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Barometer des Schicksals

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STÜRMISCH BIS HEITER. Von Elisabeth Castonier. Nymphenburger Verlagsanstalt, MUnchen, 1964. Preis 19.80 DM.

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STÜRMISCH BIS HEITER. Von Elisabeth Castonier. Nymphenburger Verlagsanstalt, MUnchen, 1964. Preis 19.80 DM.

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Was man bei Alma Mahler-Werfel vergeblich suchte, weil sie sich in selbstgefälligen Details verlor und das Gültige nicht vermitteln konnte, was bei Olga Schnitziler 4m „Spiegelbild der Freundschaft“ aufklingt, jedoch auf die spezifisch wienerische Atmosphäre beschränkt bleibt, meistert Elisabeth Castonier in ihrem neuen Buch: es .ist das Zeugnis einer bewegten Epoche, Bildnis zugleich und straffe Radierung hochpolitischer Ereignisse, gefiltert durch die verästelte Empfindungswelt einer sensitiven Frau. Elisabeth Castonier war nicht Weggefährtin labiler Genies, nicht passive Geliebte großer Männer, sie war Reporterin, kühl, beherrscht und unbestechlich. Sie legte ihren Finger auf die Risse und Nahtstellen einer aus den Fugen geratenen Zeit, um mit fast männlicher Klarheit und Un-sentimentalität einen teils kritischen, teils besinnlichen Bericht zu geben über alles, was sie gesehen und erlebt hat. Sie erfüllt in diesem Buch in hohem Maß die Forderung, die die Welt an eine außergewöhnliche Frau zu stellen berechtigt ist: durch den Spiegel des eigenen Schicksals das einer ganzen Zeit zurückzuwerfen.

Von der behüteten Kindheit in einer Familie, die in den Zentren europäischen Geistes und europäischer Kultur wurzelte und die geprägt ist vom Andenken an einen Großvater, der Architekt am Zarenhof war, von der Schönheit der englischen Großmutter, und schließlich beherrscht wird vom begabten deutschen Vater, der Kaiser Wilhelm malte. Jahre zwischen Dresden, Paris und Berlin entwickeln An dem Kind bereits jenes eigenwillige Temperament, das der Frau später immer wieder geholfen hat, sich selbst bedingungslos treu zu bleiben. Man spürt weiter in der Autobiographie, betrachtet ein Leben, in dem die Ereignisse mit denen der Zeit gleichgeschaltet sind, das rhythmische Auf und Ab eines ungewöhnlichen Schicksals. Da sind die vollen, schöpferischen Jahre in Berlin, wo die Berühmtheiten der Zeit den Weg der Autorin kreuzten, es folgt der jähe Bruch in der Familie, ausgelöst durch die Scheidung der Eltern, ein daraufhin trotziges Sichaufbäumen und Sich-selbst-Be-haupten im Strudel turbulenter Jahre in München, die Ehe mit einem meist engagementlosen Sänger in einer äußerlich noch relativ ruhigen Zeit, schließlich der Erfolg eigener Stücke in Berlin, überschattet bereits vom Heraufziehen des furchtbaren Hakenkreuzsymbols. Nach der Trennung vom Ehemann, nach zweimaliger Flucht durch Österreich und Italien, wird England noch während des Krieges und nachher zum Exil und später zur Heimat, wo ein an Abenteuern überreiches Leben seine einfache Erfüllung in anspruchsloser Arbeit auf einer Farm findet.

Das Buch lebt von der ungeheuren Intensität der Schilderung, wobei die Geschehnisse vor den Personen den absoluten Vorrang haben. Letztere sind lediglich Träger von Handlungsmolekülen, die sich zu einem Zeitbild sammeln und verdichten. Die Autorin stellt ihre eigene Person bewußt in den Hintergrund und umgeht so die fatale Klippe vieler Autobiographen, die nur sich selbst als die alleinige Drehscheibe der Ereignisse glorifizieren. Elisabeth Castonier läßt dagegen die faszinierende Wechselbeziehung Mensch-Umwelt erstehen und interpretiert diese durch die Kraft und Ausstrahlung ihres ureigensten Wesens. Überlegenheit und Distanz dominieren, selbst die Beziehung der Autorin zu den anderen Hauptpersonen des Buches wird kaum angedeutet. Ohne Bitterkeit, vielfach von der überhöhten Warte der humor-voll-lächelniden Betrachtung aus, wird der Blick auf Kern und ursächlichste Zusammenhänge eines ganzen Menschenalters freigegeben. Der Abschnitt über die Nazizeit, ihre schauerliche Folgerichtigkeit von Bücherverbrennungen zum Massenmord, ist wohl am eindringlichsten gelungen. Die Plastizität nimmt einem manchmal den Atem.

Von Liebe wird fast oder gar nicht gesprochen, sie ist gegenwärtig am ehesten wohl in der wundervolltransparenten Zärtlichkeit, welche die Beziehung der Autorin zu ihrer alten Erzieherin kennzeichnet oder in manchem schlichten Gespräch zwischen Freunden. Das Direkte, Elementare, das Veränderungen bewirkt, kommt stets von außen, ist nie in den Menschen selbst gegeben, sie brennen sozusagen nicht im Innern. Doch ist Eindringlichkeit selten mit so diskreten Mitteln erzielt worden wie in dem vorliegenden Buch. Es beschenkt, ohne imponieren zu wollen, es überzeugt, ohne aufdringlich zu sein.

Eine Frau, von den Ereignissen eines wechselvollen Lebens zur überragenden Persönlichkeit geprägt, im Aufeinanderprallen von Mensch und Zeitumständen zur distanzierten Außenseiterin geworden, formt ein Stück Weltgeschichte in sehr eigenwilliger Art zum Schicksal eines Menschen.

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