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Allah gegen Allemann in Klagenfurt

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Impressionen vom 15. Ingeborg-Bachmann-Preis 1991 im ORF-Theater.

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Impressionen vom 15. Ingeborg-Bachmann-Preis 1991 im ORF-Theater.

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Gleichsam zur Begrüßung bekam ich am Eröffnungstag des 15. Ingeborg Bachmann Preises vor dem Eingang zum ORF-Theater eine Broschüre des Forums Stadtpark in die Hand gedrückt, wo sich unter Alfred Kolleritschs Führung Elfriede Jelinek, Werner Kofler, Peter Rosei, Barbara Frischmuth und insgesamt 27 sehr oder mehr oder weniger berühmte österreichische Schriftsteller, die nie am Bachmannpreis teilgenommen haben, empören, daß der Name Bachmanns für ein solches Spektakel verwendet und mit diesem Wettbewerbsunwesen ein schiefes Licht auf den Zustand der Literatur geworfen wird.

Ohne näher darauf einzugehen, wofür Literatur eine Hauptstadt braucht, erklärte Stadtrat Metelko bei der Eröffnung, Klagenfurt sei nun wieder vier Tage lang die Hauptstadt der deutschsprachigen Literatur, und wie bei Hauptstädten üblich, gibt es einen starken Zuzug aus der Provinz, aus Berlin, Basel, Zürich, Hamburg, Leipzig, Frankfurt, Köln, München, Istanbul, Teheran et cetera, nur aus der Hauptstadt war keiner in der Hauptstadt, außer beim kalten Büffet. Unter freiem Himmel und in sternenklarer Nacht die ersten Bekanntschaften, die ersten Nervositäten, Animositäten, Alkoholexzesse, Wedekind war ja auch nicht...; Peter Wawerzinek, Wirbelwind und Wirtshausschreck aus Rostock, sagte vor der Lesung nach dem Büffet, er hält Betrunkene für poetischer als Poeten. Ich weiß nicht, wofür er sich hält, für eines von beiden auf jeden Fall, und er war nicht nur während seines Auftritts, sondern vier Tage lang durchgehend poetisch.

3Sat inseriert die Tabelle der Dichternamen mit Startnummern und Nationalitäten, wie man es vom Abfahrtslauf der Herren gewohnt ist, eine junge 3Sat-Redakteurin bricht sich ironischerweise wirklich das Bein und interviewt fortan im Liegegips. Vor seinem Aufritt wird jeder Autor in einem kurzen Filmporträt vorgestellt: Dichter mit Hund auf der Wiese, Dichter sondiert Gemüse am Markt, Dichter tippt sinnend ein paar Buchstaben seines Gesamtwerks in seinen PC. Nach dem Auftritt keuchend und ausgepumpt zum Interview, wie sind Sie mit Ihrer Leistung zufrieden, worauf führen Sie die Niederlage zurück, wie fühlen Sie sich, was haben Sie sich während des Schreibens gedacht und wo gehen Sie das nächste Mal an den Start. Keiner der Autoren kann dem Interviewer befriedigend erklären, warum er schreibt, diese heikle Frage beantwortet erst das Fußballspiel DichtenRichter am Samtagnachmittag mit aller Deutlichkeit. Ein sensationstrunkenes Millionenpublikum erfährt aus der Laube hinter dem Betonbau, ob die fünfundzwanzigjährige Sabine Küchler nach dem ungünstigen Votum der Jury ihre artifiziell montierten Satzfetzen nun umzumontieren gedenkt und daß das Festival laut Juror Andreas Isenschmind zu einem Anfängerwettbewerb tendiert, was man aber mit einem weinenden und einem lachenden Auge sehen kann. Der Moderator, Marke Ustinow, brilliert mit zweiundzwangzigfachem, einander ausschließenden Einfühlungsvermögen. Die Konkurrenz aus Slowenien ist mörderisch.

Texte gab's nebenbei auch, zweiundzwanzig, einer radiert den anderen aus. Es überwiegen die mittelmäßigen privaten Infernos entstiegenen mittelmäßigen literarischen Schlammblasen, Busenkomplexe und wie kriege ich einen Mann oder wie kriege ich eine Mutter und warum immer ich und warum lasse ich mich ausnützen, hermetische Düsternisse, zwischen den Zeilen seifige Seelen, dann wieder ein Sultan in der Identitätskrise, Hausfrauen, die sich ständig umbringen wollen und sich dann doch nicht umbringen, sondern lieber in die Ontologie zwischen den Supermärkten desertieren. Zwischendurch schreibt mein Salzburger Verleger vor lauter literarischer Langeweile und weil es ein Sonderpostamt gibt, eine Ansichtskarte an sich selbst. Allerlei aus dem Bauch kommende Kompliziertheiten, umgekehrte Operetten, synthetische Frauenliteratur aus Männerhand und Rollenprosa. Phasenweise Erinnerungen an Jeremias Gotthelf, Martin Walser, Günther Grass und Mike Harnmer, nur noch ein einziger Thomas Bernhard. Implizit untergehende Städte und Kulturen und Welten, Kalauer um jeden Preis, die Topoi sind so wahnsinnig verbraucht, kalkulierte Unbeholfenheit, überfrachtete Geschichtlichkeit und überwuchernde Attributisierung, oder hat es der Autor faustdick hinter den Ohren und führt uns alle an der Nase herum? Talente ohne Thema, da war eine Passage, wo ich glaubte, es kommt noch etwas mehr, aber dann gleich wieder...

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