Sprachwelten - © Collage: Rainer Messerklinger

Sabine Scholl: Zuhause zwischen Sprachwelten

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In ihrem Roman „O.“ und ihren Essays „Erfundene Heimaten“ zeigt sich Sabine Scholl neugierig auf fremde Welten.

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In ihrem Roman „O.“ und ihren Essays „Erfundene Heimaten“ zeigt sich Sabine Scholl neugierig auf fremde Welten.

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Sabine Scholl zählt zu jenen Schriftstellerinnen, die im Leben wie im Schreiben neugierig auf fremde Welten sind, wo immer diese verortet sind. Schon in ihrem ersten Erzählband „Fette Rosen“ entzauberte sie die heile Bilderwelt ihrer ländlichen Heimat in Oberösterreich. Nach ihrem Studium in Wien lebte sie in Portugal, Chicago, New York, Berlin, unterrichtete in Japan, Wien und Leipzig. Seit Herbst 2019 wohnt sie wieder in Wien. Auch in ihren Essays und Romanen überschreitet sie gerne Grenzen zu anderen Kulturen und Sprachen und reflektiert dabei immer ihre eigene Lebensgeschichte. Sabine Scholls besonderes Interesse gilt Genderfragen in Geschichte und Gegenwart – und sie weiß, dass das Private immer politisch ist.

Der Titel ihres jüngsten Romans ist der Name ihrer Heldin und besteht nur aus dem Buchstaben O mit Punkt: „O.“ Möglich wäre aber auch die Lesbarkeit als Ziffer Null. Sabine Scholl bezieht den Titel auf Homers Epos „Odyssee“, die sie aus weiblicher Perspektive interpretiert. Sie verknüpft in ihrem Roman die Irrfahrten der Odyssee mit den Zumutungen gegenwärtiger Migration und erzählt von den Irrfahrten ihrer Heldin, einer Musikerin und Komponistin, durch die Weltmeere. Die Protagonistin ist aber nicht alleine, sondern wird – wie schon Odysseus – begleitet, und zwar von einem Chor geflüchteter Frauen. Sie alle sind auf der Suche nach einer besseren Welt, nach dem Paradies.

Doch nur O. besitzt den Reisepass „eines verheißungsvollen Landes, der wohin man auch kam, Einlass gewährte“. Und weil sie eine „bessere Herkunft und deshalb auch eine Zukunft“ hat, kann sie ihre Irrfahrt im Unterschied zu den Gefährtinnen, die aus verschiedenen Gründen ihr Zuhause verlassen mussten, eines Tages beenden. Doch im Gegensatz zum Helden Odysseus gibt es für die Protagonistin O. im 21. Jahrhundert keine klassische Heimkehr mehr, weil es keine Orte sind, die Heimat bedeuten, sondern Menschen. Ihre Aufgabe wird es sein, von ihren Abenteuern zu erzählen und damit auch Menschen zu helfen, deren „Erzählung ihres Lebens“ gerissen ist.

In den kurzen Kapiteln des Romans wird mit Bezug auf Homers Epos von den Bemühungen der Frauen erzählt, über das Meer das Land der Hoffnung zu erreichen. Immer wieder zerstören Stürme die Boote, bisweilen wird den Schiffbrüchigen geholfen, bisweilen wird ihnen der Aufenthalt verweigert. Die Verschränkung von Gegenwart und griechischer Mythologie wird sowohl in der Handlungsstruktur als auch in den Details auf eindrückliche Weise vorgeführt. O. spielt Flöte und sammelt mit ihrem Smartphone Klänge und Stimmen ihrer Umgebung, von Menschen, Tieren, dem Meer, dem Wind – eine Klangspur begleitet deshalb die Irrfahrt. Gleich zu Beginn des Romans erleben wir O. und Calypos auf der paradiesischen Insel als Paar. Und wie Kalypso will auch Calypos O. nicht wegfahren lassen, aber weil diese von der Welt erzählen soll, werden Erinnerungen und ihr „Verlangen, sich fortzubewegen“ geweckt, und die Irrfahrt beginnt. Hilfreich zur Seite steht ihr immer wieder die Göttin Atena.

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