Baumschau - © Collage: Rainer Messerklinger

"Andererseits" von Zsuzsanna Gahse: „Jedes Wort ist eine Übersetzung“

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Hinausgelesen: Brigitte Schwens-Harrant las Zsuzsanna Gahses Poetikvorlesung "Andererseits".

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Hinausgelesen: Brigitte Schwens-Harrant las Zsuzsanna Gahses Poetikvorlesung "Andererseits".

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Poetikvorlesungen, also Vorlesungen über die Kunst des Dichtens, über Formen, Kriterien und Grundbegriffe der Literatur, ermöglichen Autorinnen und Autoren, über die Poetik des eigenen Werkes zu sprechen. Auch Zsuzsanna­ Gahse blickt in ihrer Stefan Zweig Poetikvorlesung, die sie im Mai 2019 in Salzburg gehalten hat und die nun mit dem Titel „Andererseits“ bei Sonderzahl erschienen ist, auf Sprache und Literatur im Allgemeinen, auf ihre eigenen Werke im Konkreten.

Wenn Gahse im ersten Teil Orte thematisiert, so ist sie damit schon mitten in der Literatur, die ihre ganz eigenen Weisen hat, an Orte zu führen und Orte zu schaffen. Warum nicht auch mit Fußnoten? Die Fußnoten in ihrem „Kellnerroman“ (1996) erzählen Abschweifungen, sie sind Apropos, also ein Metier, das Erzähler von jeher kennen. „Es gibt endlos viel zu erzählen, und im Erzählen tauchen ständig Querbeziehungen auf, die Gedanken können überallhin abdriften, und wie gesagt ist überall kein heiteres Wort, daher ist es gut, die Abdrifterei zu bändigen, indem die Driftrichtungen mit Hilfe von Fußnoten durchgezählt werden.“

Besteht nicht die gesamte Literatur aus Querbeziehungen, aus Erzähl­inseln, wie Zsuzsanna Gahse das nennt, was sie so sehr fasziniert und woraus sich immer neue Literatur zusammenbaut? Auch ihre eigenen Werke gehen Beziehungen ein, Autoren wie Cervantes und E. T. A. Hoffmann hinterlassen Spuren, die sie in „Andererseits“ sichtbar macht. Dabei sind weder Erzählinseln, noch Motive, noch Stoffe, noch Sprachen statisch. Das Wort Wurzel mag die Autorin daher nicht. „Sprachen haben keine Wurzeln, sondern einen Ursprung. Von dort aus können sie weiterspringen, was sie wirklich tun. Auch Flüsse sind an ihren Quellen nicht verwurzelt. Sie entspringen und fließen weiter. Ursprung ist das richtige Wort.“

Die 1946 in Ungarn geborene Schriftstellerin floh mit ihrer Familie nach dem Ungarnaufstand von 1956 in den Westen. Sie weiß, dass nicht nur Menschen Grenzen überschreiten, sondern auch die Sprache. „Scharenweise wandern Wörter über die Sprachgrenzen, um Staatsgrenzen und Nationalitäten kümmern sie sich nicht, außer jemand zwingt ihnen solche Begriffe auf, sonst wandern sie, auch als Schmugglerware, und sie sickern in Sprachen ein, von denen sie früher keine Ahnung hatten.“

Und die Kunst des Übersetzens? Ein Thema nur für Übersetzerinnen wie Zsuzsanna Gahse? Nein, ein Thema für alle, die sprechen. „Interessant ist das Übersetzen von einer Sprache in die andere, von einem Talent in ein anderes Talent, in erster Linie aber ist jedes Wort zunächst eine Übersetzung. Auch in der eigenen Sprache. […] Jedes Wort ist eine Übersetzung, jede Erzählung, auch die Nacherzählung, das ist ein erster Ansatzpunkt.“

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