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Allah gegen Allemann in Klagenfurt

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Gleichsam zur Begrüßung bekam ich am Eröffnungstag des 15. Ingeborg Bachmann Preises vor dem Eingang zum ORF-Theater eine Broschüre des Forums Stadtpark in die Hand gedrückt, wo sich unter Alfred Kolle-ritschs Führung Elfriede Jelinek, Werner Kofier, Peter Rosei, Barbara Frischmuth und insgesamt 27 sehr oder mehr oder weniger berühmte österreichische Schriftsteller, die nie am Bachmannpreis teilgenommen haben, empören, daß der Name Bachmanns für ein solches Spektakel verwendet und mit diesem Wettbewerbsunwesen ein schiefes Licht auf den Zustand der Literatur geworfen wird.

Ohne näher darauf einzugehen, wofür Literatur eine Hauptstadt braucht, erklärte Stadtrat Metelko bei der Eröffnung, Klagenfurt sei nun wieder vier Tage lang die Hauptstadt der deutschsprachigen Literatur, und wie bei Hauptstädten üblich, gibt es einen starken Zuzug aus der Provinz, aus Berlin, Basel, Zürich, Hamburg, Leipzig, Frankfurt, Köln, München, Istanbul, Teheran et cetera, nur aus der Hauptstadt war keiner in der Hauptstadt, außer beim kalten Büffet. Unter freiem Himmel und in sternenklarer Nacht die ersten Bekanntschaften, die ersten Nervositäten, Animositäten, Alkoholexzesse, Wedekind war ja auch nicht...; Peter Wawerzinek, Wirbelwind und Wirtshausschreck aus Rostock, sagte vor der Lesung nach dem Büffet, er hält Betrunkene für poetischer als Poeten. Ich weiß nicht, wofür er sich hält, füreines von beiden auf jeden Fall, und er war nicht nur während seines Auftritts, sondern vier Tage lang durchgehend poetisch.

3Sat inseriert die Tabelle der Dichternamen mit Startnummern und Nationalitäten, wie man es vom Abfahrtslauf der Herren gewohnt ist, eine junge 3Sat-Redakteurin bricht sich ironischerweise wirklich das Bein und interviewt fortan im Liegegips. Vor seinem Aufritt wird jeder Autor in einem kurzen Filmporträt vorgestellt: Dichter mit Hund auf der Wiese, Dichter sondiert Gemüse am Markt, Dichter tippt sinnend ein paar Buchstaben seines Gesamtwerks in seinen PC. Nach dem Auftritt keuchend und ausgepumpt zum Interview, wie sind Sie mit Ihrer Leistung zufrieden, worauf führen Sie die Niederlage zurück, wie fühlen Sie sich, was haben Sie sich während des Schreibens gedacht und wo gehen Sie das nächste Mal an den Start. Keiner der Autoren kann dem Interviewer befriedigend erklären, warum er schreibt, diese heikle Frage beantwortet erst das Fußballspiel DichtenRichter am Samtagnachmit-tag mit aller Deutlichkeit. Ein sensationstrunkenes Millionenpublikum erfährt aus der Laube hinter dem Betonbau, ob die fünfundzwanzigjährige Sabine Küchler nach dem ungünstigen Votum der Jury ihre artifiziell montierten Satzfetzen nun umzumon-tieren gedenkt und daß das Festival laut Juror Andreas Isenschmind zu einem Anfängerwettbewerb tendiert, was man aber mit einem weinenden und einem lachenden Auge sehen kann. Der Moderator, Marke Ustinow, brilliert mit zweiundzwangzigfachem, einander ausschließenden Einfühlungsvermögen. Die Konkurrenz aus Slowenien ist mörderisch.

Texte gab's nebenbei auch, zwei-undzwanzig, einer radiert den anderen aus. Es überwiegen die mittelmäßigen privaten Infernos entstiegenen mittelmäßigen literarischen Schlammblasen, Busenkomplexe und wie kriege ich einen Mann oder wie kriege ich eine Mutter und warum immer ich und warum lasse ich mich ausnützen, hermetische Düstemisse, zwischen den Zeilen seifige Seelen, dann wieder ein Sultan in der Identitätskrise, Hausfrauen, die sich ständig umbringen wollen und sich dann doch nicht umbringen, sondern lieber in die Ontotogie zwischen den Supermärkten desertieren. Zwischendurch schreibt mein Salzburger Verleger vor lauter literarischer Langeweile und weil es ein Sonderpostamt gibt, eine Ansichs-karte an sich selbst. Allerlei aus dem Bauch kommende Kompliziertheiten, umgekehrte Operetten, synthetische Frauenliteratur aus Männerhand und Rollenprosa. Phasenweise Erinnerungen an Jeremias Gotthelf, Martin Walser, Günther Grass und Mike Harnmer, nur noch ein einziger Thomas Bernhard. Implizit untergehende Städte und Kulturen und Welten, Kalauer um jeden Preis, die Topoi sind so wahnsinnig verbraucht, kalkulierte Unbeholfenheit, überfrachtete Geschichtlichkeit und überwuchernde Attributisierung, oder hat es der Autor faustdick hinter den Ohren und führt uns alle an der Nase herum? Talente ohne Thema, da war eine Passage, wo ich glaubte, es kommt noch etwas mehr, aber dann gleich wieder...

Das Programmheft teilt die deutschen Autoren noch in D-W und D-O ein, aber völlig unnötig, die Geschichte der O interessiert keinen mehr. In Peter Wawerzineks Text, der bereits aus dem Jahr 1986 stammt, heißt es einmal, Berlin sei ein „gespaltener Arsch". Das ist alles. Und nicht einmal der Pleonasmus erregt irgendwer Die Ersatzexoten kommen aus dem Orient. Sensibilitätsentwicklung für den Halbmond als Möchtegern-marktlücke.

Einer der ganz wenigen Texte, die es nicht notwendig haben zu gewinnen, der „Babyficker" von Urs Allemann, denn er handelt gerade davon, daß es innerhalb dieses Universums nichts zu gewinnen gibt, vielleicht mit Ausnahme des Bachmannpreises: Metaphysische Brutalitätsprosa mit drastischen Bildern von Kinderschändung und bei ein wenig rezeptionel-lem Feinsinn ist dieser Text die lakonische Präsentation der Wurzel der Abgebrühtheit der Menschheit sich selbst gegenüber, und da bekommt man eben „somatische Widerstände", wie ein Juror, dem übel geworden war, im Anschluß formulierte. Aber auch die helfen nichts. Das Böse ist immer und überall. Natürlich gibt es Zuseher, die spontan bei 3Sat anrufen und die „Perversität" stoppen wollen. Ach gäbe es für die Gesetze des Kosmos bloß auch solche Telefonnummern. Allemanns Suada ist eine kühne, wuchtige Resignation und die Radikalisierang der Weltkaputtheit von innen her, keine krampfhafte moralische Nachlaßverwaltung. Die Ohnmacht selbst nimmt Rache: „Wenn einer hineinschneiden würde ins Babyfleisch, würde Blut herausfließen. Babyblut. Wenn einer ins Papier hineinschneiden würde, würde nichts herausfließen. Kein Papierblut." Aber auch die verstörendsten Texte lassen sich mit der Tradition, aus der sie kommen, schließlich beschwichtigen. Allenfalls noch gelingende Provokationen dokumentieren hauptsächlich die Antiquiertheit des Provozierten. Und was mich an Urs Allemann noch beeindruckte: Er war auf der Bühne auf der Bühne, nirgendwo sonst. Kein Interview, kein Werbespott, kein Fußball. Nur die Babys.

Ein Text kann ein Unglück sein, man kann sich auch abgestoßen fühlen, aber wie die ganz großen Komplimente bleiben auch die ganz großen Vernichtungen aus, die Jury hat genug mit sich selbst zu tun, Karasek kontra Corino und wer die Genialität mit dem Löffler gefressen hat, ist interessanter als die Zurechtweisung eines blassen Debütanten. Vergeblich wartet man heuer auf den Schlächter, der „ein Telefonbuch literarischer als diesen Text" findet, die Juroren agieren sachlicher und unsicherer, bekennen hin und wieder sogar die Absurdität ihres Unterfangens ein. Die Veranstaltung bekommt zusehends Werkstattcharakter, naja, Charakter ist vielleicht zuviel gesagt, Werkstatt statt Werk, viele Köche, heißer Brei, und die Katachresen, falsche Bilder, schlechte Metaphern, wissen Sie, alle paar Seiten kann auch ein Verb nicht schaden, nana, keine Zeit für Zeitwörter in einer vorsätzlich zum Gegenstand des Journalismus gemachten Literatur.

Für die Statistiker hier die Preisträger: öS 150.000,- für Emine Sevgi Özdamar, die Deutsch als Fremdsprache gewählt und mit raffinierter Naivität ein türkisches Märchen erzählt hat; öS 100.000 - für Urs Allemann, öS 70.000,- für Marcel Beyer, DM 6.000 - für Theres Roth Hunkeler, DM 6.000,— für Peter Wawerzinek, öS 30.000 - für Hubert Konrad Frank, zirka öS 20.000,- für jeden Juror. Aber an den schnöden Mammon dachte im Augenblick des Triumphes wohl keiner. Und zum Abschluß für alle aus derSzene inklusive Bürgermeistereine Wörtherseeschiffsrundfahrt, eine romantische. Und poetische.

Die bange Frage, ob das Niveau höher oder tiefer als im Vorjahr war, ist bis auf weiteres nicht einwandrei zu beantworten, weil noch immer diskutiert wird, ob im Vorjahr überhaupt Niveau stattgefunden hat.

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