Die Fäden der Frauen

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Sabine Scholl macht in ihrem neuen Roman Leben und Arbeit der Frauen sichtbar.

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Sabine Scholl macht in ihrem neuen Roman Leben und Arbeit der Frauen sichtbar.

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In ihrem Prosadebüt "Fette Rosen" zeichnete Sabine Scholl 1991 mit grammatisch aufgerissenen Sätzen intensive Bilder aus der oberösterreichischen Provinz. Mit dem allgemeinen Revival der Familiensaga kehrt sie nun in "Wir sind die Früchte des Zorns" an ihren Kindheitsort ebenso zurück wie an die häufig wechselnden Lebensorte ihrer eigenen beiden Kinder. Die Perspektive folgt den (Schwieger-)Mütter-Töchter-Beziehungsketten, die sich zeitlich ineinander schieben, ohne die Logik des Erzählflusses aufzuheben.

Rollen der Frauen

In 52 lose verbundenen Miniaturen berichtet Scholl von den Großmüttern Hanna und Martha, von Mutter Erika und der französischen Schwiegermutter Odette -verheiratete Huber, hartnäckig als "Chübeer" wiedergegeben -, vor allem aber vom Hadern mit der eigenen Mutterschaft. So sehr sie in ihrer schwierigen Sozialrolle als Schriftstellerin die damit erreichte gesellschaftliche Anerkennung genießt, so schwierig ist die Bewältigung des Alltags. Berufstätige Mütter beneiden Freiberuflerinnen gerne um die zeitliche Flexibilität, aber Konzentration und Muße für intellektuelle Arbeit sind auf Abruf nicht leicht zu finden. Lange kommt der Ehemann nur am Rande als "Odettes Sohn" vor; als er sie nach siebenjähriger Ehe verlässt, ist die Erzählerin trotzdem von der Vorstellung schockiert, nunmehr tatsächlich Alleinerzieherin zu sein.

Die Väter kommen den Müttern auf vielerlei Wegen abhanden, sie "bleiben" im Krieg, halten sich Nebenfrauen, fliehen in die Arbeit, die Wirtshäuser oder eben zu einer neuen Frau. Die Mütter der älteren Generation werden von Kindern wie Enkeln vor allem in ihrem rastlosen Tätigsein in Haus und Garten erinnert: einkochen, einlegen, waschen, kochen, putzen, flicken und nähen. "Fäden und Textilien bilden Verbindungslinien zwischen Generationen von Frauen", heißt es einmal, das reicht mit Arachne wie Ariadne bis in den Mythos. Auch Sigmund Freud war bekanntlich überzeugt, dass Frauen zu den Erfindungen der Kulturgeschichte nur die Technik des Flechtens und Webens beigetragen haben.

Das weitgehende Ausblenden der Männerfiguren ist Programm, um die "in vielen Familiengeschichten unsichtbar gemachte Arbeit der Frauen für die Familien", so Scholl in einem Interview, mit "Wertschätzung zu besetzen". Doch diese Leerstelle hat einen Preis. Damit verschwindet ein guter Teil dessen, was Mütter wie Töchter eben auch beschäftigt und was eine gesellschaftliche Austiefung - im Sinne des im Titel zitierten John Steinbeck - erlauben würde. Vom gefallenen Großvater erfahren wir, dass er ein Parteiabzeichen trug. Was aber war mit den Großmüttern in der NS-Zeit? Was ist mit gesellschaftspolitischen Fragen wie innerfamiliärer Gewalt und Omnipräsenz der schwarzen Pädagogik bis weit in die 1970er Jahre?

Mütter und Töchter

Wenn die Erzählerin beschreibt, wie in Odettes Sommerhaus die Bücher vergammeln und nur die Fotoalben benutzt werden, sehnt man sich fast nach dem heiligen Zorn, der Thomas Bernhard in "Die Auslöschung" aus der unbenutzten Familienbibliothek eine maßlose Scheltrede gegen die Ignoranz der Reichen formulieren ließ. Das liegt vielleicht auch an der Mütter-Töchter-Perspektive, die Zorn bei ganz anderen Reibepunkten aufkommen lässt. Beim Begräbnis erzählt der Vater, dass Mutter Erika als junge Frau mehrmals versucht hat, sich umzubringen. Der kränkende Stehsatz der Mutter, sie habe mit der Geburt der Erzählerin ihre Freiheit verloren, erhält dadurch einen anderen Akzent - auf Erikas Todessehnsucht, nicht auf ihrer Mutterrolle.

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