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Versuch über die Müdigkeit

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Die Gruppe 47, der Göttinger Hainbund und ähnliche literaturgruppen-dynamische Interaktionen haben sich irgendwann einmal totgelaufen, dem Ingeborg-Bachmann-Preis droht dieses Schicksal nicht. Er ist zu einem nicht unwesentlichen Werbe- und Wirtschaftsfaktor des Landes Kärnten geworden, der Intellektualtourismus dient der Belebung der Vorsaison, der einheimischen Hotellerie, der Gastronomie, den Badeanstalten, der Wörtherseeschiffahrt, den Souvenirhändlern, sogar den Floristen am Ansichtsfriedhof Annabichl. Man muß also kein Prophet sein, um zu sagen, daß diese Veranstaltung ungeniert weiterveranstaltet werden wird, solang sie ein Geschäft ist und niemandem außer ein paar unverstandenen Literaten schadet. Sie funktioniert. Und wenn es auch den letzten Dichterinnen und Dichtern einmal zu blöd wird, Texte vorzutragen, die artifiziell, innerlich, unprätentiös, hermetisch, innovativ, welthaltig, genau, konkret, raffiniert, transzendent, zärtlich und siebzehn Seiten lang sind, werden eben ein paar Psychologiestudenten ihre Übungspsychoanalysen vorlesen, für das perspektivische Ganze ist das unerheblich. Als Co-Veranstalter interessiert den Vizebürgermeister mäßig, wohin mit dem Gratulationsblumenstrauß, solang er ihn loswird.

Daher das Wichtigste gleich vorweg: Nach einer rassigen Auseinandersetzung trennten sich Juroren und Autoren heuer unentschieden. Zwar hatte Dickermann (ORF) den FC Kritik mit einem Jahrhundertbogenschuß in Front gebracht, im Finish aber retteten (die nachnomi-nierten)Gstättnerund Aigner die Literatur. Endstand am Grünen Rasen 4:4. Die restlichen Entscheidungen fielen am grünen Tisch: 150.000 Schilling für Alissa Walser (selbstverständlich mit einer Vater-Tochter-Geschichte, in der es aber selbstverständlich nicht um Vater Martin, sondern um transzendierte Pubertätskapriolen geht), 100.000 Schilling für den Exil-Lokalmatador Alois Hotschnig (eine Art Glück im Unglück der Rettungsfahrerbranche), 70.000 Schilling für Ulrich Holbein (und den Text eines größenwahnsinnigen Ich-Erzählers, der in der Aufforderung „Vakuum, komm an meine Hühnerbrust" gipfelt) sowie Stipendien für Ulrich Pelt-zer (dtv), Fritz Krenn (privat) und Burg-hard Spinnen (für die leichten Leiden des deutschen Durchschnitts). Geheuert, gefeiert, gefeuert die deklarierte Favoritin Ginka Steinwachs (Unheil sei Euch Geweihten! Seif destroying prophecy!)

Bis zur Prosaprosa

Über den Rest breiten wir den Mantel des Nulleinkommens. Unerhebliches Alltagswahrnehmungsgeplätscher, verblüffende Experimente, wie man mit noch mehr Aufwand noch weniger sagen kann, saft- und kraftlose Litaneien, die ewige Wiederkehr des Weichen. Und Bleichen. Mitreißend langweilige Texte, aber leider ohne Thema. Aber so fadenscheinig kann ein Text gar nicht sein, daß er eine so fadenscheinige Textkritik verdient hätte. Neben der naturgemäßen Hilf-und Belanglosigkeit der Juroren hatten sie diesmal auch der Eloquenz und der Assoziationstechnik eine deutliche Absage erteilt (ein Karasek konnte zur Illustration noch Thomas Mann zitieren, der Weisheit des Jurek Bek-ker letzter Schluß sind die Bonmots seiner Frau beim Geschirrspülen) und erschöpften sich in viertägigen, krampfhaften Substantivkompositionen mit , .Prosa": Rollenprosa, Germanistenprosa, Problemprosa, Strapazprosa, Stipendiatenprosa, Gewerkschaftszei-tungsprosa, Flaneurprosa, Maiskolbenernteprosa, Prosaprosa! (Professorenprosa, toll!)

Und wer auf so geradezu unanständige Weise nach dem „Neuen" lechzt und nur bei dem Text Glück empfinden kann, den er trotz seines eigenen „Niveaus" nicht versteht, dem wird freilich jede noch nicht dagewesene Buchstabenkombination aus dem Zufallsgenerator Freude bereiten. Im Gegensatz zur Vernichtungsunterhaltung früherer Jahre hätte man diesmal bei den meisten Lesungen auf das auf ärgerliche Weise belanglose Rezensionsnachgeplänkel liebend gern verzichtet. Trotz der Texte. Chronische Enthusiasten und Veranstalter sprechen - weil ihnen nichts übrigbleibt -von „Werkstattcharakter". Abererstens ist die Werkstatt des Dichters im Grund kein Fernsehstudio, zweitens muß man in einer Reparaturwerkstatt für die Reparatur gewöhnlich selbst bezahlen (bekommt dann allerdings ein halbes Jahr Garantie!) und drittens könnte verglichen mit einer Werkstatt ohne Werkzeug ein Seminar für pragmatisierte Bundesschneckenzüchter auch nicht weniger aufregend sein.

Skandal(e) mißlungen

Was war sonst noch los? Die Kla-genfurter Literaturszene war gespannt auf den Erstauftritt des einheimischen Germanistikdozenten Klaus Amann in der Jury und dessen Schlagfertigkeit und Medienwirksamkeit, entspannte sich aber schnell wieder. Manfred Moser (Residenz), am zweiten Tag außer Konkurrenz ins Cafe geschneit, brachte die Wahrheit sofort auf den Punkt: Amann hat sich ein neues Hemd gekauft. Bunt. Gert Jonke humpeltnach Hüftoperation. Aber der hat ja schon gewonnen. Und Robert Schindel, non-playing captain und hier in seiner Funktion als lieber Onkel vom Suhr-kampnachwuchs, dreht den Studiokaffeehausfernseher lauter. Aber viel ist trotzdem nicht zu verstehen. Der wunschlos unglückliche Wolfgang Hermann nennt die Jury nach ungünstigem Votum in einer Stunde der wahren Empfindung „inkompetent", als ob man einen Blinden sehend machen könnte, indem man ihm seine Blindheit diagnostiziert. Der Versuch, über die Müdigkeithinwegzukommen, endet jämmerlich. Und jammerhaft. Martin Ahrends stürzt sich nach ebenso ungünstigem Votum vom Wörtherseedampfer in den dazugehörigen See, Bürgermeister Guggenberger fällt beinahe sein Schnapsstamperl aus der Hand, Skandal und Selbstmord mißlingen aber, weil Ahrends Rettungsschwimmer ist. Profan.

Es war aber tatsächlich ein auffälliges Abschiednehmen in diesem Jahr: Nicht bloß, daß der Hauptinitiator der lieben Literaturlotterie, Humbert Fink, wenige Wochen vor seinem Geisteskind nach langer schwerer Krankheit starb - Intendant Felsbach ließ sich in seiner Eröffnungsrede denn auch spontan zu einem Trauermoment hinreißen - nicht nur, daß Löffler und Co. ihre Kollegen durch Absenz pauperisier-ten, nicht nur, daß Moderator Ernst Grissemann während des Spektakels seine dunkle Contestvergangenheit einholte und er vorzeitig resignierte, nicht nur, daß der unheimliche Vorjahrssieger Urs Allemann - demzuliebe man extra die Statuten geändert und ehemalige Preisträger, also ihn, wiederzugelassen hatte - von dieser Novellierung keinen Gebrauch machte und entgegen aller Contestgepflogenhei-ten weder körperlich, noch geistig präsent war - was von Lesung zu Lesung bedauerlicher wurde und zu etlichen inoffiziellen Anrufungen des großen Ursus führte -: Auch die Grande dame der Kärntner Literaturkritik, Kriem-hild Trattnig, war unverständlicherweise nicht am Podium. Und prompt beinhaltete der Siegertext, auch wenn er von der anmutigsten Bachmannpreisträgerin der Geschichte verfaßt worden war, wieder einobzsönes Wort.

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