "Gaggalagu" (2006),"stillborn"(2006), "Terminifera"(2007),"Magma"(2008),"BieBu"(2008), "Böse Spiele"(2009),"Die kleine Sensenfrau"(2010), "Déjà-vu mit Pocahontas. Raritan River"(2010),"Brenntage"(2011),"Hier gibt es Löwen"(2011)

Die kleine Sensenfrau

Von Michael Stavaric. Illustriert von Dorothee Schwab. Luftschacht 2010. 32 S., geb., € 18,50. Bild links und auf dem Titelblatt dieses BOOKLETS aus diesem Buch.

Hier gibt es Löwen
Von Michael Stavaric. Illustriert von Renate Habinger. Residenz 2011. 32 S., geb., € 14,90. Bild unten und auf Seite 4-5 aus diesem Buch.

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