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Johann Holzner über österreichische Lyrik des Exils und des Widerstands.

Die meisten Autorinnen und Autoren, die nach dem Februaraufstand 1934 und dann vor allem nach dem so genannten Anschluss 1938 aus Österreich flüchten mussten, fanden sich in der fremden Umgebung keineswegs sofort zurecht. Neben vielen anderen Schwierigkeiten, mit denen nahezu alle Flüchtlinge zu kämpfen hatten, wurde der Verlust der Muttersprache oft zum gewichtigsten Problem. Zudem wurde das Zutrauen geringer zu einer Sprache, deren Wörter, mit deutschnationalen Konnotationen aufgeladen, von den Nationalsozialisten usurpiert und in den braunen Sprachschatz übernommen worden sind. Die Klage über den Verlust der Sprache ist daher ein zentrales Thema der Exilliteratur.

Joseph Roth hat im Exil von einem "Schisma der deutschen Sprache" gesprochen und dabei die nur mit höchster Anstrengung zu überwindenden Hürden, die jede literarische Kommunikation beeinträchtigt haben, anschaulich charakterisiert: "Ein Engländer, Franzose, Italiener, der sich eine Stunde mit Hitler, Ribbentrop und Goebbels unterhalten hat, wird nie mehr imstande sein, unser Deutsch zu verstehen. Es wird ihm chinesisch vorkommen, wie uns das Deutsch des Dritten Reiches."

Preisgabe eigener Kultur

Die Konsequenzen, welche die Schriftsteller im Exil aus dem "Schisma der deutschen Sprache" gezogen haben, sind allerdings sehr unterschiedlich. Nicht wenige orientieren sich nämlich keineswegs an dem Plädoyer, das Ernst Bloch 1939 gegen den Sprachwechsel, gegen die Preisgabe der eigenen Kultur ins Treffen geführt hat. Sie versuchen vielmehr, im Exil "die neue Luft zu atmen" (Elias Canetti), die fremde Sprache zu verstehen, wenn auch nicht unbedingt in ihr "aufzugehen" (Theodor Kramer), und gelegentlich sogar die Muttersprache und die Fremdsprache zu mischen. Während es älteren Autoren naturgemäß weniger leicht fällt, in die Sprache des Exil-oder des Asyllandes zu wechseln, finden sich unter den jüngeren Schriftstellerinnen und Schriftstellern gar nicht so wenige, die auf Dauer oder wenigstens zeitweise sich in die Literatur des Gastlandes einfügen. Für Autoren, die aus einer mehrsprachigen Umgebung kommen, aus Czernowitz, aus Budapest, aus Prag, oder die den Beruf des Übersetzers gewählt haben, wird das Exil vielfach nicht zu einem Ort der "Sprachkrisis", sondern weit mehr Startpunkt einer neuen Karriere.

Zwei und mehr Sprachen

Primus-Heinz Kucher, Mitinitiator und gemeinsam mit Karl Müller Projektleiter des groß angelegten, seit Sommer 2002 im Internet zugänglichen Forschungsprojekts "Österreichische Literatur im Exil", nennt in seinem Beitrag über "Sprachreflexion und Sprachwechsel im Exil" neben anderen die folgenden Autorinnen und Autoren österreichischer Herkunft, die in zwei, in manchen Fällen sogar in mehreren Sprachen geschrieben haben: Jean Améry, Rose Ausländer, Vicki Baum, Alfredo Bauer, Elazar Benyoëtz, Klara Blum, Paul Celan, Hans Flesch-Brunningen, Erich Fried, Mimi Grossberg, Arthur Koestler, Jakov Lind, Robert Neumann, Felix Pollak, Lore Segal und Hermynia Zur Mühlen.

Gewiss, für manche von ihnen blieb die Frage der Sprache und der Identität lebenslänglich ein existenzielles Thema, wie für Jean Améry, der jahrelang den Gedanken erwog, ein französischer Schriftsteller zu werden, oder für Elazar Benyoëtz, der trotz seiner tiefen Verwurzelung in der sprachlichen Heimat des Judentums sich eines Tages entschied, wieder deutsch zu schreiben. Aber das Hinausgeworfen-Werden aus scheinbar gefestigten und das Eintreten in neue Identitäten schloss die Entwicklung eigenwilliger, eigener poetischer Konzepte ganz und gar nicht aus.

An den Rand gedrängt

Wie viele, eigene' Gedichte im Exil entstanden sind, ist wohl kaum mehr zu rekonstruieren. In der kurzen Einleitung zur Anthologie In welcher Sprache träumen Sie? ist davon die Rede, dass in Österreich rund 1200 Personen, die literarische Arbeiten geschrieben haben oder später schreiben sollten, verfolgt und zum Teil auch ins Exil getrieben worden sind. Knapp 300 von ihnen sind in diesem Buch vertreten (in alphabetischer Reihenfolge; sie sei "übersichtlicher" als jede andere, meinen die Herausgeber), mit rund 500 Gedichten.

Viele der hier versammelten Autorinnen und Autoren haben weder unmittelbar nach 1945 noch später in ihrem "Heimatland" die ihnen gebührende Wertschätzung erfahren. Und manche werden schon wieder an den Rand gedrängt; in einer der jüngsten Gesamtdarstellungen der österreichischen Literatur, in der von Herbert Zeman herausgegebenen Literaturgeschichte Österreichs von den Anfängen im Mittelalter bis zur Gegenwart, steht das (von Joseph Strelka formulierte) Urteil, "den immer wieder genannten und weidlich überschätzten Lyrikern Erich Fried und Theodor Kramer" sei hinlänglich genug Aufmerksamkeit gewidmet worden. Gilt das auch für die Gedichte von Eva Aschner, Erwin Chargaff, Paul Leppin, Moses Rosenkranz, Stella Rotenberg, Tuvia Rübner, Ernst Waldinger?

Diese Anthologie bietet Anregungen über Anregungen, Gedichte zu entdecken oder wieder zu lesen, übrigens auch Gedichte von Fried und Kramer, die längst nicht "hinlänglich" bekannt sind.

Gedichte vor allem, die bezeugen, dass es den Autorinnen und Autoren im Exil angesichts der politischen wie der persönlichen Situation zumeist um anderes ging als darum, weiterhin, wie gewohnt,, Kunst' zu produzieren: Theodor Kramer zum Beispiel, der unter dem Vertriebenen-Status ganz besonders gelitten hat und im englischen Exil Tag für Tag in neuen Gedichten seine Verletzungen registriert, sträubt sich dagegen, die Schreibweise zu ändern. Seine besten Gedichte aus den zwanziger und frühen dreißiger Jahren zeichnet aus, dass sie jener Gelassenheit, auch jener Apathie, die seine Figuren ausstrahlen, geduldig entgegenwirken durch ein unaufhörliches Unruhe-Schüren. Dieses Merkmal wird im Exil massiv verstärkt, in Gedichten, die in der Ablösung von kulturellen Zugehörigkeiten nicht nur eine lebensgefährliche Bedrohung, sondern auch eine Chance festzuhalten versuchen.

Gedicht als Dokument

Das Gedicht Begegnung gehört bestimmt nicht zu den stärksten Gedichten des Autors. Es ist weder in der Anthologie noch in der dreibändigen Ausgabe der Gesammelten Gedichte Kramers enthalten, es liegt als Manuskript in einer Kassette des Brenner-Archivs an der Universität Innsbruck. Kramer hat es nämlich im Jahre 1951, in einer Sammlung von 24 Gedichten, aus England nach Innsbruck geschickt in der Hoffnung, der dort stationierte Rundfunk-Sender könnte "einige von ihnen geschlossen oder auch einzeln verwenden". Ist nicht auch dieses Gedicht ein aufschlussreiches Dokument?

Die Struktur dieses Gedichts ist schlicht: betont-einfache Paarreime, nie variierter Kehrreim und seltsame Kontraste zwischen den fast krampfhaft-gehobenen Stilformen und jenen eher groben, die Anklänge an die gesprochene Sprache vermitteln. Vieles bleibt ambivalent. Es bleibt offen, wer da wem begegnet, ob hinter dem lyrischen Ich der Autor steht oder eine Prostituierte (eine Figur, die in Kramer-Gedichten immer wieder begegnet), ob das "Reissen" (eine Krankheit, die man unter dieser Bezeichnung im Pschyrembel vergeblich sucht) und die "Kolik" bloß Alterserscheinungen andeuten oder auf psychische, gar politische Befindlichkeiten zurückverweisen und was am Ende alles, im Verständnis der Alten, "auf den Hund" gekommen, verloren ist. Wo es ihm jedoch darauf ankommt, nicht missverstanden zu werden, schon gar nicht in finsteren Zeiten, in welchen, wie im Gedichtkörper, die private und die politische Misere sich unlösbar ineinander verketten, dort bevorzugt Kramer die Poetik des Klartexts: "Vor mir, was du sagen magst, macht nichts dich klein; / wir können's uns leisten, ganz offen zu sein."

Alle Tabus, die herkömmliche sprachliche Regelungen implizieren, alle Tabus auch, die sich aus sozialen, kulturellen, religiösen Zugehörigkeiten gemeinhin ableiten (lassen), werden in Kramers Begegnung zur Seite geschoben: Was zählt, unter den im Gedicht angeführten Bedingungen, ist einzig und allein die eigene Lebensform, die Sprache, in der die Figuren träumen.

Die gebundene Sprache: Sie gab den Verfolgten, wie Ruth Krüger in ihren Erinnerungen notiert hat, "eine Stütze"; sie lässt sich, wie die Herausgeber dieser Anthologie hinzufügen, "leichter auswendig lernen". Das Buch versammelt sehr viele Gedichte, die immer noch dieses Kriterium hochhalten. Darunter gelegentlich Gedichte, die schon lange vor dem Exil entstanden, aber im Exil oft und oft zitiert worden sind, wie das Schlaflied für Mirjam von Richard Beer-Hofmann. Darüber hinaus jedoch auch Gedichte, und über dieses Neben-oder Durcheinander ließe sich länger diskutieren, die in Konzentrations- und Vernichtungslagern oder in der Inneren Emigration geschrieben und weitergegeben worden sind.

Fast scheint es, als ob letztere erst sehr knapp vor der Drucklegung noch in diese Anthologie gerutscht wären: Der Untertitel auf dem Buchumschlag Österreichische Exillyrik verweist jedenfalls auf ein anderes Konzept als der Untertitel des Titelblattes Österreichische Lyrik des Exils und des Widerstands.

Zwei Literaturen?

Es wäre billig - und wohl nicht recht -, den einen oder anderen Text heraus- und stattdessen einen anderen hineinzureklamieren. Dass Elazar Benyoëtz, der eben in Jerusalem seinen 70. Geburtstag gefeiert hat, in diesem Buch fehlt (und nicht fehlen dürfte), sei immerhin angemerkt. Aber eines ist hier, abschließend, doch kritisch festzuhalten: Das zentrale Ordnungs-Konstrukt, das in der Einleitung wiederholt auftaucht und besagt, die "Exil- und Widerstandsliteratur" auf der einen Seite und die "Nachkriegsliteratur" auf der andern stünden grundsätzlich "unversöhnt", es gäbe "in Österreich bis heute zwei Literaturen nebeneinander", dieses Konstrukt wird nicht zuletzt durch die vorliegende Anthologie gründlich widerlegt. Es fällt vollkommen in sich zusammen, weil zahllose Querverbindungen zwischen der "Widerstandsliteratur" und der "Nachkriegsliteratur" und auch der Gegenwartsliteratur in einem derart schlicht angelegten Gebäude, das lediglich zwei Kammern für zwei einander entgegengesetzte Lager bereitstellt, alle Wände zum Einsturz bringen.

In welcher Sprache träumen Sie?

Österreichische Lyrik des Exils und des Widerstands. Hg. von Miguel Herz-Kestranek, Konstantin Kaiser, Daniela Strigl. Verl. der Theodor Kramer Gesellschaft, Wien 2007. 567 S., geb., € 30,-

Begegnung

Mein Alter, ich hab dich schon lang nicht gesehn,

ich lasse so bald nicht heut wieder dich gehn;

so sassen vor Jahren wir manchmal zu zweit,

es tut mir für dich um den Kognak nicht leid:

denn solch eine Stund kommt nicht wieder.

Wie steht's mit dem Reissen, lässt nachts es dich ruhn?

Ich hab's mit der Kolik bisweilen zu tun.

Sag, fühlst du dich noch von Begierde verzehrt

und dünkt dich das Leben zu leben noch wert?

Denn solch eine Stund kommt nicht wieder.

Was damals wir hoch hielten, kam auf den Hund.

Was nagt an dir? Bitternis füllt mir den Mund.

Vor mir, was du sagen magst, macht nichts dich klein;

wir können's uns leisten, ganz offen zu sein:

denn solch eine Stund kommt nicht wieder.

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