Alida Bremer - © Foto: Ali el Bayâ

Alida Bremer über "Wechselhafte Jahre": Close, but no cigar

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"Frau Ü60", "Autorin", "Migrantin", "Mutter": die Literaturwissenschaftlerin, Schriftstellerin und Übersetzerin Alida Bremer schreibt über das Älterwerden. Ein Vorabdruck aus Bettina Balàkas Band "Wechselhafte Jahre".

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"Frau Ü60", "Autorin", "Migrantin", "Mutter": die Literaturwissenschaftlerin, Schriftstellerin und Übersetzerin Alida Bremer schreibt über das Älterwerden. Ein Vorabdruck aus Bettina Balàkas Band "Wechselhafte Jahre".

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Ich suchte nach einem Titel, der mein Gefühl zum Thema „Frau Ü60; spät Autorin geworden; Migrantin, die in einer Fremdsprache schreibt; Mutter zweier erwachsener Söhne“ am ehesten beschreiben könnte. Alt geworden, aber dankbar für das Wissen, das das Alter mit sich bringt. Wissen ist Macht – dieses geflügelte Wort gewinnt im Leben einer Frau mit dem Verlauf der Zeit an Bedeutung. Ich wollte über eine Frau im besten Alter schreiben, aber ich hatte noch keinen Titel.

Doch war mein bestes Alter nicht zwischen zwanzig und dreißig? Als das Spiegelbild gut gelaunt zurückblickte?

Doch war mein bestes Alter nicht zwischen zwanzig und dreißig? Als das Spiegelbild gut gelaunt zurückblickte? Bevor mein Spiegelbild in Richtung der Archetypen verrutschte, in Richtung der Urbilder der Hexen und der Matronen, der alten Weiber in Gesundheitsschuhen, der unattraktiven Geschöpfe, die ihrem Verlag besser Fotos aus jüngeren Tagen zur Verfügung stellen sollten? Ging es mir nicht besser, als ich jung war? Ich war mir damals zwar der Hindernisse bewusst, die einer Frau den Weg versperren – schließlich bin ich an der Schnittstelle zwischen Mittelmeer, Mitteleuropa und dem Balkan aufgewachsen, mehr Patriarchat ging kaum –, aber in meinem jugendlichen Übermut pflegte ich die Gedanken daran zu verdrängen. Heute empfinde ich neben ein wenig Mitleid auch tiefe Sympathie für jenes Mädchen, das an der östlichen Adriaküste ausgerechnet davon träumte, Literaturprofessorin an einer britischen oder amerikanischen Universität zu werden, Romane in englischer Sprache zu verfassen und geistreiche Gespräche zu führen. Und die glaubte, dass sie alles erreichen könnte, wenn sie sich nur genug anstrengte.

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Ich suchte nach einem Titel, der das Gefühl beschreibt, nie vollständig zu sein: in jungen Jahren voller Tatendrang, wissensdurstig, aber naiv; im Alter ernüchtert, aber nicht unzufrieden. Ich gab in die Suchmaschine „knapp vorbei ist auch daneben“ ein und fand mich in einer Internetdiskussion wieder: Ob es nicht richtiger sei zu sagen „knapp daneben ist auch vorbei“? Ich scrollte nach unten und erfuhr, dass diese Redewendung im Englischen „close, but no cigar“ heißt: „Diese idiomatische Redewendung hat ihren Ursprung in der Tatsache, dass auf US-amerikanischen Volksfesten bzw. Jahrmärkten um die Jahrhundertwende Zigarren als Preise vergeben wurden.“

Zigarren gehören in dem Essay „Ein eigenes Zimmer“ von Virginia Woolf zu den „Annehmlichkeiten“, für welche die Frauen kein Geld haben, nachdem sie es mit Mühe geschafft haben, in Oxbridge eine bescheidene Bildungsstätte einzurichten: „Kein einziger Penny blieb für ‚Annehmlichkeiten‘ übrig; für Rebhühner und Wein, Pedelle und Rasen, Bücher und Zigarren, Museen und Müßiggang.“ Den Essay las ich, als ich bereits die ersten Ernüchterungen hinter mich gebracht hatte und aus dem Kokon meiner kindlichen Naivität zu entschlüpfen begann. Rebhühner und Wein waren Begriffe aus einem Schlaraffenland, zu dem ich, das war inzwischen klar, nie vordringen würde, und zwar nicht nur deshalb, weil ich eine Frau war. Zwischen mir und dem fiktiven Oxbridge und auch allen anderen Orten mit der magischen Aura der altehrwürdigen Bildung standen so viele Hindernisse, dass mir die Erinnerung an meine Verehrung für die traditionsreichen Universitäten lächerlich vorkam; die sozioökonomische, geographische und biographische Realität hatte mich eingeholt. Es war eindeutig, dass uns Frauen auch sonst viel entgeht: „Man kann nicht gut denken, gut lieben, gut schlafen, wenn man nicht gut gespeist hat. Die Lampe in der Wirbelsäule brennt nicht von Rindfleisch und Backpflaumen.“ Nicht, dass ich verstand, was dem Rindfleisch und den Backpflaumen fehlte, die zur Verpflegung gehörten, die sich die studierenden Frauen in Oxbridge leisten konnten. Aber ich vertraute Virginia Woolf.

Die Gründerinnen jener ersten fiktiven Hochschule für Frauen konnten nur mit größter Mühe das Geld zusammenkratzen, um eine bescheidene Stätte inmitten der Pracht, die den männlichen Gelehrten vorbehalten war, aufzubauen. Warum wirtschafteten unsere Mütter so schlecht, fragt sich die Ich-Erzählerin, dass sie uns gar nichts vererben konnten? Und sie erwähnt an dieser Stelle die Mutter einer ihrer Kolleginnen, mit der sie sich in jenem ärmlichen Frauencollege unterhielt. Diese Frau habe dreizehn Kinder geboren, weshalb es wohl verständlich sei, dass sie kein Vermögen hinterließ. Doch wäre diese Mutter eine erfolgreiche Geschäftsfrau gewesen, dann hätte es ihre Tochter nicht gegeben. Dieses Dilemma ist unlösbar, solange es für das Gebären von Kindern keinen Ausgleich gibt, mit dem die wirtschaftlichen Nachteile der Mütter aufgehoben werden. „Als erstes sind da die neun Monate, bevor das Kind geboren wird. Dann wird das Kind geboren. Dann gehen drei oder vier Monate damit hin, das Kind zu stillen. Nachdem das Kind abgestillt worden ist, gehen bestimmt fünf Jahre damit hin, mit dem Kind zu spielen. Man kann Kinder offenbar nicht einfach auf die Straße schicken.“ Gleichzeitig forschten gebildete Männer zum Thema „Was ist eine Frau?“ Die Erzählerin staunt, zu welchen Aspekten des vermeintlichen Frauseins sich die schreibenden Männer auslassen; die Bibliotheken waren voll von entsprechenden Abhandlungen.

Weit entfernt von eigener Realität

Die britischen Frauen schafften es dennoch, in Oxbridge Fuß zu fassen, bescheiden zwar und ohne gute Weine und Zigarren, aber wie weit entfernt war das von meiner eigenen Realität! Nur etwas war gleich: Die Tatsache, dass eine Frau pro Kind mindestens sechs Jahre ihres erwachsenen Alters opfert, was für eine intellektuelle oder künstlerische Karriere sehr viel ist. Heute sind meine Kinder zwar keine Kinder mehr, sondern Männer mit Bärten und tiefen Stimmen, die selten anrufen und sich noch seltener blicken lassen. Das nennt sich Selbstständigkeit und gelungene Erziehung, aber auch leeres Nest, das mir das Gefühl der Verlassenheit gibt – und mir meine Zeit zurückschenkt. Als meine Söhne klein waren, las ich jede Stipendien-Ausschreibung mit Wehmut; mein erträumtes Oxbridge entfernte sich immer mehr von mir. Schwangerschaften, Stillzeiten, Kinderkrankheiten, traumatische Schulzeiten der pubertierenden Jungen – all das wurde nicht berücksichtigt, es gab keine Ausschreibung mit dem Zusatz: „Pro geborenem Kind werden Ihnen jeweils 6 Jahre angerechnet, so dass sich die ausgeschriebene Altersgrenze für Sie entsprechend verschiebt.“ In meinem leeren Nest und im Besitz meiner zurückgewonnenen Zeit begegne ich immer noch den gesetzten Altersgrenzen: Ausschreibungen für Preise für junge Autorinnen und Autoren, Stipendien für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – Höchstalter 35, Höchstalter 28, Höchstalter 40. Die Jahre, die mit den Kindern verloren gingen, werden noch immer nicht angerechnet, von den Jahren, die ich brauchte, um Deutsch zu lernen, ganz zu schweigen. Sicher, die jungen Menschen brauchen ihre Chancen, auch meine Kinder sollen sich bewerben, und alte Migrantinnen sollen ihre Chancen nicht mindern, denke ich dann, ausgesöhnt mit der Wirklichkeit. Close, but no cigar.

Virginia Woolf schrieb ihren Essay 1928, in jenem Jahr, in dem mein Vater auf einem Bauernhof in Dalmatien als das vierte der elf Kinder geboren wurde ...

Virginia Woolf schrieb ihren Essay 1928, in jenem Jahr, in dem mein Vater auf einem Bauernhof in Dalmatien als das vierte der elf Kinder geboren wurde, die seine Mutter hintereinander zur Welt brachte. Als sie mit meinem Vater schwanger war, erkrankte sie an Malaria, die in jenen Jahren in den Sumpfgebieten im Hinterland der Adriaküste wütete. Diese Gegend war zuvor eine entlegene österreichische Provinz gewesen, später wurde sie zu einer entlegenen Provinz des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen, dann zu einer vernachlässigten Provinz im sozialistischen Jugoslawien und heute ist sie eine vergessene Provinz der Republik Kroatien. Der alte Bauernhof meiner Großeltern wurde 1992 im Krieg zerstört, so dass nur noch Ruinen und rauschende hohe Pappeln entlang des Flusses, an dem einst meine Vorfahren eine Mühle betrieben, an sie erinnern. Und die Namen am Friedhof, zu dem man über die wiederaufgebaute Brücke gelangt. Zum Glück sind die Malariamücken in der Gegend ausgerottet worden. Wie weit entfernt doch England war! Virginia Woolf beginnt das 5. Kapitel ihres Essays mit der Feststellung, dass „jetzt von Frauen fast ebenso viele Bücher geschrieben (werden) wie von Männern“. Hätte meine Großmutter – Virginias Zeitgenossin – diese Zeilen damals lesen können, hätte sie vermutlich geglaubt, dass die Autorin in einer anderen Galaxie und ganz gewiss in einer anderen Zeitdimension lebte. Virginia Woolf konnte auf George Eliot, Jane Austen oder die Schwestern Brontë zurückblicken, auch wenn sie „Shakespeares Schwester“, die sie Judith nannte, nachtrauerte: „Sie starb jung – leider schrieb sie nie ein Wort.“ Doch das war im Elisabethanischen Zeitalter, während anderswo in der Welt noch heute, vier Jahrhunderte später, junge Frauen sterben, ohne die Möglichkeit zu bekommen, ein Wort aufzuschreiben. Meine Großmutter starb auch bald, nachdem sie ihrem elften Kind das Leben geschenkt hatte.

Aber auch in dieser gottvergessenen Gegend machte man Sprünge in der Zeit. Ich war eines von nur zwei Kindern meiner Mutter, ich lernte mit vier lesen und verschlang Bilderbücher in der örtlichen Bibliothek (damals waren überall Bibliotheken entstanden, dem jugoslawischen Sozialismus sei Dank), dann auch zu Hause, da meine Eltern angefangen hatten, „über die Gewerkschaft“ Bücher zu kaufen. Ihr gemeinsames Leben begann in einem baufälligen Haus, in dem es nicht einmal fließendes Wasser und natürlich keine Bücher gab, doch die neue politische Gesellschaftsordnung ermöglichte es der Arbeiterklasse, einmal im Monat Bücher zu kaufen: Enzyklopädien und Memoiren, Gedichte russischer Dichter und Andersens Märchen, die Romane der Nobelpreisträger, Piratengeschichten (die Reihe „Der Pirat von Dubrovnik“ war besonders wunderbar), britische Krimis, um Italienisch zu üben I promessi sposi und obendrein Erzählungen über Partisanen. Meine Eltern schenkten diese Schätze ihrer wissbegierigen Tochter, verwundert über ihre Leselust. Es versteht sich von selbst, dass es Bücher von Männern waren, in denen Frauen nur bestimmte Rollen zugeschrieben wurden, was in mir – das muss ich zugeben – Unbehagen erzeugte, aber mich nicht am Lesen hinderte. Meine Eltern förderten auf ihre unbeholfene Art meinen Wissensdrang, waren stolz auf meine guten Noten, ermöglichten mir das Erlernen von Fremdsprachen und schließlich das Studium der Literaturwissenschaft.

Sehr lange glaubte ich deshalb, dass ich mich ausschließlich durch meine Bildung definieren könne. Die größte Überraschung erlebte ich dann in Deutschland. Obwohl ich erst mit 26 begonnen hatte, Deutsch zu lernen, schrieb ich in der neu erlernten Sprache – es war meine fünfte Fremdsprache – meine Doktorarbeit bereits mit vierunddreißig, dazwischen bekam ich ein Kind. Doch in Deutschland definierte mich plötzlich meine Herkunft, die gepaart mit meinem Geschlecht die Schnittstelle „Personal“ ergab. Ich erlebte es immer wieder, dass nach dem Kennenlernen in einer gehobeneren deutschen Gesellschaft mein Gegenüber entgegnete: „Ach, Sie sind aus Kroatien! Wie schön! Unsere Putzfrau/ unsere Kinderfrau/ unsere Haushälterin/ unsere Köchin/ unsere Zlata, ein reines Goldstück/ unsere Perle usw. – you name it – stammt auch aus Kroatien!“

Meine Herkunft wurde zunehmend zum Thema, als in meiner Heimat der Krieg begann. Bald wussten alle in meiner Umgebung über diesen Krieg Bescheid ...

Meine Herkunft wurde zunehmend zum Thema, als in meiner Heimat der Krieg begann. Bald wussten alle in meiner Umgebung über diesen Krieg Bescheid, ähnlich wie die männlichen Gelehrten in „Ein eigenes Zimmer“ alles über Frauen wussten. Jahrelang wunderte ich mich vergeblich, wieso niemand in mir eine Gelehrte sah, die in ihren Träumen durch Harvard oder Oxford schlendert und über die Poetik von Wystan Hugh Auden oder über die Semiotik in den Krimis von Agatha Christie forscht, sondern mich alle immer unfehlbar den Stichworten „Jugoslawien, Balkan, Krieg, Gastarbeiter, Personal“ zuordneten. Wieso mir außerdem so wenige zutrauten, dass ich über den Krieg möglicherweise etwas besser Bescheid wusste als sie.

Auch das ist eine Wohltat des Alters: Inzwischen wundere und ärgere ich mich nicht mehr.

Der Hase aus der Fabel

Close, but no cigar. In einer meiner feministischen Phasen hatte ich einen Essay über die Konstruktion des Geschlechts auf dem Jahrmarkt verfasst. Die Jahrmärkte hatten sich als eine thematische Fundgrube erwiesen: Schlangenfrauen, Wahrsagerinnen, Bauchtänzerinnen, Tarzane und Frankensteine tummelten sich dort zwischen Zuckerwatte und gebratenen Mandeln, während man an den Schießbuden pinke und hellblaue Plüschhasen gewinnen konnte. Inzwischen weiß ich, dass der Feminismus dem Hasen aus der Fabel ähnelt: Er kann noch so viele Kapriolen schlagen und Kunststücke vollführen, hin- und herrennen und allen zurufen, sie mögen seine Geschwindigkeit bewundern und diese anerkennen, die langsam kriechende Misogynie mit ihrem Panzer aus Machtanspruch und ihrer Beständigkeit wird dennoch immer als Erste durchs Ziel gehen. Das bedeutet nicht, dass der Feminismus aufgeben sollte. Er sollte die Fabel wechseln und zur Krähe werden, die so lange Steinchen in den hohen Wasserkrug wirft, bis das Wasser so weit aufsteigt, dass sie es mit ihrem Schnabel durch die schmale Öffnung des Kruges aufsaugen kann.

Woraus sollen die Steinchen bestehen? Aus den aktuellen verbitterten Debatten darüber, welche Minderheit benachteiligter ist? Frauen sind keine Minderheit. Aus den neu formulierten Antworten auf die uralte Frage, was eine Frau zur Frau macht? Bestimmt nicht. Im Essay von Virginia Woolf gelten die Abhandlungen über das Wesen des Frauseins zu den Beispielen einer auf Macht ausgerichteten Wissenschaft, die zur Bestätigung der Überlegenheit jener Forscher diente: „Sie waren im roten Licht der Emotion geschrieben worden und nicht im weißen Licht der Wahrheit.“ Ähnlich emotional verlaufen die Diskussionen auch heute – und dienen vermutlich ebenfalls persönlichen Bestätigungen, auch wenn sie heute nicht nur von Männern ausgetragen werden, sondern im Wirbel des „Unbehagens der Geschlechter“. „Ist Ihnen bewußt, daß Sie vielleicht das am häufigsten abgehandelte Tier des Universums sind?“, fragte Virginia Woolf ihre imaginären Leserinnen im Jahr 1928, nachdem sie im Katalog des Britischen Museums die von Männern verfassten Titel über Frauen durchgesehen hatte. Zu den ihr wichtigen Themen „Frauen und Armut“ und „Frauen und Literatur“ fand sie jedoch nichts Aufschlussreiches.

Nichts ist schwieriger abzustreifen als eine von außen übergestülpte Identität. Die Diskrepanz, die zwischen der jugoslawischen patriarchalischen Gesellschaft und meinem jugendhaften Streben nach Bildung klaffte, war weniger bedrückend als die Diskrepanz zu meinem späteren Dasein als Frau, Mutter, Literaturwissenschaftlerin und Autorin in Deutschland, wo die Etiketten „Ausländerin“ und „Migrantin“ meine Individualität zu ersticken drohten. Diese aufgezwungene Identitätszuschreibung, die ich noch immer mit mir herumschleppe, abzuwerfen, betrachte ich als eine wichtige Altersaufgabe. Ich möchte mit dem Enthusiasmus meiner Jugend, aber mit dem Wissen von heute, ganz ungehindert und undefiniert nur noch ich sein, guten Wein trinken und ab und zu eine Zigarre paffen.

Wechselhafte Jahre - © Leykam
© Leykam
Buch

Wechselhafte Jahre

Schriftstellerinnen übers Älterwerden
Hg. von Bettina Balàka
Leykam 2023
192 S., geb., € 24,50
Erscheint am 27. Februar

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