Aichinger - © Foto: Brigitte Friedrich/Interfoto/picturedesk.com

„Autorinnen feiern Autorinnen“: Teresa Präauer über Ilse Aichinger

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Anlässlich des 100. Geburtstages von Ilse Aichinger nähert sich die Schriftstellerin Teresa Präauer dem Werk der Dichterin. Auszug aus der Festrede.

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Anlässlich des 100. Geburtstages von Ilse Aichinger nähert sich die Schriftstellerin Teresa Präauer dem Werk der Dichterin. Auszug aus der Festrede.

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Ein Gespräch im Kaffeehaus: Als ich in den frühen zweitausender Jahren nach Wien gezogen bin, habe ich sie ein paar Mal im Café Jelinek in der Otto-Bauer-Gasse gesehen. Die Schriftstellerin Ilse Aichinger war da schon über achtzig Jahre alt, sie saß an ihrem Stammplatz und las.

Ich war damals Mitte zwanzig, hatte mein Studium abgeschlossen und saß ebenso im Café Jelinek, voller Ideen und voller Verzweiflung. Was bringt die Zukunft?

Selbstverständlich habe ich Ilse Aichinger nicht um Rat gebeten, und wenn ich heute aus ihren Interviews Schlüsse ziehe, so hätte sie mir damals wohl kaum empfohlen, den Beruf der Schriftstellerin zu wählen. Geschrieben hatte ich bis dahin noch wenig, gelesen umso mehr. Ich kannte ihren Roman „Die größere Hoffnung“, ihre berühmt gewordene „Spiegelgeschichte“, einige ihrer Gedichte und natürlich „Schlechte Wörter“, jenen Text, der mir zu einem der wertvollsten in meiner literarischen Sozialisation geworden ist.

Manchmal sprach der Kellner vom Café Jelinek mit mir. Er war ein sehr freundlicher, witziger Mensch mit rundem Gesicht und offenem Blick. Einmal war in der Tageszeitung Die Presse, wie in den Jahren zuvor bereits wöchentlich im Standard, wieder einer von Ilse Aichingers literarischen Kurzessays erschienen, diesmal übertitelt mit: „Die Dioskuren aus Gumpendorf“. Der Kellner war freudig aufgeregt, hatte er sich doch als einer der Dioskuren in diesem Text erkannt: „Im Café Jelinek hat jeden Tag, von neun bis neun, der Diskurs des jeweils anderen Dienst: heute Sonntag ist es der Kellner mit Subtext, der seinen Job als Rolle beherrscht, ohne in dieser Rolle aufzugehen, er wirkt unabhängig, gelassen, smart und souverän. Der andere, subtextlosere, fehlt heute. Einer der beiden fehlt immer, das verstärkt den Gegensatz und die Verlockung zu glauben, man könnte den beiden auf die Spur kommen.“ Dieser Artikel, später abgedruckt im letzten Aichinger-Büchlein „Subtexte“ in der Wiener Edition Korrespondenzen, war aus der Zeitung ausgeschnitten worden und wurde nun feierlich gerahmt, und so hängt er dort wohl noch immer im schönen Café Jelinek.

Zeugen ihres Verschwindens

Im November 2016 verstarb Ilse Aichinger im Alter von 95 Jahren in Wien. Die letzten öffentlichen Fotos, soweit ich sie überblicken kann, stammen aus dem Jahr 2007. Ilse Aichinger sitzt in einer Ausstellung und hält ein großformatiges Schwarz-Weiß-Porträt in der Hand, das der Fotograf Stefan Moses ein paar Jahre zuvor von ihr aufgenommen hat: Wir sehen also hier das Foto der Autorin, wie sie ein Foto der Autorin betrachtet.

Wie in einen Spiegel, der, sobald wir hineinblickten, unsere Zeit rückwärtslaufen ließe, so schaut Ilse Aichinger mit jenem Foto in der Hand auf eine Phase ihres Lebens zurück, in der sie täglich zum Schreiben ihrer Feuilletonbeiträge ins Kaffeehaus gegangen ist, und davor ins Kino. Manchmal gleich in mehrere Filme hintereinander, so beschreibt sie es in den späten Texten, die in Büchern wie „Film und Verhängnis“, „Unglaubwürdige Reisen“ oder eben „Subtexte“ versammelt sind. Manchmal ins Filmmuseum, das Klassiker und ausgefalleneres Programm bot, manchmal ins Bellaria-Kino, das sich dem frühen Kino der Zwischen- und Nachkriegsjahre verschrieben hatte und auch bei den Heimatfilmen der fünfziger Jahre nicht Halt machte.

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